Süddeutsche Zeitung

Weltwirtschaftsforum:Warum Merkel in Davos so gut ankommt

  • Bundeskanzlerin Merkel war oft in Davos - und sie sagt, was die Besucher hören wollen.
  • Viele von ihnen können sich längst eine größere Rolle für Merkel vorstellen.

Von Bastian Brinkmann und Meike Schreiber, Davos

Kommt da die nächste UN-Generalsekretärin auf die Bühne? Viele internationale Gäste des Weltwirtschaftsforums erwarten noch Großes von Angela Merkel, auch wenn sie selbst immer wieder gesagt hat, dass sie nicht in eine internationale Organisation wechseln will. Der Ruf der Bundeskanzlerin ist im schweizerischen Davos jedenfalls besser als im sächsischen Riesa. Sie spricht dieses Jahr zum zwölften Mal in Davos, fast jedes vierte Weltwirtschaftsforum in der 50-jährigen Geschichte dieser Konferenz hat sie besucht.

Und sie sagt, was die Davos-Besucher hören wollen. Sie spricht sich ausdrücklich für den Multilateralismus aus, also für das gemeinsam abgesprochene, internationale Vorgehen. Es habe beispielsweise Fortschritte beim Kampf gegen Polio gegeben, lobt sie in ihrer Rede: "Das wäre durch nationale Alleingänge nicht möglich gewesen."

Ausdrücklich stellt sie sich auch hinter den Klimaschutz. Sie lobte den Vorstoß der Europäischen Union, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden. Das könne "eine Frage des Überlebens für den ganzen Kontinent sein". Der Kampf gegen den Klimawandel erfordere Transformationen von gigantischem, historischem Ausmaß. Die gesamte Art des Wirtschaften und des Lebens, wie wir es uns im Industriezeitalter angewöhnt hätten, müsse in völlig neue Formen überführt werden.

"Das ist ein gewaltiger Schritt für die Leute, die bei uns Kohle abbauen"

Dem internationalen Publikum in Davos stellt sie die Ziele der deutschen Energiewende vor, ein bisschen Stolz schwingt dabei mit: Ausstieg aus der Atomkraft bis 2022, aus der Kohle bis spätestens 2038. "Das ist ein gewaltiger Schritt für die Leute, die bei uns Kohle abbauen", sagt Merkel. Da blieben gesellschaftliche Konflikte nicht aus, die ausgetragen werden müssten. Aber Demokratien hätten "die Aufgabe, den einzelnen Menschen mitzunehmen". Das größte Spannungsfeld sieht Merkel zwischen Stadt und Land. Städter könnten beispielsweise leichter auf ihr Auto verzichten und neue Mobilitätsangebote nutzen, während Landbewohner längere Wege hätten und dann auch noch ein Windrad vor Tür. Auch diejenigen, die glauben, dass die Zeit nicht dränge, will Merkel mitnehmen: "Wir müssen die Emotionen mit den Fakten versöhnen, das setzt voraus, dass man miteinander spricht", sagt sie.

Im Gespräch bleiben, das will Merkel nicht nur bei der deutschen Debatte über die Energiewende, sondern auch auf internationaler Ebene, wie am Wochenende beim Libyen-Gipfel im Bundeskanzleramt. Deutschland übernimmt in der zweiten Jahreshälfte die europäische Ratspräsidentschaft und setzt damit die Agenda für die Debatten der EU-Mitgliedsstaaten. Und dort stehen - natürlich - internationale Gespräche, kündigt Merkel an. In Brüssel werde ein Gipfel mit den afrikanischen Staaten stattfinden, und zwar nicht zu Themen, die die Europäer diktieren, sondern zu denen, die den Afrikanern wichtig seien. In Leipzig soll außerdem der erste EU-China-Gipfel stattfinden.

"Die deutsche Autoindustrie ist sehr verwundbar und Trump zielt genau darauf"

Nicht alle internationalen Gespräche verlaufen zur Zufriedenheit der Kanzlerin, ließ Merkel durchblicken - ohne US-Präsident Donald Trump beim Namen zu nennen. Die von Trump am Vortag in Davos eingeforderten Verhandlungen über mögliche Handelserleichterungen lässt sie in der Rede gänzlich unerwähnt. Bis November sollen EU und USA Handelsbarrieren abbauen, hatte Trump verlangt, sonst würde er Zölle in Höhe von 25 Prozent auf Autos verlangen.

Handel ist damit neben dem Klima plötzlich das zweite große Debattenthema auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. "Die deutsche Autoindustrie ist sehr verwundbar und Trump zielt genau darauf", sagt Chris Williamson, der Chefökonom des Finanzdienstes IHS Markit, der mit Frühindikatoren nachspürt, wie sich die Konjunktur entwickeln wird. Nun herrsche wieder Unsicherheit - das ist immer schlecht für Investitionen und damit für das Wachstum. Williamson erwartet trotzdem noch 0,4 Prozent Wachstum dieses Jahr für Deutschland. Das ist nicht mehr weit über Null, aber selbst im Falle schärfster Autozölle hält er eine Rezession in Deutschland für eher unwahrscheinlich. Die deutschen Konsumenten kaufen fröhlich ein und die Bundesregierung hätte viele Möglichkeiten, mit Staatsausgaben gegenzusteuern.

Auch Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing reagiert gemischt aufs Trumps Drohung: "Das wird Europa nicht in eine Rezession stürzen, aber es ist der nächste Weckruf, dass wir in Europa enger zusammenrücken müssen", sagte er auf einer Podiumsdiskussion in Davos. "Wir sehen einfach, dass jedes Land in Europa für sich selber zu klein ist, um im Wettbewerb mit China und den USA zu bestehen." Deutsche-Post-Chef Frank Appel fragte, ob Trump vielleicht blufft: "Ich glaube nicht, dass die USA ein Interesse daran haben, Europa in eine Rezession zu stürzen. Mal sehen ob das kommt."

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SZ vom 24.01.2020/hgn
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