Migration:"Niemand hat Verständnis dafür, dass wir Arbeitskräfte mit aller Gewalt abschieben"

Unternehmen gibt Flüchtlingen eine Chance

In der Firma Reuther STC GmbH in Fürstenwalde arbeitet ein Asylbewerber gemeinsam mit dem Meister.

(Foto: dpa)
  • Nächste Woche soll das Kabinett das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschließen.
  • Eine Unternehmerinitiative will das Gesetz noch verändern und kämpft für ein liberales Bleiberecht für gut integrierte Flüchtlinge.
  • Gerade in der Union kommt der Druck aus der Wirtschaft durchaus an. Sie steht für einen strikteren Kurs in der Asylpolitik, will aber auch ihren Wirtschaftsflügel zufriedenstellen.

Von Stefan Braun und Henrike Roßbach, Berlin

Gottfried Härle ist nicht als Flüchtlingshelfer geboren worden. Und er zählt auch nicht zu jenen, die sich seit Jahren als Mitglieder größerer oder kleinerer Nichtregierungsorganisationen um Geflüchtete kümmern. Und doch tut er seit geraumer Zeit, was auch diese Flüchtlingshelfer tun: Er vermittelt, berät bei Behördengängen, hilft bei der Wohnungssuche, kümmert sich um Ausbildung.

Härle führt eine Brauerei in Leutkirch im Allgäu. Zusammen mit Antje von Dewitz, Chefin des Bergsportausrüsters Vaude, hat er vor Monaten eine Unternehmerinitiative gegründet, die für ein liberaleres Bleiberecht für gut integrierte Flüchtlinge kämpft. Mehr als 150 Betriebe gehören mittlerweile dazu, darunter die Würth GmbH aus Künzelsau, der Textilhersteller Trigema, die Zeitarbeitsfirma Randstadt oder der Unterwäschehersteller Mey. Zusammen erwirtschaften sie mehr als 50 Milliarden Euro Umsatz im Jahr und beschäftigen über 550 000 Menschen.

Nächste Woche werden alle diese Firmen vermutlich gespannt nach Berlin blicken. Denn am Mittwoch soll das Kabinett das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschließen. Das soll auch regeln, was künftig mit gut integrierten, erwerbstätigen Flüchtlingen geschehen soll, denen nach heutigem Recht die noch Abschiebung droht. Der Entwurf sieht unter anderem Lockerungen bei der sogenannten Ausbildungsduldung vor. Dass Flüchtlinge während ihrer Lehre nicht abgeschoben werden und danach weitere zwei Jahre arbeiten dürfen, soll künftig auch für Helferausbildungen gelten.

"Beschäftigungsduldung" von zwei Jahren

Darüber hinaus soll es für alle anderen eine neue "Beschäftigungsduldung" von zwei Jahren geben: Wer seit einem Jahr geduldet und seit eineinhalb Jahren sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist, gut genug Deutsch spricht und seinen Lebensunterhalt selbst bestreitet, kann diesen Aufenthaltstitel bekommen. Voraussetzung: Die Identität ist geklärt, und der Bewerber gefährdet nicht die Interessen der öffentlichen Sicherheit.

Bei Brauerei-Chef Härle und seiner Initiative allerdings fällt der Entwurf durch. Die Hürden für die Beschäftigungsduldung seien viel zu hoch, sagt er. Die Mindestduldung von einem Jahr samt Klärung der Identität könnten "nur wenige erfüllen". Hintergrund ist, dass die Duldung erst beginnt, wenn das Asylverfahren abgeschlossen und negativ beschieden wurde. In den vorgeschriebenen zwölf Monaten Duldung aber wäre nach Härles Einschätzung die Abschiebungsgefahr hoch - vor allem dann, wenn der Flüchtling seine Identität klärt, also in der Ausländerbehörde einen Pass vorlegt. Ohne diese Klärung aber bekommen viele Geduldete keine Arbeitserlaubnis.

Überall fehlen Arbeitskräfte

Die Unternehmen in dem Netzwerk, die meisten stammen aus Baden- Württemberg und Bayern, spüren mehr denn je den gravierenden Arbeitskräftemangel. Mit den gut 2500 Flüchtlingen, die sie inzwischen ausgebildet und angestellt haben, lässt sich dieses Problem zwar nicht lösen. Ein Anfang aber ist es aus Sicht der Initiative durchaus. "Die Unternehmen brauchen die Leute dringend", sagt Härle. Ob Handwerks- oder Dienstleistungsbetriebe, Altenpflege, Gastronomie oder in der Produktion - überall fehle es an Arbeitskräften. Gerade im Handwerk fänden viele Betriebe nicht genug Leute. "Wenn man denen die Geflüchteten abzieht, können sie die nicht ersetzen."

Wolfgang Grupp, Textilunternehmer aus Baden-Württemberg und Unterstützer der Initiative, weicht zwar etwas von der Linie seiner Mitstreiter ab und verlangt von der Politik dezidiert nicht "auf meine Bedürfnisse maßgeschneiderte Gesetze". Wohl aber erwartet er pragmatische Lösungen. "Zum Beispiel, dass man die Abschiebung um ein oder zwei Jahre verschieben kann. Voraussetzung wäre, dass er als Unternehmer den Arbeitsplatz und damit das Einkommen garantiert." Er selbst beschäftige 40 Flüchtlinge, die alle sehr gut und in die Betriebsfamilie integriert seien.

Der Druck aus der Wirtschaft kommt in Berlin durchaus an - gerade in der Union, die einerseits für einen strikteren Kurs in der Asylpolitik steht, andererseits aber auch ihren Wirtschaftsflügel zufriedenstellen muss. Die Initiative Bleiberecht ist nicht die einzige, die sich zu Wort meldet. Hinzu kommen Bündnisse wie etwas das große, Anfang 2016 gegründete Netzwerk "Unternehmen integrieren Flüchtlinge", das der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) ins Leben gerufen hat und in dem sich fast 2000 Unternehmen engagieren. "Allein inländische Beschäftigte reichen in Zukunft nicht aus, um die Fachkräftebedarfe der Unternehmen zu decken", sagt Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des DIHK. Der Entwurf für das Fachkräfteeinwanderungsgesetz lege zurecht einen Schwerpunkt auf die berufliche Bildung. "Allerdings sind die Regeln im aktuellen Entwurf zu restriktiv und kompliziert, um der Ausbildungsduldung in der Praxis besser Geltung zu verschaffen." Es bleibe deshalb zu hoffen, dass im parlamentarischen Verfahren die Bedarfe der Unternehmen "stärker Berücksichtigung finden".

Andererseits gibt es durchaus auch Stimmen aus der Wirtschaft, die vor zu viel Kritik und einem zu forschen Vorgehen warnen, weil das die gesamte Zuwanderungsreform gefährden könnte. Härles Leute aber wollen, dass die Bundespolitik ihre Unzufriedenheit mitbekommen, deshalb werden sie in diesen Tagen einen Brief an alle Bundestagsabgeordneten verschicken. Was die künftige Zuwanderung von Arbeitskräften aus Drittstaaten betreffe, heißt es in dem Brief, der der SZ vorliegt, enthalte der Entwurf zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz "zahlreiche sinnvolle und weiterführende Regelungen". Die Anforderungen an die Beschäftigungsduldung aber seien "derart hoch und vor allem praxisfern, dass nur wenige abgelehnte Asylbewerber tatsächlich von diesen Bestimmungen profitieren und weiterhin beschäftigt werden könnten", heißt es in dem Brief, der der SZ vorliegt.

"Ein enormer wirtschaftlicher Schaden"

Sie seien "dem Ruf der Politik gefolgt" schreibt die Initiative, und hätten zwischenzeitlich weit über 2500 Menschen mit Fluchthintergrund in ihre Unternehmen integriert, "oft unter Inkaufnahme hoher bürokratischer Hindernisse und ganz erheblicher Einarbeitungskosten". Wenn sie und Tausende andere Unternehmen die nun wieder verlieren würden, entstehe nicht nur für ihnen, sondern für die gesamte Volkswirtschaft "ein enormer wirtschaftlicher Schaden". Es ist nicht der einzige Brief, der in diesen Tagen in Berlin eintrudelt. Auch andere Unternehmer und lokale Netzwerke schreiben Abgeordneten und Landespolitikern und fordern pragmatische Lösungen für integrierte Flüchtlinge; so beklagt etwa eine Bauunternehmerin aus Eichstetten, die zahlreiche weitere Unternehmen ihrer Region hinter sich versammelt hat, die Integrationsarbeit der Wirtschaft werde von der Politik "mit Füßen getreten".

