Süddeutsche Zeitung

Michael Mertens und seine Start-ups:Blockchain? Ein Thema von 2004

Lesezeit: 3 min

Der Kölner Mathematiker hat bereits vor vielen Jahren mit dieser Technologie gearbeitet. Lange Zeit blitzte er bei den Unternehmen damit ab. Doch er gab nicht auf - es hat sich gelohnt.

Von Nils Wischmeyer, Köln

Als Michael Mertens seine erste eigene Blockchain verkauft hat, gab es das iPhone noch nicht. Gerhard Schröder war Bundeskanzler und der Song "Lebt denn der alte Holzmichl noch" stand eine Zeit lang weit oben in den deutschen Single-Charts. Das war 2004, und das Thema Blockchain selbst in der Tech-Szene nahezu niemandem geläufig. Heute kennt sie dort jeder, sie gilt als die wichtigste technische Veränderung seit dem Internet - und Mertens wird mit Aufträgen überhäuft.

Eine Blockchain muss man sich als große Kette von Datenblöcken vorstellen, die auf vielen verschiedenen Rechnern gespeichert ist. Ändert man die Datei auf einem Rechner, bleibt sie auf den anderen im Original erhalten und ist so vor Fälschungen geschützt. Dahinter steht ein komplexes mathematisches System.

Die Blockchain, die Mertens 2004 baut, erfindet nicht das Geld neu oder revolutioniert Banken. Sie sichert Sportwetten ab. Der studierte Mathematiker hatte damals sein erstes Start-up gegründet und als Kunden einen der größten deutschen Anbieter von Sportwetten gewonnen. Dieser wollte sicherstellen, dass die Automaten, die sich etwa in Wettbüros finden lassen, nicht nach Spielende gehackt und so manipuliert werden können. Mertens baute also ein dezentrales System auf Blockchain-Basis. Im Büro der Kölner Firma stehen noch immer zwei funktionierende Automaten. Mertens zieht 500 Euro aus seiner Anzugshose, schiebt den Schein ins vorgesehen Fach und wettet auf die Ergebnisse mehrerer Fußballspiele. Nach Abgabe der Tipps spuckt der Wettautomat einen Beleg aus. "Jetzt können selbst wir das nicht mehr manipulieren", sagt Mertens und erklärt begeistert die Mathematik dahinter, spricht von Verschlüsselung, von Trust, von Hashs und driftet in Fachtermina ab.

Bei der Blockchain geht es ihm selten um "disruptive Modelle" oder "revolutionäre Potenziale". Das unterscheidet ihn von denen, die das schnelle Geld machen wollen. Mertens spricht über Mathematik und Verschlüsselung, die zwei Themen, die ihn seit Jahrzehnten faszinieren. Mit 15 Jahren löst er Aufgaben, die im Mathematikstudium besprochen werden. Zeitgleich beginnt er zu programmieren. Mitte der 1990er arbeitet er neben dem Studium mit Wei Dai an dezentralen Lösungen für Geld. Dieser veröffentlicht 1998 das in der Szene berühmte b-money-paper. Bis heute gilt es als die Grundlage für die Krypto-Währung Bitcoin.

Die großen Konzerne interessierten solche Konzepte lange nicht. Bei ihnen blitzte Mertens mit seinen Lösungen reihenweise ab: zu komplex, zu kompliziert und überhaupt, warum sollte man sich die Mühe machen, so ein System aufzubauen? Mertens aber gab nicht auf. Er war überzeugt, dass das System die Welt gerechter machen kann: "Wenn Manipulationen auffliegen, gewinnen die Ehrlichen. Das wäre doch toll, oder?".

Wo kein Geld zu holen ist, steigen die Kriminellen aus, die Ehrlichen gewinnen

Über die Jahre wuchs das Interesse an der Technologie, einige mittelständische Firmen wurden aufmerksam. Als Mertens 2014 seine heutige Firma, die CryptoTec AG gründete, muss er längst nicht mehr arbeiten. Er hat seinen Lebensunterhalt und seine Rente bereits finanziert, erst mit Blockchain-Lösungen und später insbesondere mit Krypto-Währungen. Geld spielte für ihn aber sowieso selten eine große Rolle, es geht ihm um die Sache. Auf der Webseite von CryptoTec kann man ein Verschlüsselungsprogramm umsonst herunterladen, und seine Dienste stellt er nur in Rechnung, wenn die Unternehmen zufrieden sind.

Ende 2016 begann der Hype um die neue Technologie, und plötzlich brauchte jedes Unternehmen eine Blockchain, egal wofür. Dank der gigantischen Nachfrage wuchs CryptoTec rasant. Mehr als 50 Mitarbeiter beschäftigt Mertens mittlerweile. Die Firma hat Niederlassungen in Hongkong, Singapur und natürlich im Silicon Valley eröffnet, eine weitere Expansion ist nicht ausgeschlossen. Einige nordafrikanische Länder, die gerne eine eigene Digitalwährung einführen wollen, waren in den Kölner Büroräumen vorstellig, und auch die Konzerne sind nun wie elektrisiert, wenn es um das Thema geht. Aus nahezu jeder Industrie haben sich Branchengrößen in Köln gemeldet. Dazu gehören große Automobilhersteller wie auch Pharmahersteller, die mit Hilfe der Blockchain ihre Lieferketten sicherer machen wollen. Noch immer kosten gefälschte Produkte die Unternehmen viele Milliarden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass jedes Jahr circa eine Million Menschen sterben, weil sie gefälschte Arzneimittel nehmen.

Zusammen mit dem Pharmakonzern Merck arbeitet Mertens nun an einem System, das die Lieferkette des Unternehmens absichern soll. Dazu erhält jedes physikalische Produkt einen digitalen Zwilling auf der Blockchain. Will ein Apotheker ein Medikament verkaufen, muss er einen Code auf der Packung scannen. Dieser wird über ein Muster und eine Spezialtinte gesichert. Stimmen die Daten aus der Blockchain mit den gescannten Daten überein, handelt es sich um ein Original. Falls nicht, schlägt das System Alarm.

Besonders die Tinte auf dem Code sei sehr teuer und variiere bei jedem Produkt. "Für Fälscher macht es das unlukrativ, die Produkte zu fälschen", sagt Mertens. Und wo kein Geld zu holen sei, steigen die Kriminellen aus. Die Ehrlichen gewinnen, sagt er und grinst.

Für die Zukunft hat Mertens, wie so viele Krypto-Entwickler, große Pläne. Sein Ziel: Die ganze Welt soll verschlüsselt kommunizieren können. Dafür hat er zusammen mit seinem Team eine Plattform gebaut, über die Nutzer Nachrichten, Bilder oder auch Bitcoin innerhalb von Sekunden verschicken können. Wie die Branchenseite btc-echo berichtete, sei er damit sogar dem US-Militär voraus. Überprüfen kann man diese steile These nicht. Doch eins wird klar: Mertens hat auch nach 14 Jahren nicht genug. Er hat noch viel vor mit der Blockchain.

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Quelle:
SZ vom 06.04.2018
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