Gas über die Pyrenäen:Eine Pipeline, die Europa spaltet

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Gas über die Pyrenäen, Eine Pipeline, die Europa spaltet (Video: dpa)

Deutschland und Spanien wollen den Bau der Gasleitung Midcat gegen Frankreich durchsetzen. Der Streit droht einen Keil zwischen die Länder zu treiben. Und es bleibt die Frage: Nutzt die Röhre Deutschland überhaupt?

Von Celine Chorus und Michael Kläsgen

So angefasst hatte man Emmanuel Macron schon länger nicht gesehen. Noch am Montag war Frankreichs Präsident im schwarzen Rollkragenpullover betont leger im Kanzleramt aufgetreten. Doch mit der Lockerheit war es dann in Paris vorbei. Da reagierte er in einer Pressekonferenz nur sehr schmallippig auf Nachfragen zu den wiederbelebten Plänen Deutschlands und Spaniens zum Bau einer Pipeline über die französischen Pyrenäen.

Denn Macron will diese Pipeline nicht. "Ich bin nicht davon überzeugt, dass wir mehr Gasverbindungen brauchen", um die aktuelle Krise zu lösen, hatte er Olaf Scholz (SPD) schon am Montag entgegnet. Und ungewöhnlich schnippisch sagte er in Richtung Spanien: "Ich verstehe nicht, warum wir bei diesem Thema wie die Drosseln der Pyrenäen auf und ab springen sollten."

Das war wohl als Replik auf die schriller werdende Kritik in Spanien zu verstehen. Dort bemäkeln Kommentatoren den "französischen Riegel" und die "mangelnde Solidarität" Frankreichs in Energiefragen. Allerlei Ressentiments werden dort aufgewärmt, die weit in die Geschichte zurückreichen, was Russlands Machthaber Wladimir Putin nicht ungelegen kommen dürfte. Die Frage nach dem Gas und woher es kommen soll, sorgt nicht nur in Deutschland für Wirbel. Sie beginnt auch, einen Keil zwischen die Länder Europas zu treiben.

Deutschland und Spanien scheinen aber entschlossen zu sein, Frankreich noch vom Bau der Gaspipeline überzeugen zu können. Deutschland braucht Gas, Spanien hat mehr davon, als es selber braucht, nur Frankreich müsste als Transitland noch zustimmen. "Ich werbe ausdrücklich dafür, dass wir diese Verbindung schaffen", sagte Scholz. Mehrere Kabinettsmitglieder waren am Mittwoch zu Regierungskonsultationen nach La Coruña gereist.

Die Pipeline endet im Moment im Nirgendwo

Seit Monaten wirbt die spanische Regierung dafür, das stillgelegte Projekt fortzuführen. Die Idee für die sogenannte Midcat-Pipeline geht auf die frühen 2000er-Jahre zurück, begonnen wurde der Bau vor gut zehn Jahren. In Spanien ist die Röhre bis Hostalric 106 Kilometer südlich der Grenze gebaut, in Frankreich fehlen noch etwa 120 Kilometer. Ursprünglich sollte sie bis ins südfranzösische Carcassonne führen. 2017 wurde das Projekt jedoch wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit, aber auch aufgrund fehlenden Interesses Frankreichs abgebrochen. Umweltschützer haben bis heute ebenfalls Bedenken. Die Leitung endet im nordspanischen Girona - im Nirgendwo.

(Foto: SZ-Karte/Mapcreator.io/HERE/El Mundo, eigene Recherche)

Der Stopp der Gaslieferungen Russlands verändert nun aus Sicht Deutschlands und Spaniens die Dringlichkeit des Projekts. Bisher verlaufen zwei Leitungen über die Pyrenäen und verbinden Spanien mit dem Rest Europas. Ihre Kapazität liegt bei gerade einmal sieben Milliarden Kubikmetern pro Jahr, in der Vergangenheit waren sie aber trotzdem nicht ausgelastet. Zum Vergleich: Nord Stream 1 transportiert jährlich 55 Milliarden Kubikmeter. Midcat könnte den Export von weiteren 7,5 Milliarden Kubikmetern Gas pro Jahr ermöglichen und damit die derzeitige Kapazität Spaniens verdoppeln.

Zudem verfügt Spanien nicht nur über eine direkte Verbindung zu algerischem Gas, sondern auch über eine umfangreiche Infrastruktur für den Empfang von Flüssiggas (LNG). An der spanischen und portugiesischen Küste befinden sich viele der europäischen LNG-Terminals, an denen das verflüssigte Erdgas in seinen gasförmigen Zustand überführt und weitertransportiert wird. Sechs Anlagen stehen in Spanien, eine siebte ist im Bau - so viele wie in keinem anderen Land Europas. Allein in Spanien befinden sich so 34 Prozent aller EU-Kapazitäten, Flüssiggas in Gas umzuwandeln. Aus französischer Sicht steht hinter der spanischen Solidarität gegenüber Deutschland aber auch der Ehrgeiz des Landes, sich als eine der Schlüsselfiguren bei der Neugestaltung des europäischen Energiemarktes zu behaupten.