Die Initiative Bleiberecht unterbreitet derweil einen eigenen Vorschlag: So sollen Asylbewerber schon vor Abschluss des Asylverfahrens eine Beschäftigungsduldung beantragen können. Geflüchtete mit festem Arbeitsplatz sollen dann eine zunächst auf zwei Jahre befristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis bekommen, wenn sie nicht straffällig geworden sind und einen sichtbareren Willen zur Integration zeigen, etwa durch Teilnahme an Sprachkursen. Im Anschluss soll dieser Status um drei Jahre verlängert werden können, wenn weitere Kriterien erfüllt werden: die Klärung der Identität, eine zertifizierte Weiterbildung, das Sprachzertifikat A2 und die Teilnahme an einem "Wertekurs auf Basis des Grundgesetzes".

Kein Verständnis für Abschiebung von Arbeitskräften

Vor dem Brief war die Initiative schon bei Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorstellig geworden und auch beim baden-württembergischen Innenminister Thomas Strobl (CDU). Letzterer habe ihnen versichert, sagt Härle, sich für den Verzicht auf die einjährige Mindestduldung stark zu machen. "Niemand hat Verständnis dafür, dass wir Arbeitskräfte mit aller Gewalt abschieben", sagt Härle, der selbst fünf Flüchtlinge beschäftigt, von denen drei schlechte Bleibeperspektiven hätten - obwohl sie schon lange bei ihm arbeiten.

Das Bundesarbeitsministerium teile die Ziele und Anliegen der Initiative, die Potenziale geflüchteter Menschen in Deutschland besser zu nutzen, sagte ein Sprecher von Minister Heil am Donnerstag. Schon im Sommer habe Heil klar gemacht habe, dass es wenig sinnvoll sei, "wenn wir mit viel Aufwand ausländische Fachkräfte anwerben und fit für den deutschen Arbeitsmarkt machen, während gleichzeitig gut integrierte und mit Aufwand qualifizierte Geflüchtete unser Land wieder verlassen müssen". Das Ministerium verweist auf den aktuellen Entwurf für das Fachkräfteeinwanderungsgesetz und darauf, dass die Betroffenen künftig nach der zweijährigen Beschäftigungsduldung einen Aufenthaltstitel erhalten könnten. Trotzdem ist Heil durchaus klar, dass bei der Beschäftigungsduldung etwa das Kriterium der "Vorbeschäftigungszeit" aus Sicht der Initiative eine zu hohe Hürde wäre. Bei den immer noch laufenden Abstimmungen zum Fachkräftezuwanderungsgesetz wolle man sich, hieß es im BMAS, weiter für "eine sachgerechte Lösung" einsetzen für im Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft gut integriert Geduldete.

Die Erfolgsaussichten dürften allerdings gering sein - zu groß ist der Widerstand der Unionsinnenpolitiker gegenüber allem, was noch mehr Flüchtlinge nach Deutschland locken könnte.

Die Grünen wollen derweil einen eigenen Antrag in den Bundestag einbringen in Sachen Bleiberecht für gut integrierte Flüchtlinge. Die bislang fehlende Möglichkeit, in einen sicheren Aufenthaltsstatus zu wechseln, habe Kettenduldungen zur Folge, die zu "einer Generation verpasster Integrationschancen" führe, heißt es in dem Antrag. Verwiesen wird auch auf die Suche nach Arbeitskräften in Produktion, Logistik, Handwerk oder Gastronomie. Die Unternehmen bräuchten Planungssicherheit. Sie fordern, dass junge Erwachsene bis 27 Jahre und Familien mit kleinen Kindern schon nach drei Jahren Duldung eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, alle anderen fünf Jahre. Das wäre gegenüber heute und in Kombination mit der Beschäftigungsduldung eine deutliche Lockerung. Bislang kann eine Duldung erst nach acht Jahren in eine Aufenthaltserlaubnis umgewandelt werden, bei Familien mit kleinen Kindern nach sechs und bei unter 21-Jährigen nach vier Jahren.

"Wir brauchen Planungssicherheit für beide Seiten", sagt die Wirtschaftsexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion, Kerstin Andreae, "für die Menschen, die sich engagieren und ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten, und die Unternehmen, die in ihre Mitarbeiter investieren, sie zu Teammitgliedern machen und in Zeiten von Fachkräfteengpässen auf sie angewiesen sind." Die Politik müsse anfangen das Engagement von Unternehmen und Geflüchteten wertzuschätzen und zu unterstützen.

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