Immobilien:So funktioniert der Mietendeckel

Berlin: Protest gegen hohe Mieten in Berlin-Mitte

Wohnen ist politisch: Bürger wollen den Abriss dieses Hauses in Berlin verhindern.

(Foto: Stefan Boness/Imago)
  • An diesem Dienstag ist der Entwurf zum Mietendeckel im Berliner Senat beschlossen worden.
  • Wird er tatsächlich Gesetz, wäre es bundesweit die erste Mieterschutzregelung dieser Art.

Von Jan Heidtmann

"Habemus Mietendeckel", twitterte Berlins Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek am vergangenen Freitagabend, als es dann endlich so weit war. Das klang vielleicht etwas vermessen, aber tatsächlich wäre die rot-rot-grüne Koalition fast am Mietendeckel, dem zentralen Projekt dieser Regierung, zerbrochen. Wie umstritten die neuen Regelungen sind, lässt sich an den Reaktionen ablesen, die auf die Einigung folgten. Burkard Dregger, CDU-Oppositionsführer in Berlin, sagte, SPD, Linke und Grüne hätte die Stadt "tief gespalten", die Immobilienwirtschaft spricht von "sozialistischer Planwirtschaft", die Deutsche Wohnen, Berlins größter Vermieter, von einem "Frontalangriff". An diesem Dienstag ist der Entwurf zum Mietendeckel im Senat beschlossen worden. Wird er tatsächlich zum Gesetz, wäre er bundesweit die erste Mieterschutzregelung dieser Art.

Wie funktioniert der Mietendeckel?

Er ist vor allen Dingen ein Mietenstopp. Nach den Plänen der Koalition sollen die Mieten rückwirkend vom Stichtag, dem 18. Juni 2019, für fünf Jahre eingefroren werden. Betroffen davon sind etwa 1,5 Millionen Wohnungen in Berlin, deren Mieten nicht gebunden sind und die vor 2014 gebaut wurden. Von 2022 an soll es Vermietern möglich sein, einen Inflationsaufschlag von 1,3 Prozent zu erheben. Eine pauschale Absenkung der Mieten abhängig vom Einkommen, die Bausenatorin Katrin Lompscher von der Linken ursprünglich vorgesehen hatte, ist vom Tisch. In Fällen, in denen die Mieten um 20 Prozent über den vereinbarten Obergrenzen liegen, kann die Miete gemindert werden.

Warum will die Koalition den Mietendeckel?

Die Mieten in Berlin sind in den vergangenen Jahren stärker gestiegen als in fast jeder anderen deutschen Großstadt. Die durchschnittliche Bruttokaltmiete erhöhte sich in den vergangenen vier Jahren von 5,80 auf mehr als elf Euro. Gleichzeitig ist Berlin eine Mieterstadt, mehr als 80 Prozent der Bewohner leben nicht in einer eigenen Immobilie. Und die Berliner haben im Vergleich zu anderen Großstädtern weniger Geld zur Verfügung. Ein großer Teil lebt auf die eine oder andere Art von staatlicher Unterstützung, 40 Prozent der Berliner haben Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein. Der Durchschnitt der Mieten in Berlin liegt auf dem Niveau von Hamburg, die Kaufkraft aber weit darunter. Deshalb stellen die massiven Mietsteigerungen der vergangenen Jahre viele Berliner vor finanzielle Probleme. Zum Beispiel eine vierköpfige Familie mit einem Nettoeinkommen von etwa 2000 Euro, die in einer Wohnung für 1000 Euro lebt.

Kann der Deckel tatsächlich eine Hilfe sein?

Klar ist, dass weder die Mietpreisbremse noch eine andere Regulierung bislang verhindern konnte, dass die Mieten stark steigen. Entgegen ihren Beteuerungen hat auch die Immobilienwirtschaft keine praktikablen Vorschläge gemacht, wie die Not gelindert werden könnte. Deshalb hält der Berliner Mieterverein den Kompromiss der Koalition auch für "eine historisch einmalige Chance". Zwar entsteht durch den Deckel keine einzige neue Wohnung, aber er gewährt 1,5 Millionen Haushalten in Berlin erst einmal eine Atempause. Wie lange die anhält, hängt auch davon ab, ob die juristischen Hürden genommen werden können. Die Bundestagsfraktion von CDU/CSU hat bereits angekündigt, den Mietendeckel vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen. Denn der Berliner Senat betritt juristisches Neuland. Die Frage ist, ob das Land seine Gesetzgebungskompetenz überschreitet. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier sieht das so; der Staatsrechtler Ulrich Battis hingegen hält den Mietenstopp für verfassungskonform, nicht aber, die Mieten zu senken.

Was kritisiert die Immobilienwirtschaft?

In einem offenen Brief an den Senat warnt ein breiter Zusammenschluss des Berliner Baugewerbes - von der Glaserinnung über den Immobilienverband IVD bis zur Volksbank - vor den Folgen des Mietendeckels. Vor allem, weil der Gesetzentwurf kaum Spielraum für Instandsetzungen und Modernisierungen lasse. Bereits mit der Ankündigung des Mietendeckels im Juni seien viele Aufträge zur Sanierung storniert worden. In Berlin leben etwa 11 000 handwerkliche Betriebe von der Bauwirtschaft, denen im kommendem Jahr die Arbeit ausgehen würde. Das Baugewerbe ist einer der wichtigsten Träger der an Produktionsunternehmen armen Berliner Wirtschaft. Zudem warnen die Unternehmen vor einem Verfall der Bausubstanz. In New York, wo in den Siebzigerjahren die Mieten reguliert wurden, waren ganze Viertel davon betroffen. Trotzdem hat New York gerade wieder einen Mietendeckel auf den Weg gebracht.

Welche Risiken gibt es?

Tatsächlich ist der Vorstoß der linken Koalition ein Kulturbruch für die Berliner Bauwirtschaft. Sie wurde lange Zeit von der Politik verwöhnt. In den vergangenen Jahren haben die Firmen in der Stadt so gut verdient wie selten zuvor. Obwohl der Mietendeckel explizit nicht für Neubauten gilt, könnte er die Stimmung für weitere Investitionen trüben. Aber das ist bisher nur Spekulation. Der Mietendeckel wird wegen einer Vielzahl an neuen Regelungen eine harte Aufgabe für die dauergestresste Berliner Verwaltung sein. Das Personal, das sich mit Bauanträgen beschäftigen soll, wird sich dann auch um den Mietendeckel kümmern müssen. Der Senat will zwar neue Leute einstellen, aber das wird wegen der eh dünnen Personaldecke in der Verwaltung kaum ausreichen.

Unklar ist zudem, wie es weitergeht, wenn der Mietendeckel nach fünf Jahren ausläuft. Denn der Mietspiegel, der als Orientierung gilt, wird durch den Mietendeckel für die 1,5 Millionen Wohnungen außer Kraft gesetzt. Einen neuen Mietspiegel kann es aber erst einige Jahre nach Ende des Mietendeckels geben, da nur die Mieten eingehen dürfen, die nicht gebunden sind. Diese Zwischenzeit könnten Vermieter nutzen, um Mieterhöhungen nachzuholen. Probleme könnten die betroffenen Mieter auch bekommen, wenn der Mietendeckel vom Verfassungsgericht verworfen würde. Dann könnten Vermieter versuchen, Verluste durch Mietsenkungen zurückzufordern.

Könnte der Mietendeckel Vorbild für andere Städte werden?

In München wird bereits ein Volksbegehren für einen Mietenstopp vorbereitet, auch andere Städte denken über ähnliche Regulierungen nach. Die Immobilienlobby arbeitet allerdings an einer bundesweiten Kampagne gegen den Mietendeckel - wegen der Ansteckungsgefahr aus Berlin.

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