Merkels Einsatz für die deutsche Autoindustrie:Wie ein Bulldozer gegen Klimaziele

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Kanzlerin Merkel will verhindern, dass die deutsche Autoindustrie leidet. (Foto: Getty Images)

Die Autohersteller Frankreichs und Italiens werden die Gewinner der neuen Klimaschutzziele sein, die Deutschen die Verlierer. Kanzlerin Merkel fährt schweres Geschütz auf, um das zu verhindern. Sie will den Beschluss aus Brüssel zugunsten Deutschlands abändern - und sucht nach Verbündeten.

Von Javier Cáceres und Cerstin Gammelin, Brüssel

Kürzlich hat die Europäische Kommission die deutsche Vorherrschaft im Fuhrpark der Kommissare beendet. Sie schaffte zwei Jaguare und zwei Volvos an und ließ nebenbei verlauten, dass sie die Markenvielfalt vergrößern wolle. Bis dato fuhr die Chefetage der Behörde ausschließlich deutsche Oberklasse.

Sehr viel besorgniserregender aber ist für die deutschen Autobauer ein völlig anderer Streit: Er dreht sich um die Klimaziele der Zukunft und damit auch darum, welche Hersteller künftig die meisten Autos verkaufen. Und so, wie es jetzt aussieht, werden die Gewinner die Kleinwagen sein und die Verlierer die schweren Limousinen.

Anders gesagt, die italienischen und französischen Hersteller werden vermutlich mehr Wagen verkaufen können, weil sie die 95 Gramm Kohlendioxid pro gefahrenem Kilometer, die von 2020 an gelten sollen, mit herkömmlicher Technik erreichen. Die deutschen Premiumhersteller können das nicht, weshalb sie um ihre Marktanteile bangen und Alarm geschlagen haben. Und weil die Autoindustrie zu Deutschlands wichtigsten Industrien gehört, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel schweres Geschütz aufgefahren, um dafür zu sorgen, dass dies so bleibt.

Sogar die ansonsten um bildliche Elemente verlegenen EU-Diplomaten verfallen in martialische Metaphern, wenn sie daran denken. "Brutal wie ein Bulldozer" sei das Auftreten der Deutschen gewesen, sagt einer, der ungenannt bleiben will. Der Sozialdemokrat Matthias Groote, Vorsitzender des Umweltausschusses im EU-Parlament, hat nichts dagegen, offen zu sagen: "Mutti ist mit der Brechstange losgezogen."

"Kein Kommentar"

Als verbürgt gilt, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel vor der Sitzung der EU-Botschafter vom 26. Juni massiven Druck entfaltete, um eine für diese Sitzung vorgesehene Abstimmung über die geplanten Kohlendioxid-Grenzwerte für Autos zu vertagen. Die Bundesregierung betont zwar, dass "mehrere Botschafter, darunter der deutsche", um Verschiebung gebeten hatten. Doch ein ranghoher EU-Diplomat sagt, dass die formelle Verabschiedung "nur deshalb vertagt" wurde, weil Merkel bei Polen und Briten die Solidarität der konservativen Volksparteien eingefordert habe. Und weil die Angelegenheit so heikel ist, wollen die Botschafter der Länder, die darüber Bescheid wissen, sich nicht zu erkennen geben. "Alles was ich dazu wusste, lief darauf hinaus, dass ich sagen musste: kein Kommentar", resümiert ein EU-Diplomat eines kleinen Euro-Landes.

Doch der Reihe nach: Bis Ende Juni führte Irland die Geschäfte der EU im Zuge der rotierenden Ratspräsidentschaft. Unter anderem handelt diese im Namen der 27 EU-Länder Kompromisse in strittigen Gesetzgebungsverfahren aus. Das führt meistens zu einem speziellen Verfahren mit dem Namen "Trilog". Verkürzt formuliert geht das so: Die EU-Kommission macht einen Vorschlag, das Parlament beugt sich drüber und arbeitet Änderungsanträge aus, die nationalen Regierungen machen das ebenfalls.

Dann trifft man sich zu Dreiparteiengesprächen, den sogenannten Trilogen. Daran nehmen teil: die Kommission, Unterhändler des Parlaments und die Ratspräsidentschaft, die ein Mandat erhält, um im Namen der mittlerweile 28 Regierungen zu verhandeln. Man einigt sich, das Ergebnis muss von Parlament und vom Rat formal abgenickt werden. Normalerweise werden solche Kompromisse durchgewinkt. Doch die Deutschen stellen den genau auf diese Art und Weise ausgehandelten Kompromiss jetzt infrage. "Das ist beispiellos", sagen EU-Diplomaten aus den verschiedensten Ländern.

Noch größer ist der Ärger, seit in Brüssel bekannt ist, dass Deutschland den Aufschub jetzt nutzen will, um den Kompromiss im Sinne der deutschen Autoindustrie zu ändern. Dabei zweifelt die Bundesregierung nicht das vereinbarte Ziel an, dass Neuwagen ab 2020 durchschnittlich nur noch 95 Gramm Klimagas pro gefahrenem Kilometer ausstoßen dürfen.

