Megabauten und Börseneinbrüche:Hoch hinaus, tief hinab

Megabauten und Börseneinbrüche: Der Burj Khalifa, bislang das höchste Gebäude der Welt, in der Dubaier Skyline.

Der Burj Khalifa, bislang das höchste Gebäude der Welt, in der Dubaier Skyline.

(Foto: AFP)

Länder, die außergewöhnliche Hochhäuser bauen, erleben daraufhin nicht selten einen Börsenkrach. Ein Finanzprofessor aus Ulm hat diesen Zusammenhang jetzt für Amerika nachgewiesen. Ein böses Omen für China und Dubai, wo neue Gebäude in Rekordhöhe entstehen?

Von Simone Boehringer

Die Börsen eilen von Rekord zu Rekord, und die Menschheit baut - mit Eilschritten gen Himmel. 1000 Meter hoch soll der in diesem Frühjahr begonnene Kingdom Tower im saudischen Dschidda werden, 172 Meter höher als das bislang höchste Gebäude, der Burj Khalifa im Wüstenstaat Dubai. Das Hotel-, Wohn- und Bürogebäude war 2009 fertiggestellt worden, pünktlich zum Immobiliencrash in dem Land. Die Staatskasse war ob der vielen Prestigeprojekte recht leer und das Emirat hatte seine Gläubiger überraschend um Zahlungsaufschub bitten müssen. Ein Notkredit vom Nachbarn Abu Dhabi half, Schlimmeres zu verhindern.

Dabei müssten die Kreditgeber gewarnt sein: Auf einen Hochhaus-Rekord folgt nicht selten ein Crash. Nach der Planung der Rekordbauten des Chrysler-Gebäudes und des Empire State Buildings im New York der 1920er-Jahre begann die Große Depression. Noch während der Fertigstellung der beiden zu ihrer Zeit rekordverdächtigen Petronas-Türmen im malaysischen Kuala Lumpur brach 1998 die Asienkrise aus. Und dann gibt es da die Baugrube in der heutigen Pleitemetropole Chicago. Am Michigan See sollte 2007 das höchstes Gebäude Nordamerikas entstehen: der 610 Meter hohe Chicago Spire. Doch als die Immobilienblase platzte, wurde das Projekt abgesagt.

In China gibt es die meisten Turmbauten wie auch die größten Fortschritte am Kapitalmarkt

Der Verdacht drängt sich schon lange auf: Zwischen der Höhe der Türme und der Entwicklung an den Kapitalmärkten könnte ein Zusammenhang bestehen. Doch nun hat sich ein Ulmer Finanzwirtschaftler die Mühe gemacht, die Daten dazu empirisch aufzuarbeiten. Professor Gunter Löffler untersuchte insbesondere den Zusammenhang zwischen der Höhe neuer Wolkenkratzer in Amerika und der Entwicklung der Aktienmärkte zwischen 1871 und 2009. Die Ergebnisse hat er vor wenigen Wochen in der Herbstausgabe des amerikanischen Journal of Financial Research veröffentlicht: Es gibt einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Baubeginn großer Hochhäuser und den Renditen am amerikanischen Aktienmarkt. Die Börsen brachen häufig ein und lagen drei bis fünf Jahre nach dem ersten Spatenstich im Durchschnitt um 30 Prozent tiefer als in Zeiten, denen kein solcher Baubeginn vorangegangen war. ,,Die Bauaktivität von Wolkenkratzern, insbesondere von solchen mit Rekordambitionen, ist ein hilfreicher Indikator für die Börsenentwicklung", folgert Löffler.

Für den Forscher ist dabei der Baubeginn das entscheidende Datum, nicht die Fertigstellung eines Gebäudes. Der Grund: Zu Anfang der Arbeiten muss die Finanzierung organisiert werden, sie ist die Hauptvoraussetzung für einen solchen Hochhausbau. ,,Solche Großprojekte mit ungewissem Ausgang werden bevorzugt finanziert, wenn die Menschen optimistisch sind und bereit sind, Risiken einzugehen, und obendrein viel Liquidität im Markt ist", erklärt Löffler.

Es sind oft Patente aus den USA, die Jahrzehnte später in anderen Regionen der Welt erneut erblühen

Es gibt allerdings auch Ausnahmen. Das sind politisch motivierte Bauten wie das One World Trade Center, das auf dem Gelände der von Terroristen 2001 zerstörten Zwillingstürme gleichen Namens errichtet wird. Hier spiele die Stimmung an den Kapitalmärkten zu Baubeginn keine so große Rolle wie bei rein privatwirtschaftlich ambitionierten Gebäuden, sagt Löffler. "Das Trade-Center-Projekt diente auch dazu, der Welt zu zeigen, dass Amerika nicht vor Terroristen weicht, sodass es auf jeden Fall finanziert worden wäre."

Die Amerikaner, die sich eigentlich schon vor mehr als dreißig Jahren aus dem Wettrennen um die größten und spektakulärsten Wolkenkratzer-Projekte verabschiedet hatten, ließen sich erst vor wenigen Wochen von einer Jury die 124 Meter lange Stahlspitze des neuen Turms auf Ground Zero als zugehörig zum Gebäude deklarieren; damit ist das neue World Trade Center, zu dem noch drei niedrigere Gebäude gehören, mit 541 Metern Höhe das höchste Gebäude Nordamerikas. Der um zwölf Meter höhere CN Tower in Toronto ist ein Fernsehturm und zählt daher in der Rekord-Gebäudestatistik nicht mit.

Die Stahlskelettbauweise, nach der bis heute die meisten Wolkenkratzer konstruiert werden, ist genauso an der Ostküste der USA erfunden worden wie die meisten Innovationen an den Börsen auch. Aber wie so oft, blühen US-Patente Jahrzehnte später in anderen Regionen der Welt auf. Vor allem Asien eifert den USA nach.

Auch hier eine interessante Parallele: In China gibt es derzeit die meisten Hochhausprojekte wie auch die größten Fortschritte an den Kapitalmärkten. Peking liberalisiert vehement seine Kapitalmärkte. Das Land gehört zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften und ist auch die größte Gläubigernation der Welt. Gleichzeitig verantworten die Chinesen derzeit zwei Großbauprojekte: Der noch im Bau befindliche Shanghai Tower ist mit 632 Metern Höhe bereits jetzt das zweithöchste Gebäude der Welt. Abgelaufen wird ihm der Rang dann 2015 erstmal von der Konkurrenz im eigenen Lande, dem auf 660 Meter geplanten und gleichfalls im Bau befindlichen Pingan International Finance Centre in Shenzhen. Und ein in der Provinzhauptstadt Changsha geplanter, aber noch nicht genehmigter Wolkenkratzer namens Sky City soll mit 838 Metern Höhe sogar um fast zehn Meter höher sein als der derzeitige Rekordhalter, der Hotel- und Bürokomplex Burj Khalifa in Dubai.

Aber die arabische Welt steht ja schon wieder bereit für die nächste Gigantomanie. In Namen der saudischen Königsfamilie haben Anfang des Jahres die Fundamentarbeiten am Kingdom Tower begonnen. Nach den Analysen Löfflers haben die Börsianer an diesen Märkten also besonderen Grund, vorsichtig zu sein.

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