Süddeutsche Zeitung

Angela Merkel beim SZ-Wirtschaftsgipfel:"Dass es manchmal etwas zu langsam geht, das bedauere ich"

Auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel gesteht Angela Merkel ihre Ungeduld ein und warnt davor, die Pandemie-Ausgaben mit denen für die Bekämpfung des Klimawandels zu vergleichen.

Von Vivien Timmler

Keine 14 Stunden ist die Videokonferenz von Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten zum weiteren Vorgehen in der Corona-Politik her, da sitzt Angela Merkel schon wieder vor einer Kamera. Sie eröffnet den zweiten Tag des Wirtschaftsgipfels der Süddeutschen Zeitung, zugeschaltet aus dem Kanzleramt. Angesprochen auf die wenigen Ergebnisse des Vorabends gibt Merkel zu, dass sie sich "noch ein paar mehr Beschlüsse" hätte vorstellen können. "Dass es manchmal etwas zu langsam geht, das bedauere ich", so die Bundeskanzlerin. Wegen der Risiken für das Gesundheitssystem. Aber auch weil es letztlich mehr Geld koste: Wenn man früher agiere, könne man Beschränkungen auch schneller wieder lockern. "Deshalb bin ich da manchmal ungeduldig, das stimmt, aber insgesamt ist der Föderalismus schon eine gute Sache."

Die aktuelle Lage in Deutschland beschreibt sie im Gespräch mit SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach als "unverändert ernst". Die Priorität müsse nach wie vor darauf liegen, eine Überlastung des Gesundheitswesens zu vermeiden. Sie wisse, dass die Corona-Einschränkungen eine "demokratische Zumutung" seien, die Entscheidung darüber gehöre zu den schwersten ihrer Amtszeit. Sie sei jedoch "unvermeidlich." "Dieses Virus lässt sich nicht mit Gesetzen bekämpfen", so Merkel, "sondern es führt uns zu etwas sehr Unmenschlichem, nämlich Distanz zu halten."

Trotzdem gelte: Erst wenn es gelinge, die Infektionszahlen zu senken und auf niedrigem Niveau zu halten, "dann wird auch die wirtschaftliche Erholung deutlich an Fahrt gewinnen". Es sei ein häufiges Missverständnis, dass es um Gesundheit oder Wirtschaft, Gesundheit oder Kultur, Gesundheit oder Bildung gehe. Stattdessen gehe es immer um ein Miteinander. "Wissenschaftler haben immer wieder festgestellt: Eine gut beherrschte Pandemie ist für die Wirtschaft das Beste."

Ihr sei vollkommen bewusst, dass viele Branchen sich gerade "durch eine besonders harte Durststrecke durchkämpfen", so Merkel, etwa die Gastronomie oder die Eventbranche. Ziel müsse es weiterhin sein, Unternehmen zu unterstützen, "die eigentlich gesund sind, aber unter den Folgen der Pandemie schwer leiden", und zwar "aller Größenordnungen und aus allen Branchen". Dafür nehme die Bundesregierung eine "außerordentliche Neuverschuldung" in Kauf - wobei das milliardenschwere Konjunktur- und Investitionspaket bereits maßgeblich dazu beigetragen habe, dass es in der zweiten Jahreshälfte wirtschaftlich wieder aufwärts gegangen sei. "Ich glaube, dass wir am Ende dieser Pandemie sagen werden, dass wir uns insgesamt nicht nur einen Überbrückungsschub gegeben haben, sondern auch einen Innovationsschub und einen Erneuerungsschub in Richtung Klimaschutz und Digitalisierung."

"Das würde unser Finanzsystem nicht durchhalten"

Die Ausgaben für die Pandemiebekämpfung will Merkel jedoch nicht mit denen für die Bekämpfung des Klimawandels vergleichen. Beide Herausforderungen seien sehr groß, der Klimawandel stelle jedoch "eine sehr viel längerfristige Aufgabe" dar. "In der Summe werden wir sehr viel mehr Geld in den Klimaschutz investieren als in die Bekämpfung der Pandemie. Aber wir können nicht jedes Jahr solche großen Haushaltslöcher in unser Budget reißen", sagte Merkel. "Das würde unser Finanzsystem nicht durchhalten."

Laut Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der im Anschluss an Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel spricht, kann das Finanzsystem zumindest aktuell noch einiges aushalten. Der Bund nehme in diesem und im kommenden Jahr zusammen mehr als 300 Milliarden Euro zusätzliche Kredite auf - und Scholz schließt weitere Schulden explizit nicht aus. "Das wäre jedenfalls für uns möglich", sagt er. Gleichzeitig bedeute eine so hohe Summe auch, "dass wir ganz besonders klug mit dem Geld wirtschaften müssen", sagt Scholz. "Das ist keine Einladung, jetzt gar keine Regeln mehr zu beachten, sondern genau hinzuschauen - gerade wenn es so viel Geld ist, das wir einsetzen."

Im Gegensatz zu Merkel äußerte Scholz sich nicht enttäuscht über die dünne Beschlussvorlage des Ministerpräsidententreffens am Vorabend. Es sei von vornherein geplant gewesen, in der Mitte des Monats lediglich zu beraten. Das Land lebe davon, "dass wir gut abgewogene Entscheidungen haben, bei denen viele mitreden", so Scholz. "Das ist besser, als wenn das nur in einem Kopf alles abgewogen wird, da kommt dann auch oft mal was Falsches bei raus."

Oder wie es Merkel ausdrückt: "Das föderale Miteinander hat sehr, sehr, sehr viele Vorteile." Trotzdem müsse Deutschland in Zukunft schneller handeln, wenn sich ein exponentielles Wachstum abzeichne - auch wenn man noch gar nichts auf den Intensivstationen sehe. "Das braucht eine Produktive Ungeduld, die bringe ich auf."

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