Michael Otto im Interview:"Reiche sollten mehr Steuern zahlen"

Michael Otto zählt zu den reichsten Deutschen. Ein Gespräch über seine Kritik an Vermögenssteuern, die künftige Leitung der Otto-Gruppe und die Frage, warum er eine Pferdereise durch Kirgistan einem Yacht-Urlaub vorzieht.

Kristina Läsker und Ralf Wiegand

Michael Otto und seine Familie gehören mit einem geschätzten Vermögen von 8,5 Milliarden Euro zu den reichsten Deutschen. Aufgewachsen ist der Milliardär aber bescheiden. Am 12. April 1943 wurde Otto in Westpreußen geboren. Im Zweiten Weltkrieg musste die Familie flüchten und kam in ein Auffanglager in Norddeutschland. 1949 gründete sein Vater den Otto-Versand in Hamburg. Nach einer Banklehre studierte Michael Otto Volkswirtschaft und promovierte anschließend.

Verhandlungen über Schulreform gescheitert

Der Familienunternehmer Michael Otto lehnt eine Vermögenssteuer ab, plädiert aber für die Anhebung des Spitzensteuersatzes.

(Foto: dpa)

Mit nur 28 Jahren stieg er in den Betrieb ein, mit 38 übernahm er die Leitung. Heute ist die Otto-Gruppe mit einem Jahresumsatz von 10,1 Milliarden Euro der weltweit größte Versandhändler, das operative Ergebnis (Ebit) lag zuletzt bei 90 Millionen Euro. 2008 wechselte Otto an die Spitze des Aufsichtsrates, dort kümmert er sich um die Strategie und engagiert sich mit seinen Stiftungen für die Umwelt. Der SZ verriet Otto, wie er sich die Nachfolge an der Spitze des Versandhandelskonzerns vorstellt: So soll der familienfremde Manager Hans-Otto Schrader die Gruppe bis zu seiner Pensionierung 2017 leiten. Danach könnte dann Ottos Sohn Benjamin die Geschäfte übernehmen - wenn er denn will.

SZ: Herr Otto, in Ihrer Firma wird das iPad "als Revolution für den Versandhandel" gepriesen. Haben Sie selbst eines?

Otto: Klar. Das ist ein hervorragendes Medium, besser lesbar als ein Smartphone, handlicher als ein Laptop, und es kann Videos in guter Qualität zeigen.

SZ: Wie viele Anwendungen hat Otto denn schon auf dem iPad?

Otto: Wir haben zum Start des iPads in Deutschland einen Wohnkatalog als App herausgebracht, und wir bereiten weitere Anwendungen vor. Auch das iPad wird dazu führen, dass mehr Kunden mobil einkaufen. Aber die gedruckten Erzeugnisse werden bleiben. Unsere Umfragen zeigen, dass zwei Drittel der Internetnutzer sich im Katalog informieren, bevor sie kaufen. So ein Katalog ist praktischer, wenn ich mich auf die Couch oder im Garten in die Sonne lege.

SZ: Sie wollen den traditionellen Otto-Katalog nicht abschaffen?

Otto: Nein, absolut nicht. Wir bringen heute schon in der Gruppe jedes Jahr fast 2000 Spezialkataloge in kurzen Abständen heraus. Der Druck ist durch das Internet entstanden, dort können Sie stündlich neue Produkte zeigen.

SZ: Ein anderer berühmter Katalog, der von Quelle, ist mit dem Unternehmen verschwunden - und damit ein Stück Wirtschaftsgeschichte.

Otto: Mich hat das persönlich berührt. Ich finde es traurig, wenn Familienunternehmen verschwinden. Außerdem war es wichtig für uns, einen starken Konkurrenten wie Quelle zu haben. Daran kann man sich orientieren. Wir hatten Bedenken: Wenn ein so großer Versender vom Markt geht - heißt das eventuell, dass der Versand keine Chancen mehr hat? Doch es ist kein Imageschaden durch die Quelle-Insolvenz entstanden; ganz im Gegenteil. Durch Online wachsen wir.

SZ: Was hat Quelle falsch gemacht?

Otto: Ich sage lieber, was wir gut gemacht haben: Wir sind sehr früh mit voller Kraft in das Online-Geschäft eingestiegen. Und wir hatten über viele Jahre eine hohe Kontinuität im Management.

SZ: Otto hat von der Quelle-Pleite profitiert, der Umsatz ist um 150 Millionen Euro gestiegen. Sie haben auch die Markenrechte übernommen. Was haben Sie damit vor? Bisher ist das Angebot auf quelle.de ja noch nicht besonders, sagen wir, sexy.

Otto: Aus kartellrechtlichen Gründen durften wir seit März aktiv werden. Wir werden bis Mitte 2011 mit quelle.de eine Plattform für Technik und Einrichten schaffen. Otto ist traditionell stärker bei Mode, Quelle war es bei Technik.

SZ: Es hat eine bemerkenswerte Umkehrung stattgefunden. Früher war Versandhandel eher langsam und gemütlich, der stationäre Handel schnell. Heute bestellen Sie im Internet über Nacht die Waren, die das Geschäft um die Ecke ohnehin nicht vorrätig hat.

Otto: Alles ist schneller geworden. Online-Kunden wollen schnell bestellen und beliefert werden. Wir liefern zwar seit 20 Jahren im 24-Stunden-Service ...

SZ: ... war das damals nicht dieser Otto-Fahrer, der in der Werbung mit einem Kleid auf dem Kleiderbügel an der Tür klingelte?

Otto: ... richtig, mit einer Kleiderfolie darüber. Wir liefern wertvolle Kleider und Anzüge bis heute hängend aus, weil das eine knitterfreie Optik erlaubt. Aber damals war die Mehrheit nicht am 24-Stunden-Service interessiert. Künftig müssen wir 100 Prozent der Waren so schnell wie möglich ausliefern.

SZ: Amazon verkauft seit kurzem sogar Lebensmittel im Internet. Jetzt erwägt die Otto-Gruppe gleichzuziehen - warum? Unter Ihrer Führung hat man das schon versucht und scheiterte.

Otto: Vor zehn Jahren haben wir begonnen, im Großraum Hamburg Lebensmittel zuzustellen, und wir haben es wirklich professionell gemacht. Die Nutzer waren super zufrieden. Nur: Wir bekamen nicht genügend Kunden, das lohnte sich nicht. Das ist heute anders: Es gibt viel mehr Internetnutzer.

SZ: Können wir den nächsten Weihnachtsstollen schon online bestellen?

Otto: Mit Sicherheit nicht. Wir müssen erst prüfen, ob sich die Lage so geändert hat, dass sich die ganze Sache lohnt. Und selbst dann würden wir frühestens Ende 2011 starten.

"Ich kann mir nicht vorstellen, in die Politik zu gehen"

SZ: Herr Otto, seit Sie im Jahr 2007 an die Spitze des Aufsichtsrats gewechselt sind, widmen Sie große Teile Ihrer Zeit den Dingen außerhalb des Konzerns. Zuletzt haben Sie sich als Mediator im Hamburger Schulstreit engagiert. Warum?

Otto: Mich hatte Bürgermeister Ole von Beust darum gebeten, weil ich mich schon mit Schulpolitik beschäftigt habe. Ich hatte vor vielen Jahren das Hamburger Hauptschulmodell ins Leben gerufen, mit dem Schüler in eine reguläre Ausbildung gebracht werden.

SZ: Die Schulreform ist gescheitert, per Volksentscheid ist die Einführung der sechsjährigen Primarschule abgelehnt worden. Sind Sie gescheitert?

Otto: Nein. Die Gespräche waren wichtig, denn viele Verbesserungen, wie kleinere Klassen, bessere Ausbildung der Lehrer und mehr Ganztagsschulen sind noch in das Gesetz hineingekommen.

SZ: Wie haben Sie Politik erlebt?

