Süddeutsche Zeitung

Microsoft:Aufsichtsrat soll Druck auf Ballmer ausgeübt haben

Wie freiwillig war der Abgang des Microsoft-Chefs? Laut "All Things Digital" hatte der Aufsichtsrat Ballmers Zeitplan "drastisch" nach vorne gezogen - er solle lieber früher als später gehen. Auffällig ist auch, dass sich Bill Gates nicht öffentlich bei Ballmer bedankt hat.

Die Entscheidung kam überraschend: Steve Ballmer hat im Olymp der Tech-Götter keinen Platz mehr. Der Microsoft-Chef geht vorzeitig in Rente. Wie freiwillig hat er die Abschieds-E-Mail an seine Mitarbeiter verschickt? Offenbar hatten die neun Aufsichtsratsmitglieder ihn zuletzt "drastisch" zur Eile gemahnt, schreibt der gewöhnlich gut informierte Tech-Blog All Things Digital. Microsoft spricht öffentlich von einem ruhigen, gut geplanten Übergang, doch das stelle sich intern anders dar, erzählten anonyme Insider dem Blog. Ballmer habe eingesehen, dass er lieber früher als später gehen müsse.

Zu den Aufsichtsratsmitgliedern zählt auch Ballmers langjähriger Partner und Microsoft-Mitbegründer Bill Gates. Er gilt weiterhin als einer der wichtigsten Männer des Konzerns, der bei Entscheidungen dieser Tragweite großen Einfluss hat. Ins Bild passt, dass Ballmers vorzeitiger Abschiedsbrief keinen Dank an Bill Gates enthielt, dem er über Jahrzehnte eng verbunden war. Auch umgekehrt dankte Gates Ballmer nicht öffentlich. Zumal der erst vor Kurzem einen großen Umbau der Konzernstruktur angestoßen hatte - und ein Abgang direkt nach einem solchen Großprojekt eher ungewöhnlich ist.

Andere Microsoft-Quellen erzählten All Things Digital jedoch, dass es kein Zerwürfnis zwischen den beiden gebe: Immerhin wolle Ballmer noch ein Jahr voll bei Microsoft arbeiten und nicht zwölf Monate auf dem Abstellgleis geparkt werden. Eine große Verabschiedung hätte jedoch signalisiert, dass Ballmer keine Rolle mehr spiele. Gates habe Ballmer nicht zum Rücktritt gedrängt, sagt einer - vielleicht habe er nur nicht mehr so hinter ihm gestanden wie früher.

Sicher ist: Der Microsoft-Chef hinterlässt seinem Nachfolger eine Herkulesaufgabe. Er muss den Technologiekonzern zu neuem Leben erwecken, ein Unternehmen, das an allen Fronten gegen die Konkurrenz kämpft. Zwar ist das Betriebssystem Windows auf fast sämtlichen der in diesem Jahr verkauften 305 Millionen PCs installiert, wie das Wall Street Journal schreibt. Betrachtet man aber nicht nur PCs, sondern auch Smartphones, Tablet-Computer und weitere Geräte mit Internetzugang, laufe Windows nur auf rund 15 Prozent der Computer. Grund dafür ist der Aufstieg der Systeme von Google und Apple, die dort beliebt sind.

Ballmer hat den Aufbruch in die neue IT-Zeit verpasst. Eine eindrucksvolle Liste seiner Versäumnisse hat ebenfalls All Things Digital zusammengestellt. Eine Auswahl: Microsofts iPod-Konkurrent Zune wurde 2006 auf den Markt gebracht - und fünf Jahre später eingestellt. Die Suchmaschine Bing, die im Juni 2009 an den Start ging, hat einem jüngsten Comscore-Bericht zufolge gerade einmal 17,9 Prozent Marktanteil, Google kommt dagegen auf mehr als zwei Drittel. Und erinnert sich noch irgendjemand an Kin? Wohl kaum. Das Smartphone wurde 2010 lanciert - drei Jahre, nachdem Apple sein erstes iPhone präsentiert hatte, für das Ballmer zunächst nur Spott übrig hatte. Er lachte über "das teuerste Telefon der Welt" - zumindest dieses Zitat war erfolgreich, als Youtube-Video.

Nun wird also nach einem Nachfolger für den scheidenden Vorstandschef gesucht, intern wie extern. Zu den Managern, die in die engere Auswahl kommen dürften, zählt das Wall Street Journal den früheren Microsoft-Macher Paul Maritz, der heute den Geschäftssoftware-Entwickler GoPivotal leitet, sowie Nokia-Chef Stephen Elop, der zuvor die Office-Sparte von Microsoft führte.

Microsoft-Mitarbeiter sollen auch Tony Bates, ehemals Chef des Internettelefonie-Unternehmens Skype, und Satya Nadella als "heiße Kandidaten" sehen, wie das Journal schreibt. Nadella ist für den Cloud-Service von Microsoft verantwortlich. Bates arbeitete für Cisco; er kam zu Microsoft, nachdem das Unternehmen Skype für 8,5 Milliarden Dollar übernommen hatte. Bei The Verge ist man sich aber sicher, dass ein externer Chef bessere Chancen hat. Von ihm erwarte sich der Aufsichtsrat einen frischen Blick auf den IT-Konzern mit seinen 90.000 Mitarbeitern. "Diese Änderung an der Spitze ist die Chance auf eine Zeitenwende, die Möglichkeit jemanden zu finden, der einen neuen Ansatz findet, das Unternehmen in die Zukunft zu führen", sagte Paul Allen, der Microsoft gemeinsam mit Gates gegründet hatte, in einem Statement am Freitag.

An der Börse wurde die Zeitenwende jedenfalls begeistert aufgenommen: Steve Ballmer geht - als die Nachricht in der Welt war, schoss die Microsoft-Aktie augenblicklich nach oben, um mehr als sechs Prozent. Entsprechend stieg der Börsenwert um 18 Milliarden Dollar, schreibt der Ökonom Alex Tabarrok auf Marginal Revolution und merkt an. "Wenn Ballmers Ausstieg 18 Milliarden Dollar wert ist, dann sieht ein neuer CEO mit vielleicht 27 Millionen Jahresgehalt aus wie ein Schnäppchen." Da ist sogar noch ein goldener Handschlag für Ballmer drin.

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