Miete:Meine Wohnung? Hat der Chef gesucht

Siemensstadt in Berlin Siemens

Straßenkreuzung in der Berliner Siemensstadt in den 60er Jahren: In diesem Stadtteil baute das Unternehmen Wohnungen für seine Mitarbeiter.

(Foto: imago stock&people)
  • Um Fachkräfte zu bekommen, stellen mehr Betriebe ihren Angestellten günstige Wohnungen zur Verfügung.
  • Was nun wieder modern wird, hat eine lange Geschichte: Im 19. Jahrhundert begann in Deutschland der Werkswohnungsbau in großem Stil.
  • Der Ausverkauf der Firmen begann vor 20, 30 Jahren. Damals dachten viele, Wohnungen werden nicht mehr knapp - eine Fehleinschätzung.

Von Thomas Öchsner und Steffen Uhlmann, Berlin

Viele Unternehmen suchen händeringend Fachkräfte, immer mehr Menschen eine bezahlbare Wohnung - die Chance, zwei Probleme auf einen Schlag zu lösen, hat in der Wirtschaft ein altes Thema neu belebt: den Bau von Werkswohnungen. Für Arnt von Bodelschwingh vom Berliner Forschungs- und Beratungsinstitut Regiokontext zeichnet sich das Comeback der alten Werkswohnung schon seit mindestens zwei Jahren ab. "Allerdings frisch verpackt", sagt er. "In Konzepten zum Mitarbeiter-Wohnen."

Die Wirtschaft engagiere sich dabei "querbeet" - vom potenten Handwerksbetrieb bis hin zum Großkonzern, so Bodelschwingh. Das jedenfalls hat eine Untersuchung von Regiokontext ergeben, die das Institut am Mittwoch vorstellte. Die Wissenschaftler hatten eine erste Studie zum Thema Werkswohnungen bereits vor zwei Jahren vorgelegt. "Seitdem ist enorm was passiert", sagt der Studienleiter.

Für die Untersuchung "Wirtschaft macht Wohnen" befragte das Berliner Institut bundesweit 55 Arbeitgeber. Das Ergebnis: Vom Betrieb vermittelte und erst recht vom Betrieb gestellte Wohnungen sind wieder im Kommen, vor allem in Regionen, in denen die Wohnungsnot groß ist. "Mitarbeiter-Wohnungen sind kein exotisches Nischenthema mehr", sagt Bodelschwingh.

Sophie von Saldern, Personalchefin der Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB), setzt schon seit einigen Jahren auf den Wettbewerbsfaktor Mitarbeiter-Wohnungen. "Gute Fachkräfte sind in Ballungsgebieten wie Köln hart umkämpft", sagt sie. Zudem könne man als kommunaler Arbeitgeber bei der Bezahlung mit privaten Unternehmen nicht mithalten. Umso wichtiger seien die eigenen Wohnungen "im Wettbewerb um die besten Köpfe". Im Vergleich zum freien Markt seien die Mieten der Wohnungen sehr attraktiv, bestätigt Bernd Preuss, Chef der Wohnungsgesellschaft der Stadtwerke Köln, zu dem auch die KVB gehören. Die Sicherung von Fachkräften gehe dabei "über Renditeerwartung in diesem speziellen Wohnungsgeschäft". Die Quadratmeterpreise lägen zwischen einem und 3,50 Euro unter den marktüblichen Kölner Preisen für Kaltmieten. Trotzdem, so Preuss, erreiche die Wohnungsgesellschaft mit ihren knapp 2000 Mitarbeiter-Wohnungen eine "schwarze Null" zum jeweiligen Jahresende. Auch andere kommunale Unternehmen wie die städtischen Kliniken oder die Stadtwerke in München setzen wieder verstärkt auf Werkswohnungen. Der Vorteil: Oft können sie noch eigene Flächen nutzen, die sie nicht mehr brauchen. Dann fallen die Kosten für das Bauland weg, das knapp ist und sich in den Groß- und Universitätsstädten extrem verteuert hat.

