Hannover-Messe:Gefangen im Netz

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Eine Messehalle als umgebautes TV-Studio: Die Industrieschau Hannover-Messe wird erstmals vollständig digital in die Welt gestreamt. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Am Montag eröffnete die Bundeskanzlerin Angela Merkel erstmals eine rein digitale Hannover-Messe. Doch bei allem Bedauern über die Form überwiegt die Freude, überhaupt eine Plattform zu haben.

Von Katharina Kutsche

So ganz rund läuft es noch nicht, morgens um zehn Uhr in Hannover. Gerade hat Oberbürgermeister Belit Onay gesagt, er sei froh und stolz, dass die Stadt wieder die Welt zu Gast haben dürfe, bei einer rein virtuellen Hannover-Messe. Eine digitale Veranstaltung könne aber die persönlichen Kontakte nicht ersetzen, "ich hoffe, dass wir Sie nächstes Jahr wieder persönlich begrüßen können", so Onay. Dann springt der Livestream auf ein Standbild, spielt minutenlang Loungemusik, Zuschauer kommentieren mit Emojis, die ein schlafendes Gesicht zeigen. Man weiß nicht, ist die Schalte Absicht oder eine Fehlfunktion?

"Es ist nicht das Modell für die Zukunft, sondern das Modell für die Pandemie", sagte Messe-Chef Jochen Köckler in einem Vorgespräch. Denn ja, eine digitale Form der weltgrößten Industrieschau hat es in dieser Größenordnung noch nicht gegeben und sie ist allein der Corona-Lage geschuldet. Insofern steht der Deutschen Messe AG als Veranstalterin, aber auch den rund 1800 Ausstellern eine spannende Woche mit allerlei Lernprozessen bevor.

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Wichtiger aber ist: Die Hannover-Messe findet statt, zum üblichen Apriltermin, nur eben nicht wie sonst auf einem Gelände mit blühenden Kirschbäumen, sondern fünf Tage im Netz. Auf Basis dieser Erfahrungen werde man künftig "das Beste aus der digitalen und der analogen Welt zusammenführen", so Köckler.

Für Merkel ist es die letzte Eröffnung

Insofern ist die Freude bei den Beteiligten glaubhaft: Beim Oberbürgermeister, der nach der irritierenden Live-Warteschleife im Gespräch mit den Chefs der drei Industrieverbände wieder auf der Bildfläche erscheint. Bei Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der aus seinem Berliner Büro zugeschaltet ist und dessen pinkfarbene Krawatte sich etwas mit der Deutschlandfahne zu seiner Rechten beißt. Aber auch bei der Bundeskanzlerin.

Angela Merkel hat in 16 Jahren im Amt 14 Mal die Hannover-Messe eröffnet. Sie hat beim üblichen Rundgang durch die Hallen zahlreiche Hände geschüttelt, sowohl von Menschen als auch von Robotern. Bei ihrer letzten Messe als Kanzlerin hätte sie die Veranstalter und Teilnehmer erneut gern persönlich begrüßt, aber "die Pandemie verlangt Verzicht und Geduld von uns allen", so Merkel in einer Liveschalte aus Berlin. Die Veranstaltung sei ein Schaufenster der Innovationskraft, aber "wir haben als Deutsche auch immer gemerkt, welcher Wind der Konkurrenz uns um die Ohren pfeift".

Merkel schickt damit Grüße nach Jakarta, wo Joko Widodo, der Präsident Indonesiens, des Partnerlands der diesjährigen Messe, vor dem Monitor sitzt. 156 Teilnehmer aus dem Inselstaat zeigen sich auf der Digital-Edition der Hannover-Messe, Unternehmen, Start-ups und Verbände. Die Bundeskanzlerin verweist auf knapp 70 Jahre diplomatische Beziehung mit Indonesien. Man arbeite eng in multilateralen Foren wie den G 20 zusammen, wo das asiatische Land im kommenden Jahr den Vorsitz übernehme, während Deutschland 2022 die G 7 anführe. "Ich wünsche mir, dass unsere Länder ihre Zusammenarbeit weiter stärken, auch um die Herausforderungen der Pandemie zu bewältigen."

