Süddeutsche Zeitung

Mieten:Wie Vermieter mit Flüchtlingen Profit machen

  • Vermieter können für kleine und teilweise heruntergekommene Zimmer Luxusmieten verlangen.
  • Sie profitieren von hohen Flüchtlingszahlen.
  • Kommunen sind erpressbar, auch weil Flüchtlinge kaum Chancen auf dem Wohnungsmarkt haben.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Von dem Land, das ihn nach zwei Monaten Flucht erwartete, hatte sich Ghias Alhariri viele Vorstellungen gemacht. Doch eine Wohnung in der Luxuspreisklasse, ganz auf Kosten des Staates - so etwas hätte er nie erwartet. Das Berliner Apartment, in dem er jetzt lebt, kostet 1500 Euro Miete im Monat.

Für 1500 Euro könnte Ghias Alhariri mit seiner Frau auch in ein brandneues Hochhaus am Spreeufer ziehen oder in eine Vorstadtvilla. Sie aber leben in einem Haus in Mitte. Im Unterhemd lehnt Alhariri am Spülbecken, neben ihm stapeln sich Plastiktaschen bis unter die Decke. Seine Frau hat darin ihren gesamten Besitz verstaut. Denn außer für ein Doppelbett gibt es hier keinen Platz für Möbel. Es fehlt ihnen zudem ein Briefkasten: Post geht hier nur an die "Good Mood Living GmbH". Die Firma ist gerade mal 18 Monate alt und hat sich auf die "Vermietung von Ferienwohnungen" spezialisiert, auch wenn ihre Kunden meist gar keine Urlauber sind. Auf drei Stockwerken leben in diesem Haus Flüchtlinge. Oft müssen ganze Familien in einem einzigen Zimmer schlafen. Der Flurboden ist fleckig, im Erdgeschoss hängt eine Tür lose in den Angeln. Trotzdem zahlt die Stadt Berlin sehr gut für die Wohnungen: für einen Raum oft 50 Euro am Tag.

Private Vermieter verdienen im Augenblick bestens an den steigenden Flüchtlingszahlen. In einigen Städten können sie für kleine und teilweise heruntergekommene Zimmer hohe Tagespauschalen und langfristige Mietverträge verlangen. Die Kommunen sind erpressbar. Wenn ihnen eigene Unterkünfte fehlen, sind sie auf Privathäuser angewiesen, um Asylbewerber vor der Obdachlosigkeit zu bewahren.

Etwa 1300 Menschen schlafen in Berlin im Hotel

So lässt sich etwa Duisburg Medienberichten zufolge gerade auf einen Millionendeal ein, der einer Immobilienfirma 20 Jahre lang doppelte Mieteinnahmen in einem Bürogebäude garantieren soll. "Interne Unterlagen" wie Mietverträge kommentiere man nicht, heißt es von der Stadt. Im Dorf Happurg bei Nürnberg zahlt das Landratsamt einem Privatmann bald Preise an der "oberen Grenze des Mietspiegels", für die Arbeiterheime eines stillgelegten Wasserkraftwerks. In Berlin profitieren die Vermieter dubioser Ferienwohnungen von öffentlichem Geld. Hier stellt auch die Erstaufnahmestelle Lageso Asylsuchenden Gutscheine aus, etwa 1300 Menschen übernachten zurzeit in Hotels. Für welche Sorte Unterkünfte das Amt am Ende zahlt, kann es jedoch kaum überprüfen.

An einer Ostberliner Schnellstraße ist Yousef Alkhatib in das Plattenbau-Hotel AAP eingekehrt. In seinem Zimmer stehen zwei Betten und ein Mülleimer. Letzte Woche fiel der Strom für zwei Tage aus. Hier wohnt er mit seiner Mutter, die er im Rollstuhl nach Deutschland brachte. Mehr als 200 Flüchtlinge warten in diesem Haus auf ihr Asylverfahren, und für jeden Einzelnen zahlt das Amt bis zu 50 Euro pro Nacht. Im vierten Stock arbeiten Handwerker: Der Betreiber lässt neue Zimmer bauen, für noch mehr Gäste. Zwischen dem Schutt stehen auf einem abgewetzten Schreibtisch zwei Kochplatten und eine Mikrowelle. Das ist die inoffizielle Küche, für alle von ihnen.

An diesem Samstag schleppt Yousef Alkhatib seine Koffer in die Rezeption. Das Bett seiner Mutter war in den letzten Nächten leer geblieben, sie musste ins Krankenhaus. Am Morgen öffnete eine Frau die Tür: Er habe in dem Doppelzimmer geraucht, jetzt müsse er gehen. Den Hotelgutschein vom Sozialamt werde man aber behalten. "Holen Sie sich doch neue Papiere", sagt auch der Rezeptionist. "Es ist Samstag", sagt Alkhatib, "das Amt hat geschlossen." Yousef Alkhatib ist ein kräftiger Mann, fast zwei Meter groß, in Aleppo war er Pressesprecher für ein Unternehmen: "Geben Sie mir eine Bescheinigung, dass Sie mich rausgeschmissen haben", sagt er laut. Der Rezeptionist sieht ihn lange an. "Gut, Sie können bleiben", sagt er dann. "Behandelt uns einfach wie Menschen" sagt Alkhatib. Er ist immer noch wütend, blickt zum Ausgang. "Ich gebe Ihnen jetzt mal einen Rat", sagt der Mann hinter dem Tresen. "Hier rufen am Tag fünfzig Leute an. Nehmen Sie das Zimmer. Sie finden kein anderes."

Wenn es Abend wird in der Asylbehörde Lageso, können Vermieter und Hostelbetreiber ihre Kundschaft praktisch einsammeln. Dort, wo Hunderte Menschen noch immer wochenlang auf einen Termin warten, sitzen sie auf dem Bürgersteig, wenn es dunkel wird: Familien mit Kindern, Jugendliche, viele Männer, auf Decken und Kartons. Das Vordach der Berliner Staatsanwaltschaft schützt sie vor Regen. "Am Lageso ist abends ein reger Markt", sagt der Bezirksstadtrat Stephan von Dassel (Grüne). Hier würden die Asylsuchenden angesprochen, denn ihre Gutscheine sind begehrt: "Unseriöse Hostelbetreiber haben ihre offiziellen Preise längst auf die maximalen Kostenübernahmen des Lageso ausgerichtet." Das Amt überweise mittlerweile nur noch die halbe Miete, sagt eine Sprecherin, und überprüfe die Hostels später.

In der schleswig-holsteinischen Stadt Elmshorn hatte Bürgermeister Volker Hatje bereits Ende 2013 ein ähnliches Problem. Damals habe sich die AJ Immobilien-Management GmbH an das Rathaus gewandt und einen Tagespreis von 23,90 Euro für die Unterbringung von Asylbewerbern verlangt, inklusive Fahrdienst und Betreuung. "Das machen wir nicht", sagte Hatje damals. Doch bald stellte sich heraus: Die Nachbargemeinden hatten sich sehr wohl auf das Angebot der Firma eingelassen. Sie zahlten den Preis vor allem deshalb, weil die Firma ihnen angeboten hatte, auch ihre Asylbewerber in Elmshorn unterzubringen - und nicht im eigenen Ort. "Die konnten sich hinstellen und sagen: Bei uns ist die Welt noch in Ordnung", sagt Hatje: "Wir haben keine Ausländer." Erst mit einem "Fairness-Abkommen" bekam er die Lage in den Griff.

Kaum Chancen auf eine reguläre Wohnung

Das Geschäft mit den Flüchtlingen lohnt sich nicht nur dort, wo Wohnraum ohnehin knapp ist. Es ist auch deshalb so attraktiv, weil die Menschen kaum eine Chance haben, reguläre Wohnungen zu finden. Ghias Alhariri bekommt das jeden Tag zu spüren. Seit drei Monaten schreibt er Besichtigungstermine in ein kariertes Notizbuch. Seine Frau ist im sechsten Monat schwanger. In der Ferienwohnung passt neben das Doppelbett keine Wiege.

Am Freitagnachmittag folgt Alhariri einem Mann mit dunklem Schnurrbart durch einen Hinterhof. "Arabi?", fragt Alhariri. "Wat?", fragt der Mann. Dann versteht er: "Nein." Das Treppenhaus ist düster, die Räume aber groß genug. "Damit das gleich klar ist", sagt der Deutsche: "Die Küche bleibt drin. Hier wird nichts neu gemacht." Alhariris Augen werden groß, er lächelt dem Herrn entgegen. Wenn er die Sprache nicht versteht, probiert er es mit Freundlichkeit. Mit einer Hand berührt er den Herd. "Neu?", wiederholt er. Der Mann zieht die Brauen zusammen: "Nein!"

Eine Stunde später steht Alhariri im vierten Stock eines Hochhauses, siebzig Menschen drängen sich in eine leere Wohnung. Mit einem syrischen Pärchen kommt er ins Gespräch. Der Mann ist Banker, er schüttelt den Kopf: Knapp 2300 Euro zahle der Staat jetzt für ihr Zimmer in Flughafennähe. Der Säugling koste extra, etwa 25 Euro pro Tag. Die beiden seien schon seit einem Jahr auf der Suche. Der Grund? Seine Frau wählt ein deutsches Wort. "Ausländer", sagt sie.

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Quelle:
SZ vom 23.09.2015
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