Otto: Natürlich wird man manchmal ungeduldig, weil die Dinge nicht schneller gehen, aber das ist der demokratische Prozess. Im Unternehmen ist es aber auch nicht so, dass man etwas anweist, und dann wird es gemacht - die Zeiten sind mit Recht vorbei. Aber die Politik kann von der Wirtschaft lernen, wie man Prozesse organisiert und zu schnelleren Entscheidungen kommt. Etwas mehr Tempo müsste schon möglich sein.

SZ: Können Sie sich vorstellen, in die Politik einzusteigen? Mit Ian Karan ist gerade ein anderer Hamburger Unternehmer Wirtschaftssenator geworden.

Otto: Ich kann mir das nicht vorstellen. Wenn man so lange Unternehmer war, ist man zu ungeduldig. Und es bräuchte eine Weile, die Prozesse in Behörden zu begreifen. Was ich in der Politik schlimm finde: Wenn Entscheidungen getroffen sind, kommen sofort Einzelne und hinterfragen das in Interviews gleich wieder - obwohl sie selbst oder ihre Partei die Entscheidung mitgetragen haben! Das ist kein guter Stil.

SZ: Es wird also keinen Senator Otto im Hamburger Rathaus geben?

Otto: Jeder im Senat weiß, dass ich kein Berufspolitiker werden will und dass eine Anfrage keinen Erfolg hätte. Ich habe von außen mit meiner Wirtschafts- und Umwelterfahrung durchaus die Möglichkeit, mit Vorschlägen an die Entscheider heranzutreten.

SZ: Was war bei Ihnen zuerst da, das Gefühl, für das Gemeinwohl verantwortlich zu sein - oder kam erst der Erfolg und dann die Verantwortung?

Otto: Als erfolgreicher Unternehmer hat man die Pflicht, etwas für die Gesellschaft zu tun. Mich hat Anfang der siebziger Jahre der Bericht an den Club of Rome über die Grenzen des Wachstums sehr bewegt. Mir wurde klar, dass wir nur begrenzte Ressourcen haben. Ich fand es wichtig, Bewusstsein zu schaffen, aber noch wichtiger zu handeln. So habe ich Umweltschutz zum erweiterten Unternehmensziel erklärt.

SZ: Dann haben Sie die Michael-Otto-Stiftung gegründet, die sich für die Umwelt einsetzt. Viele Kritiker meinen, deutsche Stifter förderten zwar Heimat und Natur - den Planeten wollten sie aber nicht retten. Haben die Stifter den Klimaschutz verschlafen?

Otto: Es stimmt schon, es gibt sehr viel mehr kulturelle und soziale Stiftungen als solche, die sich dem Umwelt- oder Klimaschutz verschrieben haben, und Letztere meist nur regional. Leider gibt es nur wenige Stiftungen wie meine, die Forderungen an die Politik stellen.

SZ: Im August haben 40 amerikanische Superreiche versprochen, die Hälfte ihres Vermögens zu spenden. Ist das in Deutschland vorstellbar?

Otto: Ich finde es super, dass reiche Amerikaner viel Geld spenden wollen. Aber die Länder sind nicht vergleichbar. Traditionell waren in Deutschland die Steuern immer schon höher. Sozial- und Kulturthemen werden daher als Sache des Staates angesehen, dafür zahlen wir hohe Abgaben. In den USA waren die Steuern immer niedriger. Es besteht dort eine sehr viel größere Verpflichtung, etwas für das Gemeinwohl zu tun.

SZ: Dann sollten die deutschen Superreichen ihr Geld lieber behalten?

Otto: Nein. Hier gibt es seit langem eine Stiftertradition. Besonders in Hamburg haben Kaufleute immer das Gemeinwohl gefördert. Nur ist man zurückhaltender in der Außendarstellung. In Amerika spricht man gerne über sein Einkommen, sein Vermögen, seine Spenden.

"Ich gehe in Afrika in den Busch"

SZ: Bei einem Empfang reden Sie nicht über "meine Villa, mein Drachenboot, meine Stiftung"?

