Autoindustrie:„Der Vorstand kann sich warm anziehen“

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Mercedes will seine Niederlassungen loswerden. Die Mitarbeiter wollen aber nicht gehen. Und versammeln sich in sechs Städten, hier vor dem Mercedes-Werk in Sindelfingen. (Foto: Julian Weber/dpa)

Mercedes will seine Autohäuser verkaufen. Am Dienstag protestieren Mitarbeiter in sechs Städten dagegen. Sie fürchten, dass sich ihre Arbeitsbedingungen deutlich verschlechtern – und fordern hohe Ausgleichszahlungen.

Von Tobias Bug, Stuttgart

Jutta Knapp kommt mit einem silbernen Mercedes-Stern auf die Bühne. Rund 6000 Menschen jubeln ihr zu auf dem Mercedes-Gelände in Sindelfingen bei Stuttgart. Knapp ist Betriebsrätin der Autohäuser in Mannheim, Heidelberg, Landau – und wütend. 42 Jahre sei sie bei Mercedes, ruft sie. „Ich will eigentlich nicht mehr woanders arbeiten. Aber wenn schon, dann wenigstens mit einem fetten Rucksack“ – voller Geld.

Damit setzt sie den Ton für den Aktionstag der Gewerkschaft IG Metall gegen den Plan von Mercedes, die konzerneigenen Niederlassungen zu verkaufen. Aus etlichen Autohäusern sind am Dienstag Mitarbeitende zu den Kundgebungen gekommen, nicht nur nach Sindelfingen, auch nach Untertürkheim, Rastatt, Düsseldorf, Bremen und Berlin. Viele Niederlassungen blieben deshalb geschlossen, und auch die Werksbänder in Sindelfingen standen still, weil sich die Arbeiter solidarisiert haben. Die IG Metall spricht von 25 000 Teilnehmern bundesweit.

Warum die Wut? Mitte Januar hat der Mercedes-Vorstand beschlossen, sich von seinen 80 Autohäusern in Deutschland zu trennen. Damit will der Autobauer sich Luft verschaffen für das, was er als sein Kerngeschäft sieht: Autos bauen und deren Antriebe weiter verfeinern. Vor allem für den Elektroantrieb braucht es weitere Milliardeninvestitionen.

Mercedes möchte sich aufs Autobauen konzentrieren – verkaufen sollen andere

Der E-Auto-Absatz ist mau und auch in der Entwicklung hakt es, deswegen steuert der Konzern um. Die neue Generation der Luxuslimousine S-Klasse, eigentlich rein elektrisch geplant, soll es nun doch auch als Verbrennerversion geben, sagte Konzernchef Ola Källenius der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Das batterieelektrische Auto bleibe der Hauptweg, aber man werde noch „bis weit in die dreißiger Jahre“ Verbrennungsmotoren bauen – trotz des geplanten EU-Verbrennerverbots 2035. Und in Zukunft sollen fremde Händler diese Autos verkaufen, denn die könnten das langfristig besser, findet der Mercedes-Vorstand.

Es ist auch eine Entscheidung gegen 8000 Mitarbeiter, die das naturgemäß anders sehen, gegen Menschen, die von sich sagen, sie seien das „Gesicht von Mercedes“ gegenüber den Kunden. Der Konzern will die Niederlassungen loswerden, obwohl sie nach einigen Umstrukturierungen profitabel sind: 3,9 Prozent Gewinn waren es 2022, auch 2023 stand ein Plus.

Die Mitarbeiter fürchten um die Vorzüge, die es hat, beim Mercedes-Konzern angestellt zu sein: Neben der guten Bezahlung sind das etwa die Betriebsrente, 36-Stunden-Woche, 30 Tage Urlaub im Jahr, dazu günstige Leasingkonditionen für die eigenen Fahrzeuge oder eine gewachsene Mitarbeitermitbestimmung. Und eine Beschäftigungssicherung bis 2029. Vor zehn Jahren hatte Mercedes schon einmal 63 Niederlassungen verkauft. Manche der neuen Eigentümer sind danach aus dem Tarifvertrag ausgetreten.

Offenbar hat die Arbeitnehmerseite die Hoffnung fast aufgegeben, den Verkauf der verbliebenen Niederlassungen noch abwenden zu können. Jetzt geht es darum, Schadensbegrenzung zu betreiben. Die Mitarbeiter sollen nicht „nackt“ übergeben werden, sagt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Ergun Lümali nach der Kundgebung vor Journalisten. „Jacke, Schuhe und Hemden“ möchten die Betriebsräte ihnen wieder anziehen, sagt er, und meint damit sichere Arbeitsplätze und eine gute Bezahlung.

Gerade arbeitet Verhandlungsführer Michael Bettag, als Betriebsrat zuständig für die Niederlassungen, mit dem Vorstand Bedingungen aus, um geeignete Käufer zu finden. Man wolle „Gütekriterien“ festlegen, sagt Bettag, oberstes Ziel: Tarifbindung. Das diene allein der Auswahl der besten Interessenten, gewissermaßen einem Casting. Ob die Käufer sich dann wirklich an die Tarifbindung halten, ist ungewiss. Aus der Branche hört man, dass schon einige Firmen Interesse angemeldet haben, die Mercedes-Häuser zu übernehmen. Konkrete Kaufverhandlungen will Mercedes aber erst führen, wenn man sich mit dem Betriebsrat geeinigt hat, wohl in der zweiten Jahreshälfte.

Im Falle eines Verkaufs ginge das Arbeitsverhältnis der Mitarbeiter von Mercedes auf den neuen Inhaber über. Dafür will der Autobauer den Mitarbeitern einen Nachteilsausgleich zahlen. Sandra Gutsch, Betriebsratsvorsitzende der Niederlassungen Rhein-Ruhr, hatte in der Rheinischen Post für jeden Angestellten 60 000 Euro plus bis zu 60 Monatsgehälter gefordert. Die genannte Zahl sei aus Sicht des Unternehmens „völlig unrealistisch und nicht nachvollziehbar“, lässt ein Konzernsprecher wissen. Geht man von einem Bruttogehalt von 3000 Euro aus, würde jeder und jede bestenfalls fast eine Viertelmillion Euro bekommen.

Das wäre ein „fetter Rucksack“, ganz nach dem Geschmack von Jutta Knapp, der Betriebsrätin auf der Bühne in Sindelfingen. „Der Vorstand kann sich warm anziehen“, die Protestaktion am Dienstag sei „nur der Anfang“, ruft sie in die Menge. Die antwortet mit Trillerpfiffen, Applaus und „Jutta, Jutta“-Rufen. Knapp ist nicht bereit, ihren Mercedes-Stern nach 42 Jahren abzugeben.

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