Medizintechnik:Standort mit Aussicht

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Auch beim Klimaschrank-Hersteller Binder wurde darüber nachgedacht, ob es nicht billiger wäre, die neuen Werke im Ausland zu bauen. Warum das Unternehmen trotzdem nicht in China investiert, sondern im schwäbischen Tuttlingen.

Elisabeth Dostert

Von seinem großen hellen Büro hat Hans-Peter Binder eine schöne Aussicht auf die Zukunft. Zwei große Fensterfronten rahmen sein Eckbüro im ersten Stock des Forschungs- und Entwicklungszentrums im Gewerbegebiet Tuttlingen ein. Die leicht ansteigenden Grundstücke zur Rechten, bis hin zur Bahnstrecke, hat Binder gerade erworben. Gut zwei Hektar struppige Brache. Er musste zugreifen, denn es wird wieder eng im Gewerbegebiet von Tuttlingen. Der Ort ist mit mehr als 500 Firmen das Zentrum der deutschen Medizintechnik.

Binder ist Eigentümer und Alleingeschäftsführer eines Unternehmens, das spezialisiert ist auf Klimaschränke für Industrie und Wissenschaft. In ihnen lassen sich optimale Bedingungen für das Wachstum oder die Lagerung von Zellkulturen herstellen. Verwitterungsprozesse, die in der Natur Jahre dauern, können in wenigen Tagen simuliert werden.

Streng durchnummerierter Wachstumsplan

Noch hat Binder einen freien Blick aus dem linken Fenster seines sehr aufgeräumten Büros, hinaus auf das neue Produktionszentrum. Es wurde vor wenigen Monaten eingeweiht. Auf dem Feld davor markieren Stahlmasten den nächsten Ausbauschritt für eine zweite Produktionshalle, die nächstes Jahr stehen soll - Bauabschnitt 11 auf Binders streng durchnummeriertem Wachstumsplan.

Seit 2005 hat er 15 Millionen Euro in Tuttlingen investiert, weitere fünf Millionen sollen bis Ende kommenden Jahres fließen. Finanziert werde die Expansion weitgehend aus dem Cash flow, sagt Binder. Die operative Rendite vor Steuern sei zweistellig, die Eigenkapitalquote der Gruppe liege bei mehr als 60 Prozent: "Wir wachsen, ohne die Ertragskraft zu riskieren." In Zeiten wie diesen, mit großen Unsicherheiten an den Finanzmärkten, wirkt Binder sichtlich froh, dass er weder von Banken abhängig noch börsennotiert ist. Er lacht nicht sehr oft, aber als er das sagt, tut er es schon.

Natürlich hat auch Binder darüber nachgedacht, ob es nicht sinnvoller wäre, die neuen Werke im Ausland zu bauen, der Kosten wegen. Er hat sich dagegen entschieden. "Der Markt für Simulationsschränke ist so klein, dass er sich leicht von einem Werk aus beliefern lässt", lautet einer seiner Gründe. Und es handele sich meist um kleine Stückzahlen, so dass die Kostenvorteile eines Standortes zur Massenfertigung in China ohnehin nicht greifen. "Produkte der Marke Binder sollen auch langfristig aus Deutschland kommen", beteuert der Geschäftsführer und macht dann doch ein paar Einschränkungen: Wenn der Dollar weiter schwach bleibe, der weiter steigende Ölpreis den Transport der sperrigen Schränke unbezahlbar mache oder wenn in den Abnehmerländern neue Importbeschränkungen auftauