Autoindustrie:Die Anti-Tesla-Klasse

DEU, Deutschland, Hessen, Frankfurt am Main, 10.09.2019: Showcar VISION EQS von Mercedes-Benz. Daimler-CEO Ola Källeniu

Bei der Frankfurter IAA im September 2019 präsentierte Daimler-Chef Ola Källenius eine Designstudie zur Zukunft des Automobils. Ihr Name damals: Vision EQS.

(Foto: Arnulf Hettrich/imago images)

Ohne Bling-Bling, aber mit Alicia Keys: Mercedes stellt mit dem EQS als erster deutscher Autobauer ein elektrisches Modell in der Luxusklasse vor.

Von Max Hägler

Es ist reichlich schwierig, so ein kompliziertes Vehikel digital zu präsentieren, das eigentlich so sehr vom Anfassen lebt, vom Fühlen, vom Hören, ja sogar vom Riechen. Ein Auto, das bemerkenswert ist, aber erst durch Bling-Bling, Champagner und das entsprechend selige Grinsen der Schöpfer auf einer gewaltigen Fete zur wahrhaften Ikone wird.

Und drunter wollen sie es ja auch nicht machen in Stuttgart, bei Mercedes: Die elektrische S-Klasse, der EQS, soll das ikonische Gefährt für die Schönen, Reichen und Mächtigen der Welt sein. So wie es bislang die mit Benzin und Diesel angetriebene S-Klasse ist, mit der Mercedes richtig gut verdient. Angeblich bleiben bislang mehr als 40 Prozent vom Umsatz als Gewinn hängen.

Als das Unternehmen das letzte Mal ernsthaft eine Weltpremiere in der Luxuskategorie feierte, 2013 war das, hatte der damalige Daimler-Chef Dieter Zetsche in eine Airbus-Auslieferungshalle in Hamburg-Finkenwerder geladen. Ein Christkindl-Moment sei das, sagte er. Die Wagen waren per Flugzeug aus Schwaben herbeigeschafft geworden. Symphoniker musizierten - und Alicia Keys sang.

Angemessen kann man sagen, S-Klasse eben, egal wie man zu Mercedes steht. Heutzutage geht so etwas natürlich nicht mehr. Der Transport von Verbrennerautos per Luftfracht würde in den sozialen Medien zerrissen: Was für ein Kohlendioxid-Ausstoß! Und da ist dann dieses Virus, das sowieso jede Festivität verunmöglicht. Also gibt es zur EQS-Weltpremiere eine digitale Show, in der das Auto irgendwie vom Himmel zu fallen scheint. Immerhin ist auch diesmal Alicia Keys dabei.

Und immerhin kann man am Telefon ein wenig diskutieren mit dem aktuellen Mercedes-Chef Ola Källenius und seiner Vertriebskollegin Britta Seeger: Denn es geht nicht nur um die neue Variante von Deutschlands vielleicht berühmtestem Industrieprodukt - es geht auch um ein neues Zeitalter für das älteste Automobilunternehmen der Welt. Daimler war ziemlich weit abgeschlagen bei neuen Antrieben, ist auch beteiligt gewesen am Dieselskandal und kommt bei den diesbezüglichen Aufräumarbeiten dieser Wochen vor Gericht übrigens wieder stärker in Bedrängnis.

Der EQS kann jetzt so etwas wie der Befreiungsschlag sein: Das bedeutendste Mercedes-Produkt ist auch elektrisch geworden. Und zwar konsequent. Der 2,5 Tonnen schwere Wagen ist auf einer Art Skateboard konstruiert, unten die Batterien, oben der Hut mit viel Software. Volkswagen macht das so beim ID.3, und Tesla macht das so, der größte Konkurrent: Tatsächlich ist der EQS die erste deutsche Antwort auf das Model S, das Audi, BMW und auch Mercedes Marktanteile kostet. Beim Preis war man stets ebenbürtig - etwa 100 000 Euro dürfte ein vernünftig ausgestattetes Auto kosten. Aber auch bei vielen der handfesten Eigenschaften ist Schwaben nun auf Schlagdistanz mit den Kaliforniern von Tesla: In 4,3 Sekunden von null auf Tempo 100 mit elektrischem Antrieb. Und, vielleicht wichtiger, in 15 Minuten kann man 300 Kilometer Reichweite nachladen, bei einer Batteriekapazität, die auf dem Papier für eine Fahrt von München zum Gardasee reicht. Samt retour.

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Angesichts der knappen Ressourcen bestücken viele Autohersteller bevorzugt ihre gewinnträchtigeren Modelle mit den knappen Teilen - etwa den EQS.

(Foto: Daimler/oh)

Auf Autobahnen in Deutschland kann das Auto entsprechend dem erlaubten Gesetzesrahmen zumindest bis Tempo 60 ganz alleine fahren, und je nach Ausstattung findet es sich auch in Parkhäusern zurecht. Allerlei Extras lassen sich mittlerweile per "Over the air"-Update dazu buchen, so wie es Tesla auch vorgemacht hat: Die sowieso ein wenig mitlenkende Hinterachse bewegt sich um zehn Grad, wenn man draufzahlt, die Limousine hat dann einen Wendekreis von elf Metern. Bis zu 350 Sensoren messen alles, selbst den Blick des Fahrers: Falls er das das riesige Armaturendisplay erworben hat und er auf den Bildrand rechts lugt, dann dunkelt das Auto den Bereich mit schwäbischer Strenge ab. "Sperrlogik" nennen sie das in Stuttgart, wo sie dem Auto auch wieder ein eigenes Parfum zusammenbrauten: No 6 Mood Linen. Ob das den Schlüsselkunden genehm ist, vermag man mangels Party nicht herauszufinden, genauso wenig, ob es ihnen gefällt, wenn sich die Türen ferngesteuert öffnen lassen. Bei Mercedes finden sie es jedenfalls total praktisch, etwa um "Kinder an der Schule einsteigen zu lassen".

Die Kernfrage für das S-Klasse-Publikum lautet sowieso: Benzin oder Batterie? Denn absehbar wird es die klassische Variante weiterhin geben. Der EQS sei so etwas wie der "elektrische Zwilling" der bisherigen S-Klasse, die auch gerade neu aufgelegt wurde, sagt Källenius. Werden sich die Strom- und die Spritversion nicht kannibalisieren? Ganz ausschließen wollen sie das nicht bei Mercedes. Aber das Segment wachse ja insgesamt, sagt Vertriebschefin Seeger. Und die Wagen sprächen ja auch andere Sinne an, andere Typen: Der klarer designte EQS ist gedacht vor allem für "Tech Leader" und "Innovationsführer", für die Model-S-Klientel eben - wahrscheinlich schaut er deshalb auch dem Luxuswagen von Tesla so ähnlich. Wobei sie nichts dagegen haben in Stuttgart, wenn die weniger innovativen Leader weiter auf die Verbrenner-Version setzen. Der EQS habe zwar ab Start eine "vernünftige Marge", sagt Seeger. Nichtsdestotrotz gelte derzeit, dass die "variablen Kosten in der Elektromobilität" noch höher seien. Kurzum: Mit Benzin und Diesel verdient man mehr.

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