Berufsleben:Für wen sich Mentoring lohnen kann

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Eine erfahrenere Person trifft eine Person, die oft jünger und weniger erfahren ist, will ihr helfen, bietet Rat an, empfiehlt sie weiter: So läuft oft Mentoring ab. (Foto: Maria Diachenko/Imago)

Was will ich im Job? Bin ich auf dem richtigen Weg? Und wie mache ich Karriere? Bei solchen Fragen können Mentoren helfen. Was die Zusammenarbeit bringt und warum gerade Frauen davon profitieren.

Von Kathrin Werner

Wenn Menschen ein Unternehmen gründen, liegt das oft daran, dass ihnen selbst etwas fehlt. Dass sie daraus ableiten, dass es vielen so gehen muss wie ihnen selbst. Und dass sie dann in diesem Bedarf ein Geschäft sehen. So war das auch bei Karin Heinzl. Als sie 2013 ihren Job verlor, hätte sie sich so sehr gewünscht, dass sie jemanden um Rat fragen und um Hilfe bitten könnte. "Ich habe mich sehr allein gefühlt", erzählt die heute 40-Jährige. "Aber wie so viele Frauen dachte ich auch, dass das normal ist, weil man sich alleine durchkämpfen muss."

Erst im Nachhinein, als sie mit mehr Abstand auf ihren Jobverlust blickte, verstand sie, was ihr damals fehlte: eine Mentorin oder ein Mentor. "Jemand, der sich mit den Hochs und Tiefs des Berufslebens auskennt", sagt Heinzl. Nach ihrer Kündigung ging sie für einige Monate nach Indien, wo sie bei einer Hilfsorganisation ehrenamtlich Workshops zu Themen wie Teambuilding und Kommunikation gab. Dort in Indien, als sie es nicht erwartete, fand sie eine Mentorin: Poonam Purve, Sozialarbeiterin und gerade einmal 22 Jahre alt, stand ihr zur Seite, half ihr bei allen Fragen und machte sie mit Menschen bekannt, die ihr weiterhalfen.

Heinzl war nicht mehr allein. Und sie merkte, wie gut ihr das tat. Ihre Geschäftsidee war geboren. Zurück in Deutschland gründete sie das Start-up Mentorme, das ehrenamtliche Mentorinnen und Mentoren mit Frauen verknüpft, die Unterstützung in beruflichen Fragen suchen - den Mentees.

Dieses Gefühl, allein eine wichtige berufliche Entscheidung treffen zu müssen oder einfach nicht zu wissen, wie es mit der Karriere weitergeht - es kennt fast jede und jeder. Hilfe leisten unter anderem sogenannte Coaches, die damit Geld verdienen. Die ehrenamtliche Variante, die eher auf langfristige Zusammenarbeit und Austausch ausgerichtet ist, nennt sich Mentoring. Mentoring entsteht oft auf natürlichem Weg: Eine erfahrene Person trifft eine Person, die oft jünger und weniger erfahren ist, will ihr helfen, bietet Rat an, empfiehlt sie weiter. Oft wissen die Beteiligten gar nicht, dass das, was sie da tun, Mentoring ist. Zusätzlich gibt es etliche offiziell angesetzte Mentoringprogramme, etwa von Universitäten, Branchenverbänden, lokalen Industrie- und Handelskammern oder von Unternehmen für ihre Belegschaft.

Mentees sind sichtbarer, verdienen mehr und werden schneller befördert

Die Erfolge von Mentoringprogrammen sind in vielen Studien belegt. Mentees sind demnach motivierter, lernen mehr und leisten mehr. Durch die Unterstützung fügen sie sich schneller in eine neue Organisation oder in eine neue Rolle ein. Sie sind sichtbarer bei Führungskräften, verdienen mehr und werden schneller befördert. Und sie sind selbstbewusster und zufriedener, sogar im Privatleben berichten sie von weniger Stress. Vor allem sind sie weniger geneigt zu kündigen und bleiben ihrem Arbeitgeber länger treu. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist das ein Argument, solche Angebote aufzusetzen.

"Überall sprießen Programme wie Pilze aus dem Boden", sagt auch Heinzl. Sie sind einerseits Konkurrenz für ihr Start-up, das inzwischen der größte Mentoring-Anbieter im deutschsprachigen Raum ist. Andererseits profitiert sie auch davon, dass das Thema präsenter wird. Und sie verdient daran, weil Unternehmen sie dafür bezahlen, dass Mentorme Mitarbeitende mit Mentoren versorgt - darunter unter anderem Coca-Cola, Otto, die Banken ING und DKB und die Beraterfirmen Ernst & Young und Deloitte.

