Süddeutsche Zeitung

Menschenrechte in Mexiko:Ein Leben unter Gesetzlosen

Wie sich Mercedes Murillo gegen Verbrecher auflehnt.

Von Boris Herrmann

In der mexikanischen Großstadt Culiacán gelten im Prinzip dieselben Gesetze wie im Rest des Landes. Allerdings gibt es weit und breit niemanden, der dafür sorgt, dass sie befolgt werden. Es regiert das Sinaloa-Kartell, der Weltmarktführer für Kokain. Polizisten, Militärs und Lokalpolitiker stecken mit dem Kartell unter einer Decke. In Culiacán kann es tödlich sein, an der falschen Stelle den Mund aufzumachen. Aber genau deshalb glaubt Mercedes Murillo, dass es sich lohnt, zu reden, wo andere schweigen.

Murillo, 79, ist die wichtigste Menschenrechtsaktivistin im Bundesstaat Sinaloa. Für ihre Zivilcourage wurde sie vielfach ausgezeichnet. Weil sie sich traut, Wahrheiten wie diese auszusprechen: "Das Einzige, was hier gut funktioniert, ist die organisierte Kriminalität."

Seit mehr als zwei Jahrzehnten lehnt sich diese unerschrockene Frau gegen den Schrecken in ihrer Stadt auf, seit sie mit ihrem Bruder Ricardo die Organisation "Frente Cívico Sinaloense" (Bürgerfront von Sinaloa) gründete. In ihrem Büro im Zentrum von Culiacán gehen täglich Anzeigen von Bürgern ein, die sich bedroht oder betrogen fühlen. Die meisten richten sich aber nicht gegen die Drogenbosse, sondern gegen die lokalen Behörden. Murillo sammelt diese Fälle und macht sie öffentlich. Sie weiß, dass sie gefährlich lebt. Zuletzt wurden wieder die Kabel der Sicherheitskameras ihres Büros durchschnitten. Wer Murillo dort trifft, erlebt aber keine Frau in Todesangst. Irgendwann stumpft man wohl gegen die tägliche Bedrohung ab.

Murillo wundert sich selbst, dass sie fast 80 Jahre überstanden hat, ohne erschossen zu werden. Ihr Bruder Ricardo wurde 2007 mit einem Kopfschuss getötet. Es geschah an einer Tankstelle. Einer der Täter schaute nach dem Mord direkt in die Überwachungskamera. Verhaftet wurde niemand. Daran kann man verzweifeln. Oder man kann wie Mercedes Murillo noch lauter die Stimme gegen Verbrechen und Straflosigkeit erheben. Sie sagt: "Wenn sie mich zum Schweigen bringen wollen, müssen sie mir die Zunge herausschneiden."

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Quelle:
SZ vom 02.01.2016
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