MeinungAngela Merkel:Die wahre Autokanzlerin

Kommentar von Max Hägler

Lesezeit: 2 Min.

Kanzlerin Merkel 2017 auf der IAA - flankiert vom damaligen VW-Vorstandsvorsitzenden Matthias Müller (re.) und Herbert Diess, dem aktuellen Vorstandsvorsitzenden.
Kanzlerin Merkel 2017 auf der IAA - flankiert vom damaligen VW-Vorstandsvorsitzenden Matthias Müller (re.) und Herbert Diess, dem aktuellen Vorstandsvorsitzenden. (Foto: Tobias Schwarz / AFP)

Angela Merkel hat die deutsche Autoindustrie oft unterstützt, mit Worten und Milliarden. Mittelfristig hat sie damit weder den Unternehmen noch dem Land geholfen.

Wenn von den Verquickungen zwischen der Automobilindustrie und der Politik die Rede ist, dann kommt zumindest den mittelalten und älteren Menschen in diesem Land Gerhard Schröder in den Sinn: Wie viele Bilder gibt es, die den Altkanzler und Verteidiger der VW-Currywurst bestens gelaunt mit Autobossen zeigen. Seine Politik war kohärent dazu: Schröder, so sagt man deshalb, war der Autokanzler.

Dass dies eine Verklärung ist, zeigte sich in dieser Woche noch einmal: Die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel stellt der Branche eine Milliarde bereit - als Hilfe für die Transformation der Branche. Eine weitere Milliarde muss man sagen. Es ist eine Art letztes Abschiedsgeschenk nach einer an Geschenken reichen Kanzlerschaft.

Es war die erste Merkel-Regierung, die im Krisenjahr 2009 fünf Milliarden Euro für die Autofahrer im Land bereitstellte. Die sogenannte Abwrackprämie half vor allem Massenherstellern, die ihre Autos besser losbekamen. Anbieter alternativer Verkehrsmittel hingegen gingen in 16 "Merkel-Jahren" meist leer aus. Wie erschreckend wenig die Regierung - zumal das Verkehrsressort - das Gespräch mit ihnen suchte, ist hinlänglich dokumentiert.

Gekämpft wurde stattdessen gegen strengere Abgasregularien, die Kosten verursacht hätten für Hersteller und Kunden: Die CO₂-Hürden, also letztlich die erlaubten Spritverbrauche, sollten nicht zu hart gefasst werden, trugen die Deutschen lange Zeit erfolgreich in Brüssel vor - und sogar in den USA. "Ihre Standards sind zu strikt", beklagte sich Merkel selbst einmal in Kalifornien.

Und dann der Dieselskandal: Auch deutsche Behörden hatten vor dem Aufdecken deutliche Hinweise - doch die Regierung und die nachgeordnete Verwaltung reagierten nicht. Merkel zeigte sich zwar zwischenzeitlich "sauer" darüber, dass betrogen wurde. Aber ihre Regierung intervenierte dann doch weiter in Brüssel wegen eines zu schnellen Umschwungs zu E-Mobilität und wegen vermeintlich zu harter Abgasregeln, die die schweren, großen Wagen von Audi, BMW und Mercedes ja kaum einhalten könnten. Einen harten Nachrüstzwang konnte die Industrie ebenfalls noch abwenden.

Es ist diese Bilanz, die - Verzeihung, Gerhard Schröder - Angela Merkel zur wahren Autokanzlerin macht.

Nun ist das nicht nur kritikwürdig, so wie nicht jede Zuwendung pauschal zu verteufeln ist. Die 800 000 Beschäftigten in dieser Industrie werden anders darauf blicken. Für ihre Jobs sind die Verkaufsprämien sicher hilfreich, genauso wie die aktuelle Milliarde, die vor allem kleinen und mittelgroßen Zulieferern den Weg in die Elektro-Welt erleichtern soll. Und nicht zu vergessen: Andere Nationen unterstützen ihre heimische Autoindustrie ja ebenfalls.

Mit ihrer allzu großen Zugewandtheit gegenüber der Autoindustrie aber hat die Kanzlerin mittelfristig weder den Unternehmen noch dem Land geholfen. Im Rückzugsgefecht um den Verbrenner sind wertvolle Jahre verlorengegangen. Viel Zeit, in der man die Industrie zu einem schnelleren Umschwung hätte drängen können. Zeit, die deutsche Hersteller jetzt aufholen müssen gegenüber Rivalen wie Tesla. Inzwischen gibt es eine zielgerichtetere Förderung von E-Autos. Aber vieles, etwa die Infrastruktur von Ladesäulen, hätte viel eher vorangebracht werden können. Was alternative Mobilitätskonzepte angeht, sieht es nicht anders aus.

Die Mobilität von morgen ist angesichts der Digitalisierung und auch des Klimawandels keine mehr, in der nur noch das eigene Auto zählt - die Angebote ändern sich, und es ändern sich auch die Regeln. Damit gehen auch die Zeiten der Autokanzlerschaften vorbei. Morgen braucht es eine Mobilitätskanzlerin oder einen Mobilitätskanzler.

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