Was nun wieder modern wird, hat eine lange Geschichte: Im 19. Jahrhundert begann in Deutschland der Werkswohnungsbau in großem Stil. Mit Beginn der Industrialisierung stieg die Wohnungsnot in den Städten. Für Fabrikarbeiter standen, wenn überhaupt, oft nur einfachste Schlafstellen und enge Kleinwohnungen in Mietskasernen zur Verfügung. Die Bevölkerung wuchs, Wohnungen fehlten, aber für die vielen ersten großen Fabriken waren dringend Arbeiter gesucht.

Eine betriebliche Sozialleistung

Los ging es mit dem Bau von Mitarbeiterwohnungen- und häusern zunächst in Bergbauregionen wie dem Ruhrgebiet, wo Zechenbetreiber 1846 die ersten Werkswohnungen errichteten. Unternehmer wie Alfred Krupp ließen ganze Siedlungen bauen. In Berlin schuf Siemens Wohnraum, in Ludwigshafen Chemiekonzerne wie BASF. Die Fabrikbesitzer konnten so auch Arbeiter an ihre Unternehmen binden. Die Werkswohnung avancierte zur betrieblichen Sozialleistung.

Nach dem zweiten Weltkrieg nahm ihre Bedeutung noch einmal zu. Noch in den 1970'er Jahren belief sich die Zahl der Werkswohnungen auf mehr als 450 000 in Deutschland. Doch davon blieb in den folgenden Jahrzehnten nicht mehr viel übrig.

Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW), schätzt, dass aktuell noch knapp 100 000 dieser Werkswohnungen vorhanden sind. Das Gros aber hätten die Unternehmen mit den Jahren abgestoßen. Der große Ausverkauf begann vor 20, 30 Jahren. Damals fingen Unternehmen an ihre Werkswohnungen zu versilbern, wie etwa die Deutsche Bahn, die ihre Eisenbahner-Wohnungen an die Deutsche Annington verkaufte - der Vorläufergesellschaft von Deutschlands größtem Vermieter Vonovia. Auch andere verhökerten ihren Werkswohnungen, wie RWE, die Deutsche Post, TUI, Bayer, Thyssen-Krupp, Daimler oder Siemens. Damals dachten viele, Wohnungen werden nicht mehr knapp, die Bevölkerung schrumpft ja sowieso. Außerdem wollten sich die Konzerne aufs Kerngeschäft konzentrieren und ihre Bilanzen verschönern. Aktiengesellschaften, die eigene Wohnungen besitzen, galten bei Anteilseignern und Finanzinvestoren als von vorgestern, zumal die Häuser in die Jahre gekommen waren.

Die Bundesregierung soll helfen

GdW-Präsident Gedaschko hofft nun, dass die Wiederentdeckung der Mitarbeiter-Wohnung dabei helfen kann, vor allem das Defizit an bezahlbaren Wohnungen für Haushalte mit mittleren und unteren Einkommen zu beseitigen. Von den etwa 400 000 Wohnungen, die jährlich in den nächsten Jahren in Deutschland gebaut werden müssten, sollten mindestens 140 000 Wohnungen für diese Einkommensklassen entstehen. Umso wichtiger sei das Modell "Mitarbeiter-Wohnen".

Der GdW ruft gemeinsam mit dem Deutschen Mieterbund, der IG Bau, dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes und weiteren Verbänden die Bundesregierung auf, bessere Rahmenbedingungen zum Bau von Mitarbeiter-Wohnungen zu schaffen. Die Verbandsinitiative fordert unter anderem steuerliche Freibeträge bei der verbilligten Überlassung von Wohnungen einzuführen, die rechtlichen Hürden für die Unternehmen bei der Aktivierung von unternehmenseigenen Grundstücken zu vereinfachen und den Bau von Mitarbeiterwohnungen in die soziale Wohnraumförderung der Länder einzubinden. Außerdem wünschen sich die Verbände, dass bundes- und landeseigene Unternehmen sich bei der Beschaffung von Mitarbeiter-Wohnungen stärker engagieren.

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