Otto: Nein. Aber in Amerika wissen Sie nach einer Viertelstunde alles über Ihren Gesprächspartner. Dort ist man stolz darauf, dass man viel verdient. Stolz, dass man viel hat. In Deutschland hält man sich zurück und denkt: Das erregt bloß den Neid anderer.

SZ: Ist Ihnen der Stolz sympathisch?

Otto: Im Grunde finde ich es richtig. Warum soll einer es nicht zeigen, wenn er etwas erreicht hat? Doch die Amerikaner übertreiben es schon sehr - da halte ich mich lieber zurück.

SZ: Was ist Ihr tollster Besitz?

Otto: Ich habe ein schönes Wohnhaus mit großem Garten. Außerdem habe ich wundervolle Bilder von Gegenwartskünstlern.

SZ: Keine Yacht? Kein Schloss?

Otto: Keine Yacht, kein Schloss, keinen Hubschrauber. Das brauche ich alles nicht. Mir ist es wichtig, die Welt zu erleben, was gar nicht teuer sein muss. Ich gehe in Afrika in den Busch. Oder ich reite mit dem Pferd durch Kirgistan. Oder ich ziehe mit einer Karawane durch die Mongolei. Da ist nur die Hin- und Rückreise teuer.

SZ: Wer nichts für das Gemeinwohl tut, soll wenigstens Steuern zahlen. In Deutschland fordern Dutzende Millionäre eine neue Vermögenssteuer. Sie auch?

Otto: Ich halte überhaupt nichts von einer solchen Substanzbesteuerung. Das würde bedeuten, dass vor allem mittelständische Unternehmen bei Verlusten auch noch Steuern zahlen müssten. Eine Vermögenssteuer ist der wirklich falsche Weg. Dasselbe gilt für Erben: Sie sollten nicht denjenigen hart besteuern, der ein Haus oder Unternehmensanteile erbt - das könnte beides gefährden.

SZ: Sollten Reiche nicht stärker besteuert werden?

Otto: Doch. Ich hätte keine Probleme damit, den Spitzensteuersatz für Besserverdienende anzuheben. Wer als Unternehmer gute Gewinne macht, muss auch entsprechende Steuern zahlen. Insgesamt bringt das alles viel mehr für den Staat als eine Vermögenssteuer.

SZ: Apropos Erbe: Otto ist ein Familienunternehmen. Vor drei Jahren hat mit Hans-Otto Schrader ein Familienfremder die Führung übernommen. Ist er nur eine Zwischenlösung, bis Ihr Sohn Benjamin einsteigt?

Otto: Zwischen meinem Vater und mir hatte bereits ein familienfremder Manager die Firma geleitet. Das war ein guter Übergang. Im Augenblick ist Herr Schrader eine exzellente Besetzung. Das wird bis zu seiner Pensionierung so bleiben.

SZ: Sie wollen also den Vertrag von Konzernchef Schrader in zwei Jahren um eine weitere Fünf-Jahresperiode verlängern?

Otto: Von meiner Seite aus schon, denn ich gehe davon aus, dass er auch künftig gute Leistungen bringen wird. Ob den Vorstandsvorsitz einmal mein Sohn übernehmen wird, muss man sehen. Mein Sohn ist heute erfolgreich selbständig tätig. In einigen Jahren will er wohl in die Otto-Gruppe kommen, sicherlich erst in die Geschäftsführung einer Tochterfirma. Wenn er weiter so begeistert ist und Leistung zeigt, steht es ihm offen, an die Spitze zu gelangen.

SZ: In Familienfirmen ist es wie in einer Monarchie: Immer herrscht die Sorge, ob der Älteste oder Beste es kann.

Otto: Ich habe versucht, meine Kinder an Otto heranzuführen, aber für meinen Sohn ist es schwieriger, als es damals für mich war. Wir waren ein Einzelunternehmen, als ich in den Vorstand kam. Heute besteht die Otto-Gruppe aus 123 Firmen in 20 Ländern. Ich übe keinen Druck auf meinen Sohn aus, er entscheidet selbst, ob und wann er einen solchen Schritt machen möchte.

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