Sonst die prominenteste Halle gleich am Eingang, heute menschenleer: Die Halle 2 auf dem Messegelände in Hannover. Die Hygienehinweise dürften erst in der zweiten Jahreshälfte wieder gelesen werden. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Warme Worte zwischen geschäftlichen und politischen Partnern, schön anzusehende Bilder aus dem Partnerland - es ist also in der digitalen Form nicht alles anders als sonst.

In morgendlichen Pressekonferenzen etwa hatten sich wie üblich noch vor der Eröffnung die Chefs der großen Verbände zur Lage der Industrienation geäußert. Karl Haeusgen, Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), erhöhte dessen bisherige Prognose um drei Prozentpunkte und erwartet nun für 2021 ein reales Produktionswachstum von sieben Prozent. Im ersten Corona-Jahr sanken die Umsätze der Maschinenbauer von zuvor 229 auf 204 Milliarden Euro; für 2021 rechnet der Verband mit 218 Milliarden Euro. "Die Auftragsbücher sind gut gefüllt", so Haeusgen.

Auch der Zentralverband Elektrotechnik und Elektronikindustrie (ZVEI) geht für das laufende Jahr von einem Wachstum von fünf Prozent aus. Vier Fünftel des Produktionsrückgangs aus 2020 würden damit aufgeholt. Die Kapazitätsauslastung der Unternehmen sei fast wieder wie vor einem Jahr, sie liege bei rund 80 Prozent, so ZVEI-Präsident Gunther Kegel.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) erwartet "ein kräftiges Plus von acht Prozent gegenüber dem Vorjahr", sagt Siegfried Russwurm. Für das Bruttoinlandsprodukt korrigierte der BDI-Chef die Prognose vom Jahresbeginn um einen halben Prozentpunkt nach unten - wegen des andauernden Lockdowns. Man rechne nun mit einem Wachstum des BIP von drei Prozent.

"Weiterer Lockdown nicht angemessen"

Die drei Industrievertreter sind sich in vielerlei Hinsicht einig. Der Markt und die Entwicklung in China sei vielversprechend für die deutsche Wirtschaft, ebenso das Konjunkturpaket von US-Präsident Joe Biden. Die Branchen seien robust und widerstandsfähig, die Lieferketten noch etwas lückenhaft, man hoffe auf den Erfolg der Impfstrategie.

ZVEI-Präsident Kegel erklärt, dass einer Umfrage seines Verbands zufolge bereits mehr als 90 Prozent der Mitglieder ihre Mitarbeiterschaft auf das Corona-Virus testen. "Ein weiterer Lockdown für die Industrie ist daher nicht notwendig und auch nicht angemessen." Rund 70 Prozent der Beschäftigten in seiner Branche sei ohnehin im Home-Office. Ein harter Lockdown, der seiner Meinung nach "wirkungslos ist für die Inzidenz", würde einen abrupten Stopp in den Lieferketten bedeuten, bei denen es vier bis sechs Wochen brauche, um sie wieder hochzufahren. Damit wäre die Prognose hinfällig, "und es wäre das dritte Jahr in Folge ohne Wachstum", so Kegel.

Auch wenn es technisch am ersten Messetag noch nicht exakt so läuft, wie es soll, die Erleichterung, wieder eine Plattform zu haben, ist bei den Ausstellern groß. Wie sich die digitale Edition rechnet, wird sich zeigen. Jochen Köckler nennt keine Zahlen, sondern spricht von einem Businessplan mit einem Korridor, den man halten könne. Dass die Gäste nicht anreisen müssen, habe Chancen für eine mögliche höhere Reichweite gebracht, doch virtuelle Beiträge dürfen nicht beliebig sein: "Das Kunststück ist sicherlich, dass es eine Exklusivität haben muss." Mit vollumfänglichen, also hybriden Veranstaltungen rechnet der Messe-Chef erst für 2022, das zweite Halbjahr werde für das sukzessive Hochfahren der Messen stehen.

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