So sieht es aus, das Gastransportzentrum in Hostalric, wo die Midcat-Pipeline endet. In Frankreich fehlen noch etwa 120 Kilometer. (Foto: ---/dpa)

Laut Ministerpräsident Pedro Sánchez geht es bei der Midcat-Pipeline "um die europäische Versorgungssicherheit". Spanien könne zu einem Drehkreuz für den Export von Flüssiggas werden und sich zu einer "Alternative zum russischen Gas für viele EU-Länder" entwickeln. Frankreich solle daher "den Widerstand" gegen das Projekt aufgeben. Macron hingegen argumentiert, er sehe keine ihn überzeugenden Argumente für das Milliardenprojekt. Der Bau von Midcat würde zu lange dauern, um die drohende Energiekrise jetzt mit Flüssiggas zu lindern. Auch wäre es für Frankreich zu kostspielig und laufe den Bestrebungen zu einer Umstellung auf eine grüne Wirtschaft zuwider.

Auch Frankreich will sich als Gas-Exporteur positionieren

Regierungsvertreter in Spanien und Deutschland, so die Nachrichtenagentur Reuters, hätten hingegen behauptet, Frankreich wolle vor allem seine eigene marode Atomindustrie schützen und die Konkurrenz durch Spanien als Zwischenstation für importiertes Gas abwehren. "Macron steht zu Hause unter Druck von verschiedenen Gruppen, die das Pipeline-Projekt nicht mögen. Die größte ist sicherlich der Atomsektor", habe eine hochrangige deutsche Regierungsquelle Reuters gesagt.

"Wir haben nicht den Eindruck, dass das ausgeschlossen ist": Bundeskanzler Scholz (l.) und Spaniens Ministerpräsident Sánchez wollen Frankreich noch vom Bau der Pyrenäen-Pipeline überzeugen. (Foto: Miguel Riopa/AFP)

Macron verweist zudem auf eine Vereinbarung mit Deutschland, wonach Frankreich Gas an die Bundesrepublik liefert und im Gegenzug Strom erhält, um die durch die nötige Abschaltung seiner zum Teil veralteten Atommeiler entstandene Lücke zu füllen. Das vereinbarte Volumen soll etwa zwei Prozent des Gasbedarfs Deutschlands entsprechen. Auch Frankreich möchte sich als Gasexporteur in Europa positionieren. "Frankreich verfügt über LNG-Terminals, die Gas für ganz Europa verarbeiten können", wird eine französische Regierungsquelle zitiert. Schwerpunkt Frankreichs, so betonte es Macron wiederholt, soll in der Energieversorgung jedoch die Atomkraft bleiben.

Bleibt die Frage, inwieweit Midcat Deutschland überhaupt nutzen könnte. Josep Nuart, Sprecher einer spanischen Nichtregierungsorganisation, die gegen den Bau opponiert, sagt, dass diese Infrastruktur "nicht dazu dient, die Energiesicherheit zu gewährleisten". Seiner Meinung nach ersetze sie "nur drei Prozent des Gases, das 2021 aus Russland importiert" wurde. Die Pipeline diene daher nicht dazu, auch nur annähernd die energiepolitische Abhängigkeit von Ländern außerhalb der EU zu beenden. Zudem würde man nur neue Abhängigkeiten von Staaten schaffen, "die die Grundrechte nicht einhalten, wie Algerien oder Katar". Hinzu kommen Kosten für den restlichen Bau von schätzungsweise mehr als 440 Millionen Euro auf dann insgesamt etwa drei Milliarden Euro.

Scholz sagt hingegen schon im August, die Pyrenäen-Pipeline könnte "einen massiven Beitrag zur Entlastung und Entspannung der Versorgungslage" leisten. Mit Blick auf die Klimakrise soll Erdgas jedoch nur so lange wie nötig transportiert werden. Anschließend soll grüner Wasserstoff durch die Midcat-Pipeline fließen.

Die Regierung in Madrid hat auch schon Pläne für den Fall, dass sich Frankreich weiterhin gegen Midcat stemmt. Spanische und italienische Gasnetzbetreiber prüften bereits den Bau einer Pipeline von Barcelona in die italienische Hafenstadt Livorno. Kostenpunkt: knapp drei Milliarden Euro.

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