Merkel und die Gewerkschaften:Neoliberale Gespenster

Angst vor dem Abbau von Arbeitnehmerrechten: Die Gewerkschaften zittern vor einem möglichen Regierungswechsel - und Bundeskanzlerin Merkel reagiert mit einer Kuschel-Strategie.

Thomas Öchsner

Franz-Josef Möllenberg, Chef der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), malt schon jetzt schwarz: Wenn nach einem möglichen Regierungswechsel Union und FDP gemeinsam an der Macht sind, müssten die Arbeitnehmer um ihre Rechte bangen. "Ich bin skeptisch, ob unter dieser Konstellation Frau Merkel bei ihrer Ankündigung bleibt, den Kündigungsschutz nicht anzutasten", sagte Möllenberg. Und auch DGB-Chef Michael Sommer zeigte sich am Freitag vor einem Treffen von Gewerkschaftschefs mit der Kanzlerin darüber irritiert, dass es nun wieder Angriffe auf den Kündigungsschutz gebe.

Verdi, Foto: dpa

Die Gewerkscahften haben Angst vor einem Regierungswechsel. Sie befürchten, eine schwarz-gelbe Koalition könnte Arbeitnehmerrechte beschneiden.

(Foto: Foto: dpa)

Hört man sich bei den Spitzenverbänden der Wirtschaft um, scheinen die Sorgen der Arbeiterführer berechtigt zu sein. Was lange in der Mottenkiste verschwunden war, haben die Lobbyisten der Unternehmen jetzt wieder hervorgeholt: Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) trommeln erneut dafür, den Kündigungsschutz zu lockern.

Angst vor "neoliberalen Projekten"

In einem Positionspapier der BDA ist etwa zu lesen: Der Kündigungsschutz müsse "Flexibilität mit Sicherheit vereinbaren". Das geltende Gesetz sei aber "aufgrund seiner Unkalkulierbarkeit ein Beschäftigungshemmnis, das weder das eine noch das andere garantiert".

Zumindest bei der FDP finden die Wirtschaftsverbände damit ein offenes Ohr. Im Wahlprogramm der Liberalen heißt es: "Der Kündigungsschutz sollte erst für Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten und nach einer Beschäftigungsdauer von zwei Jahren gelten." Derzeit ist der Kündigungsschutz viel enger gefasst: Nur in Betrieben mit bis zu zehn, teilweise auch bis zu fünf Beschäftigten gilt nicht der normale Kündigungsschutz.

Hat NGG-Chef Möllenberg also recht, wenn er vor einem Kahlschlag bei den Arbeitnehmerrechten warnt? Die Wahrscheinlichkeit, dass es so weit kommen wird, ist eher gering. Denn die Kanzlerin hat dazugelernt. Seit das Wahlergebnis der Union mit gut 35 Prozent 2005 ausgesprochen mager ausgefallen war, weiß Angela Merkel, dass sie eines vor allem nicht darf: das Wahlvolk mit vermeintlich mehr oder weniger "neoliberalen" Projekten verschrecken, etwa mit der gleich hohen Gesundheitsprämie für alle Bürger oder dem vom Steuerprofessor Paul Kirchhof propagierten einheitlichen Steuersatz von 25 Prozent.

Kanzlerin auf Kuschelkurs

Merkel tut deshalb alles, um die Angst vor "neoliberalen" Gespenstern zu vertreiben. Auch CSU-Chef Horst Seehofer und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) versicherten bereits, dass mit ihnen radikale Reformen am Arbeitsmarkt nicht zu machen seien. Stattdessen versucht die Kanzlerin, Nähe zu den Gewerkschaften zu zeigen. Beim Treffen mit den Arbeiterführern versprach Merkel DGB-Chef Sommer, den Kündigungsschutz nicht anzutasten, und lobte die Chefs von Verdi und Co. in den höchsten Tönen. Sie hätten wesentlich dazu beigetragen, dass die Kurzarbeit und andere Instrumente des Konjunkturpakets so gut angenommen worden seien.

Mit diesem Schmusekurs gegenüber den Gewerkschaften ist die Kanzlerin von ihrem Lieblings-Koalitionspartner, FDP-Chef Guido Westerwelle, weit entfernt. Der hatte vor Jahren die Vertreter der Arbeitnehmer noch als "die wahre Plage in Deutschland" beschimpft.

Die Gewerkschaften sind nicht das einzige Thema, bei der die Schnittmenge zwischen Schwarz und Gelb ziemlich klein ist. Aber darüber wird in der Union und bei den Liberalen vor den Wahlen öffentlich lieber nicht geredet.

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