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Nach dem Wahlsieg:EU könnte Rom Milliarden vorenthalten

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Italien ist einer der größten Profiteure des Corona-Hilfsfonds. Doch Geld fließt nur, wenn die neue Regierung versprochene Reformen umsetzt. Daran gibt es Zweifel - und das ist nicht einmal der einzige Streitpunkt mit Brüssel.

Von Björn Finke, Brüssel

Es geht um 69 Milliarden Euro an Zuschüssen - und um wichtige wirtschaftspolitische Reformen. Italien ist nach Spanien der größte Profiteur des Corona-Hilfstopfs der EU. Doch wie alle Staaten musste Italien einen umfangreichen Reform- und Investitionsplan von der EU-Kommission bewilligen lassen. Nur wenn Rom Zwischenziele daraus erfüllt, gibt die Behörde neue Tranchen frei. Der Plan sieht etwa vor, Bürokratie abzubauen und die berüchtigt langwierigen Gerichtsverfahren zu beschleunigen. Zig Milliarden aus dem Corona-Fonds sollen bis Ende 2026 in die Digitalisierung von Verwaltung und Industrie oder in Wärmedämmung von Gebäuden fließen. Wahlsiegerin Giorgia Meloni hat aber angekündigt, Teile des Plans mit der Kommission neu verhandeln zu wollen. Die Brüsseler Behörde schließt größere Änderungen allerdings aus.

Setzt die Rechtspopulistin und vermutlich künftige Ministerpräsidentin die Zusagen Italiens gegenüber der Kommission nicht um, könnte die EU Zuschüsse zurückhalten, welche die Regierung fest eingeplant hat. Und dies ist nicht der einzige mögliche Streitpunkt in der Wirtschaftspolitik, der zwischen Melonis Bündnis und Brüssel droht. So würden die teuren Wahlversprechen des Rechtsbündnisses das Einhalten des Stabilitäts- und Wachstumspakts erschweren. Diese Regeln für solide Haushaltsführung sind im Moment ausgesetzt, wegen der Folgen des Ukraine-Kriegs, doch 2024 könnten die Vorschriften wieder in Kraft treten.

Lega-Nord-Chef Matteo Salvini, einer der Bündnispartner von Meloni, weiß aus eigener Erfahrung, dass der Pakt Ärger bereiten kann. Er war Teil der Regierung von Giuseppe Conte, die 2018 und 2019 mit der Kommission ausdauernd über die richtige Haushaltspolitik stritt. Allerdings wird die Behörde vermutlich Ende Oktober Reformvorschläge für den Stabilitätspakt präsentieren. Er soll einfacher, realistischer und besser durchsetzbar sein, wenn er wieder in Kraft tritt. Aber auch ein angepasstes Regelwerk wird von Italien Budgetdisziplin verlangen. Schließlich ist kein anderer Euro-Staat außer Griechenland so hoch verschuldet; der Schuldenstand beträgt etwa 150 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Europäische Zentralbank (EZB) im Kampf gegen die Inflation die Zinsen erhöht. Dies verteuert es, neue Schulden aufzunehmen. An den Finanzmärkten wächst deswegen bereits die Nervosität: Der Risikoaufschlag zwischen sicheren deutschen Bundesanleihen und italienischen Staatsanleihen ist gestiegen - ein erster Hinweis darauf, dass manche Investoren Unbill für Italien erwarten. Die EZB hat allerdings ein neues Programm aufgelegt, das Transmissionsschutzinstrument. Dies erlaubt es den Währungshütern, gegen das Wachsen der Risikoaufschläge vorzugehen und Schuldscheine von gefährdeten Ländern wie Italien im großen Stil aufzukaufen.

Die EZB hilft nur, wenn Italien die Regeln beachtet

Pikanterweise darf die EZB das aber nur machen, wenn die profitierenden Regierungen den Stabilitätspakt und ihre Reformversprechen für die Corona-Hilfen einhalten. Dies ist ein starker Anreiz für Meloni, die EU-Haushaltsregeln und den Reformplan doch zu beachten. Der CSU-Europaabgeordnete und Wirtschaftspolitikexperte Markus Ferber sagt daher, dass die Wahlsiegerin "gut beraten wäre, den wirtschaftspolitischen Kurs ihres Vorgängers Mario Draghi nicht infrage zu stellen".

Wichtigen Schutz gegen Finanz- und Schuldenkrisen bietet auch der Euro-Rettungsschirm ESM. Der Luxemburger Fonds kann klammen Euro-Staaten Geld leihen, wenn diese Probleme haben, ansonsten Käufer für ihre Anleihen zu finden. Eine Reform soll die Rolle des ESM stärken, doch Italiens Parlament hat die nötige Vertragsänderung nicht ratifiziert. Nach dem Wahlsieg des eher europaskeptischen Rechtsbündnisses ist es unwahrscheinlich, dass dieser Schritt nachgeholt wird. Ironischerweise könnte also ausgerechnet das hoch verschuldete Italien einer besseren Vorsorge gegen neue Euro-Krisen im Wege stehen.

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