Menschen 2018:Wege aus den Miseren

Wer einen Rückblick macht, braucht gute Nerven bei all den schlechten Nachrichten. Aber versuchen wir's!

Von Joachim Käppner/Josef Kelnberger

Die Weisheit der Älteren, früher sei alles besser gewesen, war bereits bei den Phöniziern und den Römern zu hören. Gestimmt hat sie selten. Der amerikanische Philosoph Steven Pinker widmete diesem häufigen Irrglauben und dem darin steckenden, zur Zeit wieder sehr modischen Kulturpessimismus 2018 das großartige Buch "Aufklärung jetzt", in dem er treffend argumentiert, dass es so vielen Menschen wie nie zuvor heute besser gehe, sogar sehr viel besser, als noch vor einer oder zwei Generationen. Wer freilich in den vergangenen Jahren damit beauftragt war, einen Jahresrückblick zu erstellen, dessen Glauben an den Fortschritt der Menschheit erfuhr jedes Mal eine ernsthafte Prüfung.

Das Narrenschiff der Trump-Administration. Brexit-Chaos, Europas Krise, der Aufstieg des Rechtspopulismus, auch in Deutschland. Das Artensterben und die nahende Katastrophe des Klimawandels, Kriege und Terroranschläge. So gern man einen Jahresrückblick also mit positiveren Botschaften füllen würde, so schwer machen das erneut die Ereignisse. Im Magazin "Der große Jahresrückblick 2018" (gedruckt erhältlich im Handel oder im SZ-Shop unter sz.de/2018) haben Redakteure der Süddeutschen Zeitung versucht, Wege aus den vielbeklagten Miseren zu beschreiben: Ist das Klima wirklich nicht mehr zu retten? Wie kann das historische Werk der Einigung Europas wieder an Fahrt und Überzeugungskraft gewinnen? Wie vermag die amerikanische Demokratie ihre Selbstreinigungskräfte zu mobilisieren? Wie überwinden wir die wachsende Spaltung und Polarisierung der eigenen Gesellschaft?

Diese Menschen beweisen, dass die Dinge zu bewegen und zu verändern sind

Wir haben einen anderen Zugang gewählt, um uns dem schwierigen Jahr 2018 zu nähern. Wir erzählen dieses Jahr in zwölf Kapiteln über Menschen, die darin eine teils erhebliche und auch nicht immer nur die beste Rolle gespielt haben, in deren Handeln es sich aber widerspiegelt. Diese Zwölf beweisen, jeder auf seine Art, dass die Dinge zu bewegen und zu verändern sind.

Da ist, zuerst, in der Politik die Aufsteigerin des Jahres, Annegret Kamp-Karrenbauer. Sie löste Angela Merkel als deren Wunschkandidatin im CDU-Vorsitz ab, nach einem dramatischen Dreikampf mit Friedrich Merz und Jens Spahn, und muss den künftigen Kurs der Partei bestimmen. Es war ein etwas überraschender Triumph innerparteilicher Demokratie, der alle Vorurteile gegen das angeblich verkrustete Parteiensystem Lügen straft. Dann ist da der schwierige Partner im Süden, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der sich im letzten Moment vor der Landtagswahl von Horst Seehofers politischen Geisterfahrten distanzierte. An der Spitze Frankreichs, Deutschlands wichtigstem Partner in Europa, sah sich der Präsident einem spontanen Aufstand der Frustrierten ausgesetzt; ob Emmanuel Macron seine Rolle als Hoffnungsträger des Westens wird weiter einnehmen können, hängt auch davon ab, wie geschickt er mit den "Gelbwesten" umgeht.

Und die USA, nichts als Trump? Bei den Midterm-Wahlen erlitt der Präsident zumindest eine Schlappe, und es waren vor allem Frauen wie die ehemalige CIA-Agentin Abigail Spanberger, welche bei den Demokraten für Siege und Optimismus sorgen. Der Journalist Deniz Yücel durfte das Gefängnis endlich verlassen, vielleicht hat seine Standhaftigkeit ein Tauwetter zwischen der Türkei und dem Westen ermöglicht. Sehr zu Recht ging der Friedensnobelpreis an die Jesidin Nadia Murad, die unter der Herrschaft des IS Entsetzliches erlitt und doch die Kraft fand, aufzustehen gegen den Terror. Im Chaos des Brexit gaben Harry und Meghan als neues Traumpaar den Briten Grund zum Optimismus. Sind die politische Unversöhnlichkeiten, wie sie im Brexit zum Tragen kamen, nicht eigentlich absurd? Vom Weltall aus verdeutlichte uns das auf eindrucksvolle Art Astronaut Alexander Gerst.

Manche Menschen haben eben die Fähigkeit, andere zu verzaubern. Zu ihnen gehört Schauspielerin Liv Lisa Fries, sie führte die Deutschen auf magische Weise zurück in die Goldenen Zwanziger. Ebenso magisch ist das Fußballspiel von Leroy Sané, der die Deutschen nach dem WM-Aus in bessere Zeiten führen soll. Radsportlerin Kristina Vogel, querschnittgelähmt nach einem Unfall, gibt nicht nur der Sportwelt ein Beispiel an Lebensmut. Und dann ist da noch ein Niederländer, von dem das Wohl der deutschen Autoindustrie abhängt: Bram Schot. Manche sagen: Er müsste zaubern können, um Audi wieder flott zu machen.

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