Midi-Jobs:Nur mittelprächtig beschäftigt

Midi-Jobs: Eine Kellnerin bedient zwei Gäste. Aufgrund des Fachkräftemangels trifft es das gastronomische Personal gerade besonders, wenn sich Kollegen krankmelden.

Eine Kellnerin bedient zwei Gäste. Aufgrund des Fachkräftemangels trifft es das gastronomische Personal gerade besonders, wenn sich Kollegen krankmelden.

(Foto: Ezequiel Gimenez/imago images)

Seit Arbeitsminister Heil die Midi-Jobs reformiert hat, fallen viel mehr Menschen in dieses Segment des Arbeitsmarkts. Aber hilft das Frauen aus der Teilzeitfalle?

Von Henrike Roßbach, Berlin

Die jüngste Reform der "Midi-Jobs" durch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat zu einem rasanten Anstieg dieser Form der Beschäftigung geführt. Das geht aus der Regierungsantwort auf eine kleine Anfrage der Linken im Bundestag hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Demnach hat sich die Zahl der Midi-Jobber nach Gesetzesänderungen Mitte 2019 mehr als verdoppelt.

Midi-Jobs gibt es seit 2003, sie sind zwischen Mini-Job und regulärer sozialversicherungspflichtiger Arbeit angesiedelt. Lange galt: Wer mehr als 450, aber weniger als 850 Euro im Monat verdiente, konnte das als Midi-Jobber tun und so Sozialversicherungsbeiträge sparen. Der Haken war, dass das zu entsprechend niedrigeren Rentenansprüchen führte. Dann aber hob Heil zum 1. Juli 2019 nicht nur die Verdienstgrenze auf 1300 Euro an, sondern führte gleichzeitig ein, dass die verringerten Rentenbeiträge der Midi-Jobber sich nicht länger negativ auf ihre spätere Rente auswirken.

Laut der Antwort des Arbeitsministeriums auf die Linken-Anfrage gab es im Dezember vergangenen Jahres gut 2,98 Millionen Midi-Jobber in Deutschland. Daten der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass es im Dezember 2018, ein halbes Jahr bevor die neuen Regeln in Kraft traten, erst 1,22 Millionen gewesen waren - also deutlich weniger als die Hälfte. Die meisten arbeiteten im Handel, im Gesundheitswesen, in Dienstleistungsberufen wie dem Wach- und Sicherheitsgewerbe und der Gastronomie. "Dass es mehr Midi-Jobber werden, wenn die Verdienstgrenze von 850 auf 1300 Euro hochgeht, ist klar und erst einmal trivial", sagt Enzo Weber, Ökonom am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Durch die Reform aber hätten sich auch die Anreize verändert: "Es gibt bessere Anreize, die Arbeitszeit aus Minijobs heraus zu steigern, weil die Rentenansprüche in Midi-Jobs ja jetzt subventioniert werden. Allerdings gibt es auch den Fehlanreiz, die Arbeitszeit von oben zu reduzieren. Diejenigen, die eigentlich mehr arbeiten könnten oder würden, bleiben möglicherweise lieber in der ausgeweiteten Midi-Job-Zone, weil sie da die Rentenansprüche geschenkt bekommen."

Midi-Jobs sind vor allem Frauen-Jobs

"Die zentrale Frage ist, woher die neuen Midi-Jobber kommen", sagt auch Markus Grabka, der beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) unter anderem zur Einkommens- und Vermögensverteilung forscht. Wenn es mehrheitlich ehemaliger Mini-Jobber seien, wäre diese Entwicklung erfreulich. Denn neben der Sozialversicherungspflicht hätten Midi-Jobs gegenüber Mini-Jobs auch den Vorteil, dass etwa Anspruch auf Kurzarbeitergeld bestehe. Sollten die neuen Midi-Jobber aber hauptsächlich aus einer regulären Beschäftigung in den ausgeweiteten "Übergangsbereich" gefallen sein, weil es für Arbeitgeber jetzt attraktiver ist, einen Midi-Job zu schaffen statt eines regulären Arbeitsplatzes, wäre das aus Grabkas Sicht weniger erfreulich. Um das herauszufinden, bräuchte man eine Verlaufsanalyse, die es seines Wissens nach noch nicht gebe. Die Zahl der Mini-Jobber ist zwar zwischen Ende 2018 und Ende 2020 um eine halbe Million gesunken, das aber lag auch am gestiegenen Mindestlohn und der Corona-Pandemie.

Weber vom IAB hält es für unwahrscheinlich, dass viele Mini-Jobber, die bislang 450 Euro verdient haben, jetzt in einen Midi-Job wechseln, weil sie den nun auch jenseits von 850 Euro ausüben können. Zudem bleibe der Fehlanreiz, dass jenseits des Minijobs die Steuerpflicht sofort einsetzt, ja bestehen. "Aber innerhalb der Midi-Job-Zone kann etwas passieren, dass zum Beispiel diejenigen, die 800 Euro verdient haben, jetzt auf 1000 Euro gehen - aber auch, dass jemand von 1300 Euro jetzt auf 1100 geht, um Sozialbeiträge zu sparen."

14,2 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen haben nur einen Midi-Job, bei den Männern dagegen sind es nur 4,3 Prozent. Gemessen an der Gesamtheit der Midi-Jobber sind drei Viertel Frauen. Linken-Fraktionsvize Susanne Ferschl, die die Anfrage an Heils Ressort gestellt hat, sieht dieses Konstrukt genau deshalb kritisch. "Großspurig verkündete die SPD, Frauen aus der Teilzeitfalle holen zu wollen", sagte sie der SZ. Die Folge von Heils Midi-Job-Reform aber sei, "dass sich insbesondere bei Frauen unterbezahlte Teilzeitarbeit verfestigt". Die derzeitige Regelung sei "eine Subventionierung mies bezahlter Arbeit".

Tatsächlich arbeiten laut BA-Statistik fast 90 Prozent der Midi-Jobber in Teilzeit. Teilzeitarbeit aber gilt als Altersarmutsrisiko für Frauen. Hinzu kommt: Laut Ministeriumsantwort arbeitet gut jeder fünfte Midi-Jobber unter seinem Qualifikationsniveau und 68 Prozent zu einem Niedriglohn, allerdings ist diese Zahl von 2018, neuere nach der Reform gibt es noch nicht. Den Sozialversicherungen entgehen bei einem Midi-Job von 875 Euro im Monat 22,56 Euro an Beiträgen, verglichen mit einer regulären Stelle. Die Mindereinnahmen durch die jüngste Reform summieren sich auf knapp 500 Millionen Euro im Jahr.

IAB-Ökonom Weber hält wenig davon, kleine Jobs auf Dauer zu begünstigen. Die Midi-Job-Förderung findet er insgesamt wenig zielgenau. "Es werden massiv Jobs subventioniert, unabhängig davon, ob der Midi-Jobber ein armer Schlucker ist oder mit einem gut verdienenden Partner zusammenlebt."

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