Milchpreis:Die Milchbauern sind selbst schuld

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Eine zu große Milchviehherde kann man nicht so einfach über Nacht abschreiben und die Tiere schlachten. (Foto: picture alliance / dpa)

Als die Milchquote abgeschafft wurde, haben sie zu träumen begonnen. Damit muss endlich Schluss sein - sonst ist der Preisverfall nicht zu stoppen.

Kommentar von Nikolaus Piper

Weniger als 20 Cent zahlen einige Molkereien in Niedersachsen inzwischen ihren Bauern für den Liter Milch, ein Negativrekord. Um über die Runden zu kommen, bräuchten die Milchbauern aber 40 Cent. Kein Betrieb kann bei solchen Preisen lange überleben. Die deutsche Landwirtschaft steckt in einer der schwersten Krisen ihrer jüngeren Geschichte. Das macht auch Menschen betroffen, die noch nie einen Stall von innen gesehen haben. Jeder weiß: Landwirtschaft ist etwas Besonderes. Ohne iPhone und Auto kann man leben, nicht aber ohne Weizen, Kartoffeln und eben Milch.

Vermutlich deshalb haben es bei Agrarthemen die großen Vereinfacher so leicht, die Leute, die immer genau wissen, wer die Bösen sind. Der Bundesverband der Milchviehhalter hat andere Interessen als der Deutsche Bauernverband und erklärt deshalb Agrarminister Christian Schmidt vorsichtshalber erst einmal zum Sündenbock. Die Globalisierungskritiker von Attac prangern das "Preisdumping" der Lebensmittel-Discounter an. All dies ist schwer erträglich. Aldi, Lidl & Co. sind nicht schuld an den niedrigen Preisen, sie geben sie nur an die Verbraucher weiter. Die Forderung nach "fairen" Preisen ist wohlfeil, wenn zu diesen Preisen die viele Milch eben nicht verkauft werden kann. Und dem Agrarminister kann man alles Mögliche vorwerfen, aber nicht, dass er die Krise nicht ernst nähme.

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Der "Schweinezyklus" ist bei weitem kein neues Phänomen

Die Verantwortung für die Milchschwemme - das Wort "Schuld" sollte man in dem Zusammenhang tunlichst vermeiden - tragen die Milchbauern selbst. Als die EU 2015 die bürokratischen Milchquoten abschaffte, schätzten die Bauern und ihre Verbände die Folgen völlig falsch ein. Sie träumten von neuen Absatzmärkten innerhalb und außerhalb der EU, in Russland und in China. Die Hoffnungen wurden bitter enttäuscht: Wladimir Putin revanchierte sich für westliche Sanktionen mit einem Importverbot für EU-Agrarprodukte. Die chinesische Wirtschaft wächst langsamer als erwartet und nimmt daher weniger Importe auf. Auch andere Branchen liegen oft schief, die Zukunft ist immer ungewiss.

In der Landwirtschaft sind die Dinge jedoch schwieriger als anderswo: Eine zu große Milchviehherde kann man nicht so einfach über Nacht abschreiben und die Tiere schlachten. Umgekehrt lässt sich eine neue Herde auch nicht so schnell großziehen. Die Anpassung an die Nachfrage braucht Zeit. Deshalb wechseln sich bei Agrarprodukten immer Zeiten der Teuerung mit solchen des Preisverfalls ab, ein Phänomen, das als "Schweinezyklus" in die Wirtschaftstheorie eingegangen ist.

Dieser Zyklus ist der Landwirtschaft inhärent, es gab ihn schon in vormodernen Zeiten. Als Israel in Ägypten war, gab es die sieben fetten und die sieben mageren Jahre. Wegen des Brotpreises brachen schon Revolutionen aus, und, wie das Märchen von Hänsel und Gretel erzählt, konnte Teuerung bedeuten, dass Eltern in der Not ihre Kinder im Wald aussetzten. Das ist keineswegs nur Geschichte: Äthiopien und anderen Ländern Ostafrikas droht gerade jetzt eine epochale Hungersnot.

Das Angebot an Milch muss sinken, so oder so

Wenn man um die fundamentale Knappheit auf der Erde weiß, erscheint der Kampf gegen niedrige Agrarpreise in den reichen Ländern immer ein wenig absurd. Im September 1933, auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, ließ US-Präsident Franklin D. Roosevelt fünf Millionen Schweine schlachten und deren Fleisch verrotten, im vergeblichen Bemühen, die Preise für die Farmer zu stabilisieren. Gleichzeitig hungerten die Arbeitslosen und ihre Familien in den Städten. In der EU erlangten Butterberge und Milchseen traurige Berühmtheit.

Was also tun mit der neuesten Milchschwemme? Vor allem geht es darum, in der Panik nicht das Falsche zu tun. Falsch und empörend ist zum Beispiel der Plan der EU-Kommission, die europäischen Überschüsse in Form von Milchpulver hoch subventioniert in die Märkte von Kolumbien und Mexiko zu drücken und so das Problem auf die dortigen Bauern abzuladen. Der Rat des Bundesagrarministers, mehr in Ökolandwirtschaft zu investieren, ist sicher richtig; schließlich zahlen die Verbraucher für Biomilch immer noch deutlich mehr als für konventionell produzierte. Aber Illusionen sind gefährlich. Auch die Nachfrage nach Biomilch ist schließlich nicht unbegrenzt.

Letztlich ist de Sache ganz einfach: Das Angebot an Milch muss sinken, so oder so. Dabei kann die Regierung die Bauern nicht alleinelassen, ganz unabhängig von der Verantwortungsfrage. Aber die Hilfen sollten mit Bedacht vergeben werden und weder Groß- noch Kleinbetriebe bevorzugen. Dann wird der nächste Schweine- oder Milchzyklus vielleicht moderater ausfallen. Kommen wird er unweigerlich.

© SZ vom 18.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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