Merckle und andere Fälle:Das Schicksal der Zocker

Freitod nach Fehlspekulation: Das tragische Ende des Milliardärs Merckle ist in der Geschichte kein Einzelfall. Die Gier nach dem schnellen Geld fraß die Kaufmannstugenden auf.

Hans-Jürgen Jakobs

Der Freitod in der Finanzkrise, das selbstgewählte Ende nach fehlgeschlagenen Spekulationen ist ein klassisches Thema. Es spielte beispielsweise eine Rolle im deutschen Fernsehspiel "Der Schwarze Freitag" von 1966, in dem Stars wie Curd Jürgens oder Dieter Borsche mitwirkten; das Stück schildert den Zusammenbruch der Wall Street im Oktober 1929. Händler stürzten sich damals aus dem Fenster.

Adolf Merckle

Der Milliardär Adolf Merckle lebt nicht mehr. Weil er selbst sein Lebenswerk zerstört hatte, warf er sich vor einen Zug.

(Foto: Foto: dpa)

Der Ruin nach grenzenloser Habgier war die Horrorvision schlechthin im deutschen Wirtschaftswunderstaat der sechziger Jahre. Das war so schlimm wie Inflation. Hier galt das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns und des soliden Mittelständlers, der die eigene Firma liebt und nicht aufs Spiel setzt.

Aus dem Erbe ein Imperium gemacht

Es waren Familienunternehmen wie das der Merckles aus dem schwäbischen Blaubeuren, die den Kern der sozialen Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards bildeten; als 33-Jähriger übernahm Adolf Merckle 1967 den väterlichen Arzneimittelbetrieb mit vier Millionen D-Mark Jahresumsatz.

Der Mann machte daraus ein Imperium, verwinkelt und geheimnisumwoben, mit Firmen wie Ratiopharm, HeidelbergCement und Kässbohrer. Gesamtumsatz: 30 Milliarden Euro. 100.000 Mitarbeiter gehörten zur Sphäre des persönlich knauserigen Schwaben, den das US-Magazin Forbes vor einigen Monaten zum fünftreichsten Deutschen erklärt hatte, mit einem Zehn-Milliarden-Euro-Vermögen.

Dass sich dieser Mann mitten in der anschwellenden Finanzkrise, die ihren Höhepunkt längst noch nicht erreicht hat, vor einen Nahverkehrszug wirft und aus dem Leben scheidet, ist tragisches Symbol für Irrungen und Kursfehler der deutschen Wirtschaft. Weit hat sie sich entfernt vom ordentlichen, biederen Milieu der sechziger Jahre, vom gewissenhaften Soll und Haben. Sie ist an manchen Orten ein Zockerparadies geworden, in dem die Aussicht auf schnellen, leichten Gewinn weit wichtiger wirkt als das nachhaltige Schaffen von Wert.

Spekulanten können Helden werden wie der Porsche-Finanzchef Holger Härter, dem es gelang, mit Wetten auf steigende Kurse von Volkswagen bestens zu verdienen - so viel, dass am Ende der Zuffenhausener Sportwagenbauer das Kunststück fertigbrachte, mehr Gewinn als Umsatz auszuweisen. Selbstverständlich stieg Porsche mit dieser Performance zum neuen Herrscher über VW auf.

"Helden" auf der einen Seite, Verlierer auf der anderen

Doch wo solche grandiosen "Helden" wirken, sind auf der anderen Seite grandiose Verlierer zu finden. Es ist der Unterschied zwischen Rot und Schwarz am Roulette-Tisch.

Die lockende Sache mit der Spekulation kann gründlich schiefgehen, und ein tragischer Beweis ist - leider - Adolf Merckle. Er hatte eben auf fallende VW-Kurse gesetzt und somit einige hundert Millionen Euro seines Reichtums verspielt. "Verzockt", schreiben die Zeitungen unbarmherzig dazu - und der Patriarch grämte sich.

Seine Ehre, seine Würde war im Casinosaal des globalen Finanzkapitalismus auf einmal keine Größe mehr. Es stimme ihn traurig, "dass er heute persönlich angegriffen und als Zocker dargestellt werde", sagte er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in seinem letzten Interview.

Das galt wohl auch seinem jüngeren Sohn Philipp Daniel Merckle, 42. Der Filius hatte, als die Sache mit den VW-Spekulationen aufflog, erklärt: "Das Firmengeflecht hat sich von den ursprünglichen Werten, die ich in der Familientradition sehe, entfernt." Als Chef des Generikaherstellers Ratiopharm musste der tiefgläubige Christ, der sich stets um das fehlende "ethische Fundament" sorgte, auf Druck des Vaters zurücktreten.

Lesen Sie weiter: Vom Vorbild zum Minusmann - wie Merckles Imperium zerbrach.

Das Schicksal der Zocker

Adolf Merckle musste erleben, wie er auf einmal innherhalb von Wochen vom gefürchteten Vorbild zum allgemeinen Minusmann wurde. Wie alle Welt rätselte, ob es seine Vermögensverwaltung VEM noch einmal schaffen würde, das fehlende Geld von den Banken zu bekommen. Eine Zeitlang galt der Träger des Bundesverdienstkreuzes sogar als Bittsteller beim Staat, der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger sollte mit öffentlichem Geld aushelfen.

Am Tropf der Banken

Am Schluss war Merckle von Kreditinstituten abhängig; die völlige Kontrolle über seinen Verbund hatte er verloren. Die durch die "Finanzkrise verursachte wirtschaftliche Notlage seiner Firmen und die damit verbundenen Unsicherheiten der letzten Wochen sowie die Ohnmacht, nicht mehr handeln zu können" hätten "den leidenschaftlichen Familienunternehmer gebrochen", erklärt die Merckle-Familie.

Das traurige Schicksal eines (Fehl-)Spekulanten, das war zu viel für den schwäbischen Milliardär, der auch Tausende Hektar Wald sowie einen Skilift im Kleinwalsertal besitzt, in dessen Kassenhäuschen er sich schon mal setzte, um persönlich die Skifahrer durchzulassen. Er wurde 74 Jahre alt.

So reiht sich Adolf Merckle am Ende doch in die Phalanx jener ein, die mit fremdem und eigenem Geld hoch hinaus wollten und von der Baisse erwischt wurden. In einem Waldstück bei Chicago ist jetzt beispielsweise Steven Good tot aufgefunden worden, der Chef eines führenden US-Immobilienauktionshauses - die Schussverletzung hat sich der 52-Jährige offenbar selbst beigebracht. Im daniederliegenden US-Immobilienmarkt waren auch die Geschäfte der eigenen Firma Sheldon Good & Company Auction International schlechter gelaufen.

Zu den berühmten Gescheiterten, die sich selbst ein Ende setzten, gehört auch der schwedische Streichholzkönig Ivar Kreuger, der 1913 seine Firma geerbt hatte. Damals waren die Hölzchen mit rotem Kopf enorm wichtig, und der Skandinavier kaufte Wälder, Minen und Papierfabriken auf. Er wurde immer reicher und lieh in der Zeit um den Ersten Weltkrieg vielen Staaten Geld - und bekam im Gegenzug das Monopol für Zündhölzer. Irgendwann schuldeten ihm 17 Staaten fast 400 Millionen Dollar - doch in der Weltwirtschaftskrise nach 1929 konnten die Schuldner nicht mehr zahlen. Kreuger fehlte es an Barem.

Die Banken wollten nun ihrerseits von ihm Geld sehen, dem Herrn über 250 Firmen und 75.000 Mitarbeiter. Am 12. März 1932 erschoss er sich mit einer Neun-Millimeter-Browning. Als die Todesnachricht bekanntwurde, brachen die Aktienkurse an den Börsen wieder einmal ein. In der Wirtschaftsgeschichte ist vom "Kreuger-Crash" die Rede.

Ein anderer Fall ist der des Amerikaners Jesse Livermore, der 1940 sein Vermögen von einst mehr als 100 Millionen auf nur noch fünf Millionen Dollar reduziert hatte und sich umbrachte. Als "The Boy Wonder" oder "The Great Bear" war er bekanntgeworden, ein Selfmade-Mann, der es in seiner 40-jährigen Börsenkarriere nach oben schaffte und wieder abrutschte. Livermores Erkenntnis war, dass eine Aktie weitere Käufer geradezu magisch anzieht, wenn sie psychologisch wichtige Grenzen wie 10, 50 oder 100 Dollar durchbricht.

Doch eine zu kecke Börsenleidenschaft und der Drang, alles auf eine Karte zu setzen, machten ihm zu schaffen. 1934 ging er erneut bankrott; private Probleme kamen hinzu. In einem Abschiedsbrief schrieb er: "Ich kann nicht mehr. Ich bin geschafft vom Kämpfen. Dies ist der einzige Ausweg. Ich bin ein Versager."

Wenn Normen nicht mehr gelten

So ähnlich dürfte Adolf Merckle empfunden haben. Die sozialen und ethischen Normen, für die er stand oder die man mit ihm verbunden hatte, die galten auf einmal nichts mehr. Der französische Soziologe Emile Durkheim schrieb in seinem Werk "Le suicide" vom "anomischen Selbstmord" - den es dann gäbe, wenn "Anomie" herrsche, also Verwirrung über die geltenden Normen. Davon unterschied er den egoistischen und den altruistischen Selbstmord.

Die Finanzkrise, dieses anhaltende Erdbeben der Weltgesellschaft, führt derzeit zu viel Anomie. Sie hat in Blaubeuren an einem "schwarzen Montag" zur Erkenntnis geführt, dass es keinen anderen Ausweg als den Freitod gäbe. Die eigenen Merckle-Aktien hatten dramatisch an Wert verloren, es fehlte den Banken - den Hauptschuldigen am Crash - an Sicherheiten. Ein Marktwirtschaftler hatte den Boden unter den Füssen verloren.

So liest sich jetzt, nach seinem Freitod, das FAZ-Interview Merckles wie ein Vermächtnis: Er sei als Unternehmer immer gewisse Risiken eingegangen, hatte Merckle gesagt, doch mit der "Banken- und Finanzkrise in diesem Ausmaß konnte ich nicht rechnen". Vor allem sei problematisch, "dass man - trotz Sicherheiten - keine Kredite mehr bekommen kann, ansonsten hätte auch diese Situation überstanden werden können".

So aber blieb nur das schreckliche Ende, das auch Kreuger und Livermore wählten. Der Glanz des Erfolgs, der eigene Nimbus, war schon viel früher gestorben.

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