Heinzl glaubt, dass immer mehr Unternehmen Mentoringprogramme anbieten werden. Eine aktuelle Studie der Harvard Business School empfiehlt zudem, die Programme verpflichtend für alle zu machen. "Es scheint so zu sein, dass die Menschen, die ein Mentoring am wenigsten brauchen, sich am meisten um eins bemühen", sagt Christopher Stanton von der Harvard Business School. Die Gründe für dieses Paradoxon seien unklar, so Stanton. Es könnte sein, dass leistungsschwache Mitarbeiter unsicher und schüchtern sind und deshalb zögern, sich zu beteiligen. Heinzl bestätigt das: "Manche Menschen denken, sie seien noch nicht einmal gut genug, um Mentee zu werden."

Meist richten sich Mentoringprogramme gezielt an Frauen. Zum einen, weil diese oft vor noch größeren Karrierehürden stehen. Zum anderen, weil es Frauen oft nicht so leichtfällt wie Männern, außerhalb von offiziellen Programmen Mentorinnen oder Mentoren zu finden. In den Führungspositionen finden sich nun einmal mehr Männer als Frauen. Und die tendieren dazu, junge Menschen zu fördern, in denen sie sich selbst erkennen: also wiederum Männer. Auch Mentorme richtet sich bislang nur an weibliche Mentees. Inzwischen wäre sie bereit, auch Männer aufzunehmen, weil auch sie manchmal Unterstützung brauchen. Zum Beispiel, wenn sie aus bildungsfernen Schichten kommen. Allerdings wollen ihre bisherigen Mentees lieber unter Frauen bleiben, weil sie fürchten, bei den von Mentorme angebotenen Workshops und Networking-Events sonst nicht mehr so offen sprechen zu können.

Mentorme ist seit der Gründung 2015 stark gewachsen. Anfangs fragte Heinzl in ihrem Bekanntenkreis, ob jemand Mentorin oder Mentor werden will, und meldete sich selbst freiwillig als Mentorin. Sie fand 50 Mentees über soziale Medien und eine Flugblatt-Aktion an Universitäten. Inzwischen haben mehr als 5000 Frauen über Mentorme ein Mentoring gefunden, 3000 Mentorinnen und Mentoren haben sich im Netzwerk angemeldet.

Heinzl selbst kommt aus Österreich, aus einer bildungsfernen Familie, wie sie sagt. Ihre Mutter stammt aus Brasilien und hatte in Österreich kein Netzwerk, ihr Vater vermietete beruflich ein paar Wohnungen und konnte seiner Tochter in der Schule, im Studium und beim Berufsstart kaum helfen. Also schlug sich Heinzl alleine durch. Ihr Job, den sie dann 2013 verlor, war bei der FDP in Berlin. Dort hatte sie unter anderem Programme zur Stärkung von Frauen konzipiert. Darum ist ihr wichtig, dass Mentorme auch ein Netzwerk ist.

"Manchmal bekommen wir Kritik, weil das viel Geld sei."

Bei Mentorme gibt es Mentoring gegen Bezahlung. Wie viel das Programm kostet, richtet sich nach dem Einkommen der Mentees. Meist sind es zwischen 414 und 774 Euro für ein Jahr. "Manchmal bekommen wir Kritik, weil das viel Geld sei", sagt Heinzl. Aber ihr Unternehmen habe eben auch Kosten. "Und um langfristig am Leben bleiben zu können, brauchen wir eben die Einnahmen." Für Frauen mit sehr wenig Geld gebe es außerdem manchmal Aktionsprogramme.

Gerade hat sich Heinzl selbst als Mentee registriert, weil sie mehr über Vertrieb und Software lernen will. Der Algorithmus hat sie mit drei Männern gematcht und ihr die Profile angezeigt. Für einen der drei wird sie sich entscheiden. "Ich habe mich lange nicht getraut, mich selbst anzumelden, weil ich niemandem einen Platz wegnehmen wollte", sagt sie. Jetzt wird sie selbst herausfinden, was einen guten Mentor ausmacht. Das sei natürlich immer eine Frage des Vertrauens, des Zwischenmenschlichen, sagt sie. "Verstehen wir uns, können wir gemeinsam lachen?" Manchmal entstünden aus dem Mentoring auch Freundschaften. Aber wichtiger noch, findet sie, sei das Fachliche. "Kann mein Mentor meine Fragen beantworten?"

Inzwischen gibt sie ihre Erfahrungen auch selbst an Mentees weiter. Eine ihrer Mentees ist derzeit in Kenia. Vor Kurzem hat Mentorme in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ein Mentoringprogramm gegründet, bei dem sie kenianische Berufseinsteiger und -einsteigerinnen mit Mentorinnen und Mentoren in Deutschland zusammenbringt. Im Mentoring sind Nationalitäten egal, glaubt Heinzl - sie hat es ja selbst erlebt mit ihrer ersten Mentorin, der jungen Inderin.

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