Messen in der Krise:Einsamer Schaulauf

Aussteller und Besucher bleiben den Messen fern. Das liegt einerseits an der Flaute - und zudem an veränderten Geschäftskonzepten.

Stefan Weber

So umworben fühlte sich Rolf Lehmann schon lange nicht mehr. Bereits mehrere Wochen vor Beginn der Konsumgütermesse Ambiente Mitte Februar in Frankfurt überschütteten Lieferanten und Geschäftspartner den Inhaber eines Geschäfts für hochwertige Geschenkartikel und Wohnaccessoires in Krefeld mit Einladungen zu dem Branchentreff. Am Telefon fragten sie zunächst höflich an, ob mit seinem Besuch zu rechnen sei. Eintrittskarten, die Lehmann in den vergangenen Jahren stets am Eingang des Messegeländes kaufen musste, legten seine Lieferanten dieses Mal der schriftlichen Einladung gleich bei - zum Nulltarif, versteht sich. Er wisse noch nicht, an welchem Tag er zur Ambiente kommen werde? Auch kein Problem. Für diesen Fall schickten einige Aussteller dem Einzelhändler kostenlos eine Dauerkarte.

Cebit, AP

Der Cebit und anderen Messen laufen die Besucher davon - nun umwerben sie Händler mit allerlei Aufmerksamkeiten.

(Foto: Foto: AP)

Seit die Besucherzahlen der Messen zurückgehen, hofieren die Aussteller ihre Kunden. Da gibt es Einladungen, Verlosungen, Rabatte und andere kleine Aufmerksamkeiten - nur, um Kunden an den Stand zu locken. Ähnlich freigiebig geben sich plötzlich die Messegesellschaften: Zur Paperworld beispielsweise, einer Messe für Bürobedarf Ende Januar, vermittelte die Messe Frankfurt Facheinzelhändlern günstige Reisepakete. Sie mussten keinen Eintritt zahlen, wurden kostenlos bewirtet und erhielten ein "Starterpaket" mit umfangreichen Gutscheinheften. "Damit wollen wir den Händlern von kleinen und mittleren Unternehmen die Sorge vor der Größe und Anonymität der Messe nehmen", begründete Michael Peters, Geschäftsführer der Messe Frankfurt, den Schritt.

Stoppen lässt sich der Besucherschwund durch so viel Großzügigkeit kaum. Nahezu alle Konsumgütermessen, die in diesem Jahr bereits stattgefunden haben, verzeichneten eine schwächere Resonanz. "Es gibt keine Veranstaltung, zu der nicht mindestens fünf bis zehn Prozent weniger Interessenten gekommen sind", sagt Werner Dornscheidt, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Düsseldorf.

Verschobene Gewichte

Die dort stattfindende Fach- und Publikumsmesse Boot besuchten zu Jahresbeginn fast 30.000 Wassersportanhänger weniger als im Jahr zuvor, ein Minus von elf Prozent. Die Manager der Kölner Möbelmesse registrierten im Januar einen Rückgang von sieben Prozent oder 7000 Besuchern. Noch schlimmer traf es ein paar Wochen später die Informations- und Telekommunikationsmesse Cebit: 400.000 Besucher bedeuten einen Rückgang von 20 Prozent.

Das hat natürlich mit der Konjunktur zu tun. Aber die Wirtschaftsflaute allein ist nicht schuld. Messen sind immer auch ein Spiegelbild der Entwicklung einer Branche, und da gibt es Trends, die solche Treffen für manche Besucher und Aussteller weniger wichtig werden lassen. Noch machen Messebeteiligungen im Schnitt etwa 40 Prozent des Marketingetats eines Unternehmens aus. Das hat der Ausstellungs- und Messeausschuss der deutschen Wirtschaft (Auma), der Verband der hiesigen Messegesellschaften, in einer Befragung ermittelt.

Aber die Gewichte verschieben sich. Zum Beispiel in der Modeindustrie: Zwar sieht sich die zwei Mal im Jahr stattfindende Igedo Fashion Fairs in Düsseldorf nach wie vor als wichtigster Treffpunkt für die Branche, aber ihre Bedeutung schwindet. Zur jüngsten Schau Anfang Februar kamen nur noch 1450 Aussteller, 300 weniger als im Sommer vergangenen Jahres.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum die Händler die Messen der Möbel- und Modemessen meiden.

Flaute bei Mode- und Möbelmessen

Auch die Besucherzahl war sehr viel niedriger als bei der Veranstaltung zuvor. Der Grund: Ein Großteil dessen, was sich früher auf der Messe abspielte, hat sich in sogenannte Showrooms verlagert. Das sind in der ganzen Stadt mehr als 500 Ausstellungsräume, in denen Hersteller ihre Kollektionen zeigen. Dort können sich Facheinkäufer das ganze Jahr über informieren und ordern, nicht nur an den wenigen Messe-Tagen.

Messen in der Krise: Die größten Messen Deutschlands sehen Sie in dieser Grafik.

Die größten Messen Deutschlands sehen Sie in dieser Grafik.

(Foto: Grafik: SZ)

Hinzu kommt, dass die Modebranche seit Jahren mit Überkapazitäten kämpft. Die Zahl inhabergeführter Fachgeschäfte schrumpft. Marktanteile gewinnen stattdessen Hersteller, die gleichzeitig auch Händler sind: H&M zum Beispiel oder Esprit und Gerry Weber. Alle verkaufen ihre Waren inzwischen in eigenen Läden. Sie benötigen keine Messe als Plattform zur Vorstellung neuer Kollektionen.

Auch in der Möbelbranche vollziehen sich Veränderungen, die an dem lange herausragenden Stellenwert der Leitmesse Imm Cologne rütteln. Das weltweit größte Treffen der Möbelindustrie findet regelmäßig im Januar in Köln statt. Doch die Einrichtungshändler rücken durch Übernahmen immer enger zusammen, zudem kooperieren sie häufiger im Einkauf. Die fünf größten Einkaufsverbände repräsentieren inzwischen 45 Prozent des gesamten Einzelhandelsumsatzes.

Unmut gegen Messen

Die Einkäufer von Verbundgruppen und Großkunden zieht es häufig nach Ostwestfalen, wo viele Möbelhersteller zu Hause sind. Sie besuchen dort entweder die firmeneigenen Ausstellungen, oder sie steuern die jeweils im Herbst stattfindende M.O.W. - Möbel Ordermesse Westfalica an, die als Dispositionstermin bedeutender geworden ist. Küchenhersteller haben der Neuheitenschau in Köln nahezu geschlossen den Rücken gekehrt, weil sie sich dort nicht angemessen repräsentiert fühlen. Versuche der Messegesellschaft, die Firmen mit einer eigenen Veranstaltung zurück an den Rhein zu holen, sind bislang gescheitert.

Auch in anderen Branchen regt sich Unmut gegen etablierte Messen. Etwa unter den Süßwarenherstellern, die sich traditionsgemäß zu Jahresbeginn in Köln auf der ISM treffen. Diesmal blieben dem Branchentreff mit Haribo sowie Wrigley erneut zwei prominente Unternehmen fern. Andere Hochkaräter der süßen Branche wie Ferrero, Kraft Foods, Nestlé oder Lindt sind schon länger nicht mehr dabei. Zur Begründung heißt es, Aufwand und Ertrag stünden nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis.

Mal wird der Termin kritisiert, mal verweisen die Unternehmen auf andere Veranstaltungen, bei denen sie sich über neue Produkte informieren. Dagegen macht Tobias Bachmüller, Präsidiumsmitglied des Bundesverbandes der Deutschen Süßwarenwirtschaft und Chef von Katjes, für sein Unternehmen eine andere Rechnung auf: Der Messeauftritt mache sich durchaus bezahlt - bereits ab einem zusätzlichen Auslandsauftrag.

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