Merkel will nachbessern

Sie will aber erreichen, dass Regeln durchgesetzt werden, die es den deutschen Herstellern erlauben, diesen Wert praktisch nur rechnerisch zu erfüllen. Sie wollen beispielsweise jedes Elektroauto gleich mehrfach gegenüber schweren Wagen anrechnen lassen oder durchsetzen, dass man bis 2020 Einsparungen beim CO2-Ausstoß summieren, ansparen und nach 2020 wieder anrechnen kann. Zwar sind in dem irischen Kompromiss schon einige Vergünstigungen enthalten. Aber sie gehen den deutschen Herstellern nicht weit genug, weshalb Merkel nachbessern will.

Zunächst ging es ihr darum, Zeit zu gewinnen. Daran machte sie sich kurz vor dem EU-Gipfel am 27. Juni: Als verbürgt gelten Anrufe beim britischen Premier David Cameron und beim irischen Premier Enda Kenny. Merkel habe Kenny "ihr starkes Interesse" an einer Verschiebung "sehr deutlich" vorgetragen. Auch Frankreichs Präsident François Hollande willigte ein, Merkel Aufschub zu gewähren.

Doch als Berlin dann informell anfragen ließ, ob Paris einen nachgebesserten Kompromiss mittragen werde, reagierte Paris auf völlig unvorhergesehene Weise: Die Regierung billigte die Idee, bestimmte Mercedes-Modelle in Frankreich nicht zuzulassen - angeblich wegen eines klimaschädlichen Kühlmittels. Es ist eine doppeldeutige Begründung. Tatsächlich will Paris das Verbot als Warnung an die Deutschen verstanden wissen, nicht zu weit zu gehen mit dem Schutz der heimischen Autoindustrie.

Einige Länder stehen zu ihrer Unterstützung für die Deutschen. Ungarn etwa spielt mit offenen Karten. Man benötige keinen Anruf aus Berlin. "Wir wissen, wie wir abzustimmen haben", erklärte ein ungarischer EU-Diplomat. Ungarn habe "die deutsche Position wegen der starken Präsenz von deutschen Herstellern von Beginn an unterstützt". Auch Tschechien und die Slowakei stehen hinter Deutschland, Polen und Großbritannien halten sich bedeckt. Die anderen Länder sind mehr oder weniger klar dafür, den irischen Kompromiss ohne Änderungen zu billigen. Der nächstmögliche Termin dafür liegt im September.

Weil ein solcher Aufschub der deutschen Autoindustrie nichts nützt, versucht die Bundesregierung jetzt über den Sommer, Verbündete unter den Mitgliedsstaaten zu gewinnen, damit sie den irischen Kompromiss noch einmal aufschnüren kann - um ihn zugunsten der deutschen Industrie zu ändern. Das hat sich bereits unter den deutschen Autobauern herumgesprochen. Bei BMW hofft man darauf, im Oktober einen "Kompromiss 2.0" zu haben.

Klappt es nicht bis Oktober, könnte es eng werden für die deutschen Hersteller. Denn im November will das Europäische Parlament in erster Lesung über den irischen Kompromiss abstimmen - falls sich bis dahin nichts geändert hat, und auch dann, wenn die Mitgliedsstaaten sich bis dahin nicht bewegt haben. Für die erste Lesung können zwar alle Änderungsanträge wieder eingebracht werden, allerdings ist höchst unsicher, wie das Parlament abstimmen wird. Unter den Volksvertretern halten sich Industrie- und Umweltfreunde die Waage. Um zu verhindern, dass der irische Entwurf angenommen wird, muss Berlin vorher einen neuen Deal aushandeln.

"Deal ist Deal"

Der Unterhändler aus dem EU-Parlament, SPD-Mann Groote sagt, dass ihm bislang nicht offiziell signalisiert worden sei, dass ein neuer Trilog aufgenommen werden solle. Vorsichtshalber durchforstet er seine Mails im Urlaub nun besonders aufmerksam: "Ein Antrag müsste ja über meinen Schreibtisch gehen." Sollte tatsächlich einer kommen, "würde mich schon interessieren, mit welcher Zielsetzung" neue Verhandlungen angestrebt würden. Zu Zugeständnissen ist er jedoch nicht bereit. "Wenn die Klimaziele verschärft werden sollen, bitteschön, da wird es sicher Gesprächsbereitschaft des Europaparlaments geben", sagte er mit spöttelndem Unterton. Aber grundsätzlich gelte für ihn weiterhin, dass "wir einen Deal haben. Und ein Deal ist ein Deal".

Am Ende könnte alles an der litauischen Präsidentschaft hängen bleiben. Sie sagt bisher, man wolle um Unterstützung für den bereits ausgehandelten Kompromiss werben und über ihn abstimmen lassen, sobald es genug Befürworter gebe. Von neuen Verhandlungen ist nicht die Rede. 255 Stimmen werden die Litauer brauchen, um den Kompromiss zu verabschieden. 93 Stimmen brauchen die Deutschen, um ihn zu verhindern - und damit die Chance zu haben, das Paket wieder aufzuschnüren. Auf dass sich künftig nicht noch mehr ändert im Fuhrpark der EU-Kommission, vor allem aber nicht auf Europas Straßen.

© SZ vom 26.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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