Süddeutsche Zeitung

Mietwohnungen:Lass uns tauschen

Weil die Mieten stark steigen, ziehen Großstädter weniger um: Familien bleiben in zu kleinen, Ältere in großen Wohnungen. Dabei gibt es eine Lösung.

Von Benedikt Müller

Andreas Richter wusste, leicht würde es nicht, eine neue, kleinere Wohnung zu finden. Ausgerechnet in Freiburg, wo Wohnraum knapp und die Mieten kräftig gestiegen sind. Doch Richter hatte einen Vorteil: Die Wohnung, die er freimachen würde, ist ziemlich preiswert, mit großem Balkon und offener Küche. Seine Vermieterin ist nicht allzu sehr auf Rendite bedacht. Richter durfte, wenn er wollte, einen Nachmieter vorschlagen. Diesen Vorteil hat er genutzt.

Per Kleinanzeige im Internet findet Richter binnen zwei Wochen ein junges Pärchen, das ein Kind erwartet und in eine größere Wohnung ziehen will. Richter dagegen will sich verkleinern, nach einer Trennung. Seinen Namen mag er nicht in der Zeitung lesen. Nachdem beide Vermieter zugestimmt haben, tauscht Richter mit dem Pärchen die Wohnung. Beide schließen neue Mietverträge ab. Der Altbau, in dem Richter jetzt wohnt, ist zwar kein Schnäppchen. "Aber ich habe viel Zeit gespart", sagt er: Keine lange Suche, keine Besichtigungen. Einfach getauscht.

Erste Städte fördern mit Umzugsprämien den Tausch von Wohnungen

Was der Single und das Pärchen gemacht haben, ist eine zeitgemäße Antwort auf die Lage am Wohnungsmarkt. In den Ballungszentren bleiben zurzeit viele Familien in Wohnungen, die eigentlich zu klein sind; doch sie finden kaum bezahlbare Alternativen. Zugleich behalten viele ältere Menschen ihre großen Wohnungen. Sie fürchten, wenn sie sich verkleinern, müssten sie mehr Miete zahlen. Ein schlechtes Geschäft.

Je größer der Unterschied wird zwischen den teuren Mieten auf dem Markt und den günstigen Bestandsmieten, zu denen man wohnt, desto weniger ziehen die Menschen um, und desto eher versuchen sie, den öffentlichen Teil des Marktes mit seiner hohen Konkurrenz zu umgehen. Das lässt sich in den Großstädten beobachten. In Berlin, Hamburg, München und Frankfurt ist die Umzugsquote niedriger als im bundesweiten Schnitt und deutlich geringer als vor zehn Jahren. Das berichtete im Frühjahr die Firma Techem, die im Rahmen von Heizkosten-Abrechnungen über Mieterwechsel informiert wird. Es ist, als ob Teile des Marktes festfrieren. Sollten also Umzüge ermöglicht werden, indem Wohnungen getauscht werden?

Viele Wohnungsbau-Genossenschaften fördern den Tausch zumindest unter ihren Mitgliedern. Gerade habe es wieder geklappt, erzählt Christa Kolb-Schwenk, Vorstand des Spar- und Bauvereins Leichlingen in Nordrhein-Westfalen: Ein Paar, dessen Kinder ausgezogen sind, hat seine Vier-Zimmer-Wohnung getauscht gegen die zwei Zimmer eines Pärchens, das ein Kind bekommen hat. So konnten alle in ihrer angestammten Siedlung bleiben.

Doch dass sich passende Tauschpartner finden, sei selten, sagt Kolb-Schwenk, die bundesweit die Belange der Wohnungsbau-Genossenschaften vertritt. "Meistens scheitert ein Tausch an den Umzugskosten." Viele Menschen fürchten, teuer renovieren oder neue Möbel kaufen zu müssen. "Wenn der Politik wirklich daran gelegen wäre, den bestehenden Wohnraum effektiver zu nutzen", sagt Kolb-Schwenk, "dann bräuchte es eine Umzugsprämie."

Das versuchen die landeseigenen Wohnungsunternehmen in Berlin. Zieht ein einkommensschwacher Haushalt in eine kleinere Wohnung in Landeseigentum, erhält er eine Prämie von 1500 bis 2500 Euro. Im Gegenzug dürfen die Vermieter für die kleinere Wohnung nicht mehr verlangen als für die größere. Die Reaktionen sind gemischt. Zwar haben sich im vergangenen Jahr immerhin 180 Haushalte gegen Zahlung der Prämie verkleinert und damit Platz für Familien geschaffen. Doch viele ältere Berliner regen sich über die Umzugsinitiative auf, fühlen sich nicht mehr gewollt in den Wohnungen, die sie über die Jahre lieb gewonnen haben.

Stattdessen entdecken vor allem junge Großstädter den Wohnungstausch für sich. In studentischen Portalen und Online-Anzeigen häufen sich Inserate wie das einer Altbauwohnung in Berlin: Zwei Zimmer, Dielenboden, Wanne, werden getauscht gegen drei Zimmer oder mehr: "Balkon und gerne Altbau". Doch ob sich jemand findet, der sich verkleinern will?

Genau das ist das Problem von Internet-Plattformen wie Homeswopping.de oder Tauschwohnung.com. Dort können Mieter beschreiben, welche Wohnung sie freimachen - und was sie suchen. Die Plattformen errechnen dann, welche Tauschpartner passen könnten, und stellen den Kontakt her. In 80 Prozent der Fälle gelinge es, wenigstens Vorschläge zu machen, versprechen die Betreiber von Tauschwohnung. Auch Jochen Scharr, Entwickler von Homeswopping, sieht zumindest in den größten Städten gute Chancen für einen Tausch. "Natürlich kommt es immer auf die Attraktivität der eigenen Wohnung an", räumt er ein. Je größer die Wohnung, je günstiger die Miete, je angesagter das Viertel, desto besser. Alleine bei Homeswopping und Tauschwohnung kommen jeden Monat gut 200 neue Inserate hinzu. Doch wie oft am Ende getauscht wird, wissen die Plattformen nicht; sie vermitteln nur Kontakte.

Denn wer tauschen will, muss gerade bei privaten Vermietern oder Wohnungsunternehmen Glück haben, die nötige Zustimmung zu bekommen. Wenn eine Wohnung frei wird, wollen viele Eigentümer selbst entscheiden, an wen sie vermieten, ob sie nicht doch einen Makler einschalten oder die Wohnung zunächst renovieren wollen. Das ist ihr gutes Recht. Kein anderer Zeitpunkt eignet sich zudem so sehr für eine Mieterhöhung. Deshalb, berichten Mietervertreter, gelingt der Tausch vor allem bei kommunalen und genossenschaftlichen Vermietern. Und, wie es Andreas Richter formuliert, "bei privaten Vermietern mit einer gewissen sozialen Ader". Solche, die vielleicht ganz froh sind, wenn sie den neuen Mieter nicht aus Hunderten Bewerbern auswählen müssen.

Freilich gibt es auch Mieter, die ihre Wohnungen tauschen, ohne die Vermieter zu informieren. Zwar droht ihnen eine fristlose Kündigung, wenn der Eigentümer davon Wind bekommt. Doch offenbar haben sie den Eindruck, auf offiziellem Wege nur viel teurere Wohnungen zu finden, oder gar nichts.

Der Trend zum Wohnungstausch scheint deshalb eher Anzeichen eines verrückt gewordenen Marktes zu sein als dessen Lösung. Langfristig bräuchten die Ballungszentren wieder mehr Fluktuationsreserven: einen kleinen Anteil leer stehender Wohnungen, damit alle Suchenden genug Alternativen finden. Doch diesen Idealzustand können die Ballungszentren erst erreichen, wenn entweder mehr Wohnungen gebaut werden oder die Großstädte enger mit ihrem Umland zusammenwachsen. Beides geht nicht von heute auf morgen.

Deshalb, glaubt Andreas Richter, ist der Wohnungstausch zurzeit das Mittel der Wahl. "So können wir", sagt der Freiburger, "ganz unabhängig vom Neubau Druck aus dem Markt nehmen."

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Quelle:
SZ vom 10.09.2016
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