Süddeutsche Zeitung

Merkel: Leere Kassen:Die Steuerlüge

Dreiste Märchen: Der Regierung fehlen fast 90 Milliarden Euro - doch Kanzlerin Merkel und ihre Unionisten tun so, als würde die Lücke von selbst verschwinden.

Ulrich Schäfer

Man muss nicht sonderlich gut rechnen können, um zu wissen, dass die nächste Bundesregierung die Steuern erhöhen wird. Und man muss auch nicht viel Phantasie aufbringen, um zu erahnen, dass die jetzige Kanzlerin auch die nächste Kanzlerin sein wird. Doch Angela Merkel und ihre Getreuen behaupten, dass sie die Steuern nach der Wahl nicht erhöhen werden. Auf keinen Fall! Niemals! Sie doch nicht!

Dies klingt aus Merkels Mund dann so: "Steuererhöhungen sind jetzt Gift und auch in den nächsten Jahren. Und deshalb kann man sich darauf verlassen: Wenn ich Nein sage, ist es Nein." Ihr Fraktionschef im Bundestag, Volker Kauder, assistierte: "Steuererhöhungen jeglicher Art schließen wir aus." Fast wortgleich steht dieses Versprechen auch im Wahlprogramm der Union.

Solche Sätze sollte man sich merken. Sie taugen, sollte Merkel im Amt bleiben, als Beweismittel für einen möglichen Untersuchungsausschuss, für einen Lügenausschuss. Einen derartigen Ausschuss hatte die Union im Herbst 2002 durchgesetzt, nachdem Hans Eichel und Gerhard Schröder zuvor im Wahlkampf versichert hatten, es gebe kein Haushaltsloch. Nach dem Wahltag fehlten dann, oh Wunder, 30 Milliarden Euro.

Diesmal wird noch frecher gelogen. Denn der Regierung fehlen 86 Milliarden Euro. So steht es im Etatentwurf für 2010. Das ist das Doppelte dessen, was sich Theo Waigel, der bisherige Schuldenkönig, 1996 leihen musste. Doch Merkel und ihre Unionisten tun so, als würde die Lücke von selbst verschwinden. CDU und CSU gaukeln den Wählern gar vor, dass sie die Steuern um einen zweistelligen Milliardenbetrag senken könnten.

Schön wär's. Das größte Bundeshaushaltsloch seit 1949, hervorgerufen durch die größte Wirtschaftskrise seit 1929, wird nicht von selbst verschwinden: auch nicht durch einen noch so steilen Aufschwung. Es wird Jahre dauern, ehe Deutschland die Folgen der Krise überwunden hat und die Steuereinnahmen wieder so sprudeln wie 2007 und 2008.

Es bedürfte also nie da gewesener Einschnitte in die Leistungen des Staates, um die Lücke im Etat etwas zu schmälern und gar Raum für Steuersenkungen zu schaffen. Der nächste Finanzminister könnte zum Beispiel den Zuschuss an die Rentenversicherung streichen, der in etwa den 86 Milliarden entspricht. Doch das hätte zur Folge, dass entweder die Renten um ein Drittel gekürzt oder die Rentenbeiträge um die Hälfte angehoben werden müssten. Der Finanzminister könnte auch alle Ausgaben pauschal um ein Viertel kürzen. Er wird dies nicht machen, denn dann könnte er gleich politischen Selbstmord begehen.

Also wird Merkel wie ihr Ziehvater Helmut Kohl die Steuern erhöhen. Dieser versprach im Wahlkampf 1990 blühende Ost-Landschaften und erweckte den Eindruck, als ließe sich dies aus der Portokasse bezahlen. Im Januar 1991 musste er dann einräumen, dass 46 Milliarden Mark fehlen. Der CDU-Kanzler erhöhte daraufhin die Steuern auf Benzin, Tabak und Versicherungen. Außerdem führte er den Solidaritätszuschlag ein.

Auch Merkel, zu der Zeit Familienministerin, wird nach der Wahl 2009 umfallen. Vermutlich wird dies nicht sofort geschehen. Denn natürlich ist es ziemlich gefährlich, mitten in einer Weltwirtschaftskrise die Steuern kräftig zu erhöhen. Reichskanzler Heinrich Brüning hat dies in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts getan, im fatalen Glauben, ein ausgeglichener Haushalt führe am ehesten aus der Depression; doch mit seiner Sparpolitik führte der "Hungerkanzler" das Land weiter in den Abgrund.

Die nächste Bundesregierung wird daher etwas zuwarten. Ein, zwei Jahre vielleicht. Spätestens wenn die Wirtschaft sich ein wenig erholt hat, wird jemand für die Rettung der Banken und der Wirtschaft bezahlen müssen. Und zahlen werden den Krisen-Soli nicht die Geretteten, also Banker und Manager. Zahlen werden alle Bürger - sei es über eine höhere Mehrwertsteuer; sei es über eine höhere Mineralöl-, Tabak- oder Einkommensteuer; sei es über alles zugleich. Spätestens dann wird man die Zitate von heute wieder hervorholen müssen.

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SZ vom 30.06.2009/mel
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