Höhere Beiträge zur Krankenversicherung:Die Nächste, bitte!

Professor Oldhafer is assisted with gloves before liver surgery with support of tablet computer at Asklepios Hospital Hamburg-Barmbek

Im Herbst wird über eine Beitragserhöhung entschieden.

(Foto: Fabian Bimmer/Reuters)
  • Etliche Krankenkassen könnten ab 2016 höhere Zusatzbeiträge erheben als bislang.
  • Ende Juni, zum Abschluss des zweiten Quartals, betrug das Defizit der Krankenkassen Berichten zufolge zwischen 460 und 500 Millionen Euro.
  • SPD-Gesundheitspolitiker wollen nach der Sommerpause in der Koalition darüber sprechen, wie die Arbeitgeber stärker an den Kosten beteiligt werden können.

Von Kim Björn Becker

Ziemlich genau sieben Wochen sind es noch, ehe im Süden Bonns, unweit der Bundeskunsthalle, Experten zusammenkommen, um über die Deutschen und ihre Gebrechen zu reden. Der Schätzerkreis beim Bundesversicherungsamt ist ein Gremium im Dickicht des deutschen Gesundheitswesens, das es nur selten ans Licht der Öffentlichkeit schafft. Das dürfte vor allem daran liegen, dass dieses Gremium bloß einmal im Jahr so richtig in Erscheinung tritt: eben Mitte Oktober. Bei ihrer Herbstsitzung berechnen die Fachleute nämlich die zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für das kommende Jahr. Auf der Grundlage dieser Daten ermittelt das Bundesministerium für Gesundheit in Berlin bis Anfang November die neuen Zusatzbeiträge der Kassen. An diesem Punkt wird es dann für die meisten der 70 Millionen gesetzlich Versicherten in Deutschland interessant.

Bereits jetzt mehren sich die Zeichen, dass etliche Krankenkassen 2016 höhere Zusatzbeiträge erheben werden als bislang. Seit Januar dieses Jahres beträgt der gesetzlich festgelegte Beitrag zur Krankenversicherung 14,6 Prozent. Arbeitnehmer und Arbeitgeber kommen dafür paritätisch auf und führen jeweils 7,3 Prozent des Bruttolohns ab. Wenn eine Kasse damit nicht auskommt, kann sie Zusatzbeiträge erheben. Die müssen dann aber ausschließlich die Versicherten aufbringen. Von den 123 gesetzlichen Krankenkassen erheben 120 Zusatzbeiträge. Die meisten verlangen 0,9 Prozentpunkte.

Obwohl immer mehr Deutsche einen Job finden und die Gehälter überdies in vielen Branchen steigen, warnen die Kassen davor, dass sie ohne eine rasche Beitragserhöhung in eine finanzielle Schieflage geraten könnten. "Einerseits steigen die Ausgaben der Krankenkassen bisher schon schneller als deren Einnahmen, andererseits bringen verschiedene Gesetze wie beispielsweise die Klinikreform und das Präventionsgesetz zusätzliche Ausgabensteigerungen", sagt Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands. "Die Kombination aus beidem sorgt dafür, dass die Zusatzbeiträge der Krankenkassen in den kommenden Jahren kontinuierlich steigen werden."

Nur die Knappschaft hat als einzige unter den Versicherungen wohl kein Minus gemacht

Ende Juni, zum Abschluss des zweiten Quartals, betrug das Defizit der Krankenkassen Berichten zufolge zwischen 460 und 500 Millionen Euro. Exakte Werte werden erst in einigen Tagen vorliegen. Zum Ende des ersten Quartals summierten sich die Verluste der Kassen noch auf knapp 170 Millionen Euro. Sollten sich diese Zahlen bestätigen, so hätte sich ihr Defizit in den drei Sommermonaten annähernd verdreifacht. Die Ersatzkassen kämen demnach auf ein Minus von etwa 191 Millionen Euro, die Innungskassen auf ein Defizit von 118 Millionen Euro. Mit minus 110 Millionen Euro sollen die Allgemeinen Ortskrankenkassen das erste Halbjahr beendet haben, die Betriebskrankenkassen seien auf einen Verlust von 100 Millionen Euro gekommen. Um die Fehlbeträge auszugleichen, müssen die Kassen auf ihre Rücklagen zurückgreifen. Immerhin verfügten sie Ende März noch über knapp 16 Milliarden Euro. Allein die Knappschaft steht besser da: Sie soll einen Überschuss in Höhe von 48 Millionen Euro erzielt haben.

Bereits zum Jahreswechsel müssen sich die Versicherten auf eine Erhöhung der Zusatzbeiträge einstellen, heißt es beim GKV-Spitzenverband. Ein Anstieg um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte im neuen Jahr sei durchaus "realistisch". In diesem Fall müsste ein Versicherter bei einem Bruttolohn von 4000 Euro monatlich zwischen 100 und 150 Euro pro Jahr mehr bezahlen. Auch die Bundesregierung rechnet damit, dass die Versicherten bald stärker in die Pflicht genommen werden: In einer aktuellen Kalkulation des Finanzministeriums wird bereits wie selbstverständlich von einer "Steigerung des durchschnittlichen Zusatzbeitrags" ausgegangen.

Grund für die voraussichtliche Erhöhung: Die Gesundheitsausgaben steigen kontinuierlich an. Allein im ersten Quartal dieses Jahres kletterten die Pro-Kopf-Ausgaben um 4,2 Prozent. Arzneimittel, Arzthonorare und Krankenhausbehandlungen gelten als Kostentreiber. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) verteidigte sich unlängst gegen die Kritik der Kassen, viel zu teure Reformen vorzulegen. "Ich warne davor, jetzt Horrorszenarien zu malen", sagte er. Man habe die "nachhaltige Finanzierbarkeit im Blick". Keinen Einfluss auf die Finanzsituation der Kassen hat indes die Versorgung von Flüchtlingen, wie es in vielen Internetkommentaren nach den ersten Meldungen über die anstehende Beitragserhöhung hieß: Die Behandlungskosten werden Ärzten und Kliniken von den Kommunen erstattet und nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung. In Bremen und Hamburg rechnen Ärzte ihre Leistungen für Flüchtlinge zwar direkt mit den Kassen ab, allerdings werden die Kosten nicht von den Versicherten getragen, sondern von der Stadt.

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Die SPD will über die Zusatzkosten für Arbeitnehmer noch einmal reden

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach kritisiert, dass künftig die Arbeitnehmer bei steigenden Zusatzbeiträgen überproportional stark belastet werden. Das sei "nicht durchzuhalten und nicht gerecht". Nach der Sommerpause wolle man in der Koalition darüber sprechen, wie die Arbeitgeber stärker an den Kosten der Krankenversicherung beteiligt werden können. Auch der gesundheitspolitische Sprecher der Linksfraktion, Harald Weinberg, setzt sich dafür ein. Eine paritätische Finanzierung "brächte 0,45 Prozentpunkte Beitragssatzsenkung für die Versicherten". Zusätzlich sollte die Bundesregierung die Beitragsbemessungsgrenze von derzeit 49 500 Euro (von der an es keine höheren Beiträge mehr gibt) anheben oder ganz abschaffen. "Das könnte auch etwa 0,5 Prozentpunkte bringen, wäre aber gegen die Interessen der Gutverdienenden."

Der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Rainer Dulger, spricht sich, wie kaum anders zu erwarten, dafür aus, den Beitrag der Arbeitgeber bei 7,3 Prozent zu belassen. Es gebe bei den Kassen viele Einsparmöglichkeiten, zum Beispiel bei der Verwaltung, ohne dass Leistungen für die Patienten gekürzt werden müssten. "Wenn dort alles getan ist, reden wir über die Beiträge, aber das ist aus Sicht der Industrie kein Thema der nächsten Jahre."

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