Süddeutsche Zeitung

Mieterstrom:Energiewende vom Dach

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Solaranlagen auf Mietshäusern könnten viel Ökostrom liefern. Bisher aber stockt der Ausbau. Die Bundesregierung will Mieterstrom deshalb attraktiver machen. Eigentlich sind alle dafür - trotzdem droht Streit.

Von Stephan Radomsky

Oben auf dem Dach wird der Strom erzeugt, unten im Haus wird er direkt verbraucht. Nur, was gerade nicht genutzt oder gespeichert werden kann, fließt ins Netz. Und wenn nicht genug Energie vom Dach kommt, holt sich das Haus seinen Strom von außen. Die Idee ist so einfach wie bestechend - und könnte ein wichtiger Baustein in der Energiewende werden. In vielen Einfamilienhäusern klappt das auch schon ganz gut. In größeren Gebäuden mit Miet- oder Eigentumswohnungen aber kommt die Sache bisher nicht recht in Schwung, Zigtausende Dächer liegen ungenutzt in der Sonne.

Das will Klimaschutz- und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nun ändern. Teil des geplanten "Solarbeschleunigungspakets" soll deshalb auch "eine Verbesserung beim Mieterstrom" sein, wie er vergangene Woche in seiner Eröffnungsbilanz angekündigt hatte. Wie genau die Reform aussehen soll, das sei allerdings noch offen, heißt es aus dem Ministerium: "Der Prozess steht noch am Anfang, die Gespräche dazu laufen", sagt eine Sprecherin.

Seit Jahren werden große Hoffnungen in das Thema gesetzt: Die vielen kleinen Fotovoltaikanlagen könnten zusammengenommen eine große Menge des dringend benötigten Ökostroms produzieren, so die Rechnung. Und der müsste, anders als beispielsweise Windenergie aus Offshore-Anlagen, nicht erst über weite Strecken durch teuer ausgebaute Netze fließen. Zudem verbrauchen Mieterstrom-Anlagen keine zusätzlichen Flächen - die Dächer sind ja bereits da, und Solarzellen auf Häusern lösen keinen Streit aus, anders als Windräder.

Passiert ist bisher allerdings wenig. Derzeit sind bei der Bundesnetzagentur nicht einmal 4000 Mieterstrom-Anlagen registriert. Dabei wäre das Potenzial um ein Vielfaches größer. So ergab eine Studie im Auftrag des Wirtschaftsministeriums bereits 2017, dass sich bis zu 370 000 Gebäude in Deutschland mit insgesamt 3,8 Millionen Wohnungen für Mieterstrom-Modelle eignen könnten.

Konkret geht es um zwei Fragen: Zu welchem Preis wird der Strom aus den hauseigenen Solarzellen an die Miet- oder Eigentumswohnungen darunter abgegeben? Und wie viel Bürokratie ist damit verbunden? Bisher gilt: Betreibt der Vermieter die Anlage selbst und fließt die Energie nicht durch die öffentliche Leitung, fallen Netznutzungsentgelte, Konzessionsabgaben und die Stromsteuer weg. Zusätzlich wird die Energie seit 2017 mit dem sogenannten Mieterstromzuschlag gefördert. Der liegt derzeit, je nach Größe und Alter der Solaranlage, bei maximal 3,79 Cent pro Kilowattstunde Strom. Allerdings wird auf Mieterstrom die volle EEG-Umlage von inzwischen noch gut 3,7 Cent je Kilowattstunde fällig.

Verbraucherschützer, Vermieter, Versorger - eigentlich sind alle für das Konzept

Die EEG-Umlage soll im kommenden Jahr wegfallen, so haben es die Ampel-Parteien in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. "Das dürfte auch den Angeboten für Mieterstrom nutzen, weil die Förderung dann nicht sofort wieder für die Umlage draufgeht", sagt Thomas Engelke, beim Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) für die Themen Energie und Bauen zuständig. Die Verbraucherschützer unterstützen das Modell Mieterstrom - fordern aber deutliche Vereinfachungen. "Bisher ist der Mieterstrom vor allem an zwei Dingen gescheitert: Die Förderung war offensichtlich nicht hoch genug und der bürokratische Aufwand gerade für Vermieter von kleineren Mehrfamilienhäusern mit wenigen Wohnungen viel zu hoch", so Engelke. Mieterstrom müsse deshalb rechtlich dem Eigenverbrauch in Einfamilienhäusern gleichgestellt werden. "Das ist die wesentliche Stellschraube, um dem Modell zum Erfolg zu verhelfen."

Auch die Versorger wollen bessere Rahmenbedingungen für den Mieterstrom. So forderte zuletzt etwa der Verband der kommunalen Unternehmen (VKU) in einem Papier, die Förderung nicht nur für Wohnhäuser, sondern auch für Gewerbeimmobilien zu gewähren. Deren Dächer seien oft besonders gut für Solaranlagen geeignet, der Strom könne dann auch an benachbarte Häuser geliefert werden. Zudem müsse Mieterstrom, der von Dienstleistern an die Bewohner verkauft wird, von der Stromsteuer befreit werden. Damit könnten professionelle Versorger - wie etwa Stadtwerke - günstigere Tarife anbieten, wenn sie Anlagen für den Hauseigentümer betreiben. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) spricht sich zudem für eine tendenziell höhere Förderung aus: Zwischen 3,5 und 5,0 Cent pro Kilowattstunde seien angemessen.

Die Vermieter haben ebenfalls großes Interesse an dem Thema. Hauseigener Strom könnte für sie eine zusätzliche Einnahmequelle bedeuten und zugleich helfen, die Klimaziele im Immobilien-Bereich zu schaffen. Der Einsatz von Solarstrom im Mietshaus dürfe deshalb "nicht länger diskriminiert werden", fordert etwa Vonovia-Chef Rolf Buch. Der Dax-Konzern hat bereits große Pläne: Bis 2030 sollen sich die eigenen Solarkapazitäten mehr als verzehnfachen, bis 2050 sollen 30 000 Dächer im Bestand Solarpaneele tragen. Dieser Ökostrom müsse dann dafür genutzt werden, "auch Heizwärme und Antriebsenergie zu erzeugen", so Buch. "Ziel dabei ist es, fossile Energien zu ersetzen."

Wahlfreiheit oder Mieterstrom als Nebenleistung?

Streit geben dürfte es allerdings bei der Frage, ob die Bewohner den Mieterstrom nur abnehmen können - oder ob sie es de facto müssen. "Als Ersatz für den komplizierten Mieterstromzuschlag sollten Wärme und Strom gleichgestellt werden", sagt der Chef des Spitzenverbands GdW, Axel Gedaschko. Mieterstrom solle "quasi zu einer mietrechtlichen Nebenleistung" werden und damit zu einer Position in den Nebenkosten, ähnlich wie Heizung oder Wasser. Damit wäre er dem Eigenverbrauch im Einfamilienhaus praktisch gleichgestellt, argumentiert der GdW.

Für die Eigentümer hätte das den zusätzlichen Charme, dass ihnen der Strom im Haus sicher abgenommen würde. Eine Grundversorgung mit Mieterstrom wäre Teil des Mietvertrags, nur was darüber hinaus geht, könnten die Bewohner bei einem Versorger ihrer Wahl dazukaufen. Der Preis dafür würde dann mindestens zehn Prozent unter dem Grundversorgungstarif liegen, so der Plan. Die nötigen Investitionen in Solaranlagen wären damit abgesichert, argumentiert der GdW.

Die Mieter müssten dann allerdings zahlen, was der Vermieter oder Dienstleister aufrufen. Es dürfe deshalb keine Pflicht geben, den Strom vom Vermieter zu kaufen, fordert Verbraucherschützer Engelke. "Die Bewohner müssen die freie Wahl behalten." Entweder sie ließen sich vom Vermieter mit eigenem und zugekauftem Strom versorgen. Oder sie bemühten sich selbst um einen Vertrag. In jedem Fall hätten sie damit wie gewohnt nur einen Versorger und nur eine Rechnung. Die Erfahrung zeige ohnehin, dass viele Bewohner den hauseigenen Strom gern nutzen, zumal wenn der Preis stimme. Und das sei - vielleicht mit ein paar Nachbesserungen - möglich.

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