Süddeutsche Zeitung

Messewirtschaft:Leere Hallen, unsichere Zukunft

Für die Deutsche Messe AG war 2020 ein denkbar schlechtes Jahr. Das Beispiel aus Hannover steht für die gesamte Branche und alle, die von ihr abhängig sind.

Von Katharina Kutsche

Als ein Wechselbad der Gefühle beschreibt Jochen Köckler die vergangenen Monate. Erst musste der Vorstandschef der Deutschen Messe AG zig Veranstaltungen absagen, darunter die prestigeträchtige Industrieschau Hannover-Messe. Und dann drohte dem Unternehmen auch noch die Zahlungsunfähigkeit. Im November rang der Vorstand mit den Messeeignern, dem Betriebsrat und der IG Metall um eine Einigung. Seit Anfang Dezember steht nun fest, dass es weitergehen kann.

Fragt sich nur, wie.

Auf der hannoverschen Messe läuft derzeit nichts. Statt technischen Innovationen wird Besuchern bestenfalls eine medizinische geboten: Das Impfzentrum für die Region Hannover ist in Halle 25 eingerichtet. Vor dem Eingang Nord weist ein grünes Schild, messeüblich in zwei Sprachen, auf den Shuttlebus zum "Vaccination Centre" hin. Ansonsten ist es auf dem Gelände in Hannovers Süden nicht nur wetterbedingt trostlos: leere Hallen, kaum Menschen in Sicht, ein paar Krähen picken auf den leeren Parkplätzen herum.

Die Stimmung in Niedersachsen deckt sich mit der an den anderen Standorten. 25 Messegelände gibt es in Deutschland. Für die, die sie bespielen, war 2020 ein denkbar schlechtes Jahr. Wegen der Corona-Pandemie mussten die meisten Veranstaltungen abgesagt oder verschoben werden; genauso betroffen sind Tagungs- und Kongresszentren aller Art. Ein Desaster für eine Branche, in der es vor allem um das persönliche Zusammenkommen geht.

Zumal die Vorjahre gut liefen: 2019 gab es dem Branchenverband AUMA zufolge 163 nationale und internationale Messen in Deutschland, besucht von knapp zehn Millionen Menschen; die Zahl der Aussteller stieg minimal auf 180 472. Insgesamt machten die Veranstalter einen Gesamtumsatz von 4,1 Milliarden Euro.

Das beste Hygienekonzept nützt nichts, wenn der internationale Reiseverkehr eingeschränkt ist

So hätte es weitergehen können. Im November 2019, noch bevor die ersten Berichte über eine rätselhafte Lungenkrankheit in den Nachrichten auftauchten, ergab eine AUMA-Umfrage, dass mehr als 80 Prozent der Unternehmen so viel wie oder mehr in Messen investieren wollten als im Vorjahr. Dann bekam die Krankheit den Namen Covid-19, der erste Lockdown im Frühjahr zwang die Veranstalter zu Absagen. Das beste Hygienekonzept nützt nichts, wenn der internationale Reiseverkehr eingeschränkt ist.

Die Misere ängstigt Akteure weit über die Branche hinaus: Messebauer, Spediteure, Caterer. Hotels und Pensionen, die von Messegästen leben, genauso wie Restaurants, Kneipen und der örtliche Handel. Von dem Budget, das Besucher und Aussteller für Messen einplanen, entfällt nur rund ein Drittel auf Eintritt, Standmiete und -aufbau. 40 Prozent gehen an Hotels, Restaurants und werden für Reisekosten ausgegeben.

Diese Einnahmen fehlen auch dem ProMesse Hotel, das direkt neben dem Messebahnhof in Hannover-Laatzen liegt. Das Haus mit seinen rund 280 Betten ist seit dem 19. März durchgehend geschlossen, die 18 festangestellten Mitarbeiter sind in Kurzarbeit zu Hause. "Dadurch, dass alle Messen ausgefallen sind, hatten wir keine vernünftige Geschäftsgrundlage", sagt Hotelleiter Mario Perlitz. "Wir sind zu 100 Prozent von der Messe abhängig, nur fünf Prozent unserer Gäste sind touristisch."

"Wenn man genügend Rückstellungen hat, kann man solche Monate ausgleichen."

Als es im Frühjahr mit den Absagen losging, verschenkte das Hotel zuvor gekaufte Speisen und Getränke an Kindergärten, Krankenhäuser und die örtliche Tafel. Stammkunden habe man kostenfrei umbuchen lassen. "Wenn man genügend Rückstellungen hat, kann man solche Monate ausgleichen", sagt Perlitz. Der Betrieb bekomme staatliche Hilfen. Alles in allem könne das Team noch bis Juni nächsten Jahres überbrücken. Wie es genau laufen wird, weiß Perlitz aber nicht: "Der Kontakt zur Messegesellschaft war schon immer sehr kühl. Der Informationsfluss fehlt einfach."

Messe-Chef Köckler sagt, es habe schon früh einen runden Tisch mit Hoteliers, Gastronomen, Vertretern der Stadt und Finanz- und Wirtschaftsministern gegeben. Die Deutsche Messe war mit einem Umsatzplan von 330 Millionen Euro in das Jahr gestartet. Nach derzeitigem Stand bleibt weniger als ein Drittel sowie ein Verlust von 103 Millionen Euro. Um zahlungsfähig zu bleiben, brauchte das Unternehmen einen Notkredit von 122 Millionen Euro. Bürgen sollten die Stadt Hannover und das Land Niedersachsen als Eigner - die aber nicht dazu bereit waren, ohne dass die Messe kräftig spart und wieder wettbewerbsfähig wird.

Also erstellte der Vorstand mithilfe einer Sanierungsberatung einen Businessplan. So soll es mehr hybride und neue Messen geben, auch an der Entscheidung, das Gelände 5G-fähig zu machen, hält man fest. Die Einigung sieht aber auch heftige Einschnitte bei den Personalkosten vor; so muss etwa die Zahl der Mitarbeiter bis 2027 von 738 auf 525 gesenkt werden - sozialverträglich durch Fluktuation und Freiwilligenprogramme.

Die Sorgen haben sich nicht aufgelöst, die Zeiten bleiben schwierig

"Wir haben uns enorme Sorgen gemacht und sind glücklich, dass es zu einer Einigung gekommen ist", sagt Rainer Balke vom niedersächsischen Zweig des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga. "Aber die Sorgen haben sich nicht aufgelöst, die Zeiten bleiben weiter dürre." Wenn die Messe AG selbst schon sage, dass sie erst 2023 mit einem richtigen Geschäft rechne, müsse man kein nobelpreisprämierter Mathematiker sein, um zu erkennen, dass es bis dahin eng wird.

Auch Köckler sagt mit Blick auf 2021: "Das erste Halbjahr wird noch mal brutal schlecht." Danach soll es hybrid weitergehen: "Eine Messe mit klassischen Ständen, aber mit sehr professionellen Zusatzangeboten, wie man sie digital verlängern kann." Diese Digitalpakete sollen auch ohne physischen Stand buchbar sein - was ein Risiko ist, denn eine Messehalle ohne Mieteinnahmen ist totes Kapital.

In den vergangenen Monaten ist nun das "H'Up" entstanden, eine multifunktionale Eventlocation mit LED-Bühne und Streaming-Studio. Sie füllt eine komplette Halle mit mehr als 3000 Quadratmetern, "um Online-, Hybrid- & Live-Events aus einer Hand und an einem Ort abzubilden", so das Unternehmen.

Wenn die wichtigsten Wettbewerber physisch am Ort sind, fällt man digital schnell hinten runter

Erste Erfahrungen mit digitalen Events gibt es bereits: Im Juli fanden die Hannover Messe Digital Days statt, bei denen an zwei Tagen ein 90-stündiges Programm gestreamt wurde. Auch die Berliner Konsumelektronikschau Ifa bot im September nur eine kleine Präsenzmesse mit digitaler Erweiterung. Inwieweit so etwas auch außerhalb der Pandemie angenommen wird, ist fraglich. Wenn die wichtigsten Wettbewerber physisch am Ort sind, fällt man digital schnell hinten runter, gerade als Mittelständler und als Start-up.

Seit dem Herbst immerhin gab es auch im Ausland wieder einige Veranstaltungen, vor allem in China, wo viele deutsche Messegesellschaften investiert sind. Den Hannoveranern etwa gehört gemeinsam mit den Kollegen aus Düsseldorf und München ein Teil des Messegeländes in Shanghai. Doch internationale Gäste gab es dort nicht, wie auch, in der jetzigen Situation.

Die größte Sorge der Messemacher ist daher die Dauer der Pandemie. Für Aussteller geht es darum, zu zeigen, was man kann, aber gleichzeitig auch die Konkurrenz abzuklopfen, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu prüfen. Ohne Messeplattform mussten sich die Firmen überlegen, wie sie ihre Produkte an die Kunden bringen. In Zukunft wird sich zeigen, ob sie dafür gute und günstige Kanäle außerhalb teurer Messestände gefunden haben.

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