Als das Land Berlin Mitte Mai den neuen Mietspiegel vorgelegt hat, da ging ein Raunen durch die Stadt. Innerhalb von nur zwei Jahren sind die ortsüblichen Mieten um knapp zehn Prozent gestiegen. Zwar bleibt Berlin günstiger als Hamburg oder München, doch sind die Einkommen dort im Durchschnitt auch niedriger. Auf Dauer könnten viele Menschen einen solchen Anstieg nicht verkraften, sagt Lukas Siebenkotten, Chef des Deutschen Mieterbundes (DMB). "Berlin zeigt, die Wohnungsmärkte in den Großstädten sind aus den Fugen geraten."
Eigentlich wollte der Staat die Preisspirale auf dem Mietmarkt anhalten. Vor zwei Jahren hat Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) die Mietpreisbremse eingeführt. Mittlerweile gilt in 313 Städten: Wenn ein neuer Mieter einzieht, dürfen Eigentümer höchstens zehn Prozent mehr verlangen als die ortsübliche Miete für Wohnungen dieser Qualität. Darüber darf der Mieter den Preis rügen, nachdem er eingezogen ist.
Trotzdem setzen Eigentümer vielerorts höhere Mieten durch. Zu stark ist die Nachfrage in den Städten, zu löchrig ist das Gesetz, zu viele Mieter scheuen den Konflikt.
Jüngst gestand das Justizministerium, dass die Mieten in Wohnungsinseraten gar schneller steigen, seitdem das Gesetz gilt. Im Jahr 2016 habe die durchschnittliche Kaltmiete bundesweit um knapp fünf Prozent angezogen. In den Vorjahren waren die Mieten jeweils nur um gut drei Prozent gestiegen, heißt es in einer Antwort des Ministeriums auf eine parlamentarische Anfrage. Ist die Preisbremse also gescheitert?
Mieter kennen die Vormiete nicht
Nicht unbedingt, sagt Reiner Braun. Sein Institut Empirica sieht Anzeichen dafür, dass der Anstieg ohne das Gesetz noch höher ausgefallen wäre. "Zwar hat die Mietpreisbremse nicht bewirkt, dass die Mieten nun gar nicht mehr steigen", sagt Braun. "Dieses Ziel hätte das Gesetz aber auch nie erreichen können." Der Forscher macht für die Entwicklung vor allem eine Ausnahmeregel verantwortlich: Wenn schon der vorherige Mieter mehr gezahlt hat als 110 Prozent der ortsüblichen Miete, darf der Eigentümer weiterhin mehr verlangen. "In aller Regel kennt der neue Mieter die Vormiete aber nicht", sagt Braun. Zwar darf der Mieter einen Nachweis einfordern, falls sich der Vermieter auf diese Sonderregel beruft. Doch wenn der Eigentümer darauf nicht reagiert, wie etwa Immobilienkonzerne in Berlin, muss der Mieter im Zweifelsfall vor Gericht ziehen. Die meisten Städter scheuen aber derlei Konflikte.
Union blockiert Verschärfungen
Justizminister Maas schlägt seit Monaten vor, das Gesetz zu verschärfen: Es müsste schon im Wohnungsinserat stehen, wie hoch die Vormiete war. Und Mietspiegel sollten künftig Preise der vergangenen acht Jahre berücksichtigen. Die Regierung habe den Entwurf zwar intensiv beraten, schreibt das Ministerium in der Antwort auf die parlamentarische Anfrage. Doch: "Das Gesetzgebungsverfahren kann in dieser Legislaturperiode nicht zum Abschluss gebracht werden." Die Union scheint ihr Ziel zu erreichen, vor der Bundestagswahl nicht am Mietrecht zu rütteln.
So fordert etwa die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker, Maas solle erst mal belegen, wie oft sich Vermieter tatsächlich auf Ausnahmeregelungen beziehen. Doch bislang hat das Ministerium dazu keine Erkenntnisse. Vor Monaten beauftragte Maas zwei Institute, die Wirkung der Preisbremse zu untersuchen. Das Gutachten wird derzeit formal überprüft; erst danach darf das Ministerium die Ergebnisse veröffentlichen. Dem Vernehmen nach haben die Statistiker keine große Bremswirkung nachweisen können.
Vermietern drohen keine Strafen
Neben der Vormiete kennt die Preisbremse Ausnahmen für neu gebaute oder sanierte Wohnungen. Seitdem das Gesetz gilt, werden in Berlin mehr Wohnungen als Erstbezug nach umfassender Modernisierung inseriert, beobachtet Empirica-Vorstand Braun. "Die Mietpreisbremse ist aber sicherlich nur ein Grund dafür." In Zeiten niedriger Zinsen investieren Eigentümer eher Geld in ihre Immobilien. Doch nicht immer seien teure Inserate durch Sonderregeln gedeckt, sagt Braun. "Zudem gibt es eine relevante Masse an Vermietern, die sich nicht an die Mietpreisbremse halten."
Strafen drohen ihnen nicht. Rügt der Mieter zu Recht einen überhöhten Preis, muss der Eigentümer erst von dem Tag an die zu viel gezahlte Miete erstatten. "Vermieter könnten also mit geringem Risiko eine widerrechtlich hohe Miete ausprobieren", sagt Arnt von Bodelschwingh. Sein Institut Regiokontext wertete im vergangenen Jahr im Auftrag des DMB Zehntausende Inserate in Berlin, Hamburg, München und Frankfurt aus. Je nach Stadt lagen demnach 66 bis 94 Prozent der Angebote über den zulässigen Mieten der jeweiligen Straßenzüge. Doch: In wie vielen Fällen die Ausnahmeregelung der hohen Vormiete greift, weiß auch Regiokontext nicht.
"Ein Grundproblem der Mietpreisbremse ist, dass ein Verstoß keine ernsthaften rechtlichen Konsequenzen hat", sagt Bodelschwingh. Anders war das etwa, als eine Miete 20 Prozent über dem ortsüblichen Niveau noch regelmäßig als Ordnungswidrigkeit galt. Mieter konnten solche Exzesse anzeigen; Vermietern drohten Geldstrafen bis 50 000 Euro. Heute hingegen hängt es vom Mieter ab, die Mietpreisbremse durchzusetzen. "Viele Mieter wollen aber nicht als Erstes ihren Vermieter abmahnen, nachdem sie endlich eine Wohnung gefunden haben", sagt Bodelschwingh.
Bundesweit nur wenige Urteile
Zwar bieten Mietervereine Onlinerechner und beraten ihre Mitglieder bei rechtlichen Schritten. Anfang 2017 hat sich zudem ein Rechtsdienstleister gegründet, der überhöhte Preise im Auftrag von Mietern rügt und ein Erfolgshonorar verlangt. Zehntausend Nutzer haben bisher den Fragebogen ausgefüllt; immer wieder einigen sich die Parteien außergerichtlich. Die Zahl der Urteile lässt sich an einer Hand abzählen, stets haben die Mieter recht bekommen. Doch die Fallzahl sei zu klein, gemessen an jährlich Hunderttausenden neuer Mietverträge, sagen Mieterschützer.
Wie lange sich Vereine und Anwälte überhaupt noch mit der Preisbremse beschäftigen werden, ist ungewiss. Die FDP würde das Gesetz, das zunächst bis 2020 befristet ist, am liebsten auslaufen lassen. Aus der Union kommen unterschiedliche Töne. Sicher scheint nur, dass eine rot-rot-grüne Regierung das Gesetz verschärfen und die Mietspiegel reformieren würde. Die Bundestagswahl wird somit zum Schicksalstag der Mietpreisbremse.
Doch bis dahin schlagen - wie in Berlin - die hohen Vertragsabschlüsse nun auf den Mietspiegel durch, der immer nur Neuverträge und Mieterhöhungen der vergangenen vier Jahre betrachtet. Und mit dem neuen Mietspiegel drohen vielen Mietern abermals Erhöhungen, weil Eigentümer die Miete regelmäßig an das ortsübliche Niveau anpassen dürfen. Die Preisspirale dreht sich somit munter weiter.