Süddeutsche Zeitung

Mieten:Der Wohnungsmarkt ist außer Kontrolle

Mietpreisbremse, der Name klingt wuchtiger als die Wirkung des Gesetzes sein wird. Trotzdem ist es richtig, dass der Staat in den Wohnungsmarkt eingreift. Sonst drohen Verhältnisse wie in französischen und britischen Großstädten.

Kommentar von Joachim Käppner

Ob in Hamburg, Frankfurt oder München: Bei Wohnungsbesichtigungen spielen sich manchmal Szenen ab wie aus einer Fernsehkomödie. Der Makler fährt in einem bonzenhaften Geländewagen à la Moskau Inkasso vor, mustert gleichgültig Dutzende Interessenten, die sich im Treppenhaus stauen, weiß nichts über das Objekt zu sagen, außer dass der Vermieter ganz sicher nicht selber für allfällige Reparaturen aufkommen wird. Am Ende wählt er dann einen aus, der bereit ist, die geforderte Fantasiemiete für eine unsanierte Wohnung Marke Nachkriegsbau zu zahlen.

Ein Klischee? Ohne Zweifel. Nur haben zu viele, die in begehrten Großstädten eine Mietwohnung suchten, genau das erlebt. Deutschland ist ein Mieterland, noch immer. Wenn der Staat aber soziale Segregation verhindern will, das Auseinanderdriften von Stadtgesellschaften in Viertel für Arme und Reiche, muss er handeln.

Der Name des Gesetzes klingt wuchtiger als die Wirkung sein wird

Die Mietpreisbremse, welche die große Koalition nach langer Debatte und gegen erhebliche Widerstände aus Union und Wirtschaft nun beschlossen hat, ist die richtige Konsequenz. Der Name klingt zwar wuchtiger, als die Wirkung des Gesetzes sein wird: Ein Staat kann nicht einfach auf die Bremse treten, und die jähe Beschleunigung der Mietsteigerung wäre plötzlich gestoppt. Die Bremse soll nur vorübergehend gelten und bloß in Regionen, in denen der Mietmarkt außer Kontrolle zu geraten droht.

Davon gibt es inzwischen einige. Die Metropolregion München, die in den kommenden Jahren stetig an Einwohnern gewinnen wird, ist nur der drastischste Fall, in dem das Angebot an Wohnraum viel kleiner ist als die Nachfrage.

In anderen Boomgegenden - Südbaden, dem Rhein-Main-Dreieck, Hamburg, um nur einige zu nennen - hat eine ähnliche Entwicklung bereits begonnen. Die Bremse wird dafür sorgen, dass sich der Anstieg der Mietpreise in halbwegs vernünftigen Grenzen hält - zumindest das.

Mieter müssen dreisteste Konditionen akzeptieren

Unter Ökonomen gelten derlei Eingriffe des Staates ins Wirtschaftsleben oft als Symptom obsessiver Regelungswut. Natürlich ist die Frage legitim, ob es Aufgabe des Staates sein muss, Mieten en détail zu deckeln. Allerdings ist die Antwort ebenso legitim: Ja, offenbar muss das leider sein.

Das viel beschworene freie Spiel der Marktkräfte ist so frei nicht, wenn die einen Mondpreise diktieren und die anderen mangels Alternative die dreistesten Konditionen akzeptieren müssen. Zum Beispiel: Drei Zimmer, 70 Quadratmeter, im Münchner Altbauviertel Haidhausen für 2500 Euro Miete plus Nebenkosten, Maklerkosten nicht eingerechnet.

Es ist sinnvoll, Ausnahmen zu machen

Wirtschaftsverbände haben gewarnt, die Mietpreisbremse vernichte Anreize, Wohnraum überhaupt erst zu bauen. Das war nicht ganz falsch, weswegen der Kompromiss akzeptabel erscheint, Neubauten und grundsanierte alte Wohnungen auszunehmen. Spekulanten werden diese Schlupflöcher zu nutzen wissen.

Andererseits sind die Kosten für Bauherren, auch durch die mitunter sinnfreien energetischen Vorgaben, inzwischen so hoch, dass die Miete nicht losgelöst davon betrachtet werden kann.

Mietpreisbremse soll sozialen Frieden bewahren

Die Mietpreisbremse ist kein Wunderheilmittel gegen überhitzte Immobilienmärkte. Aber sie ist ein sinnvolles Instrument unter vielen im föderalen System, die letztlich nichts Geringeres bewahren wollen als den sozialen Frieden. Nein, der Staat soll nicht alles regeln. Aber er darf auch nicht zulassen, dass die soziale Kluft zu groß wird, ob zwischen armen und schwachen Regionen oder innerhalb von Städten.

Die "Einheitlichkeit der Lebensbedingungen", die das Grundgesetz vorschreibt, heißt ja nicht staatlich erzwungene Gleichmacherei. Die Verfassung möchte aber schon, dass es nicht einfach den Marktkräften überlassen bleibt, was aus dem Gemeinwesen wird. Sie stellt dem Staat die Aufgabe, das Zusammenleben einigermaßen verträglich zu gestalten.

Manche Viertel an der Ruhr oder in Ostdeutschland lassen an Banlieues denken

Die Slums der Inner-Citys Großbritanniens demonstrieren, wie weit es kommen kann, wenn der Staat solche Eingriffe nicht als seine Aufgabe betrachtet. Wenn er die berüchtigte rote Linie achselzuckend akzeptiert, welche die teuren Viertel scheidet von den abgehängten Vorstädten der Banlieue. Diese nennt der französische Philosoph Jean Baudrillard "Auswüchse von Verbrechen und Spekulation, Reste, die niemals mehr gewesen sein werden als Reste. Man fragt sich, wie es zu dieser Selbstverachtung einer Zivilisation gekommen ist."

Hier die Reichen und jene, die sich die schönen Innenstadtquartiere gerade noch leisten können; dort die Slums - so weit ist es im reichen Deutschland noch nicht. Freilich sind die Zustände mancher Viertel an der Ruhr und der ostdeutschen Provinz ein Menetekel: Gefeit sind wir vor solchen Schreckensszenarien nicht.

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SZ vom 26.02.2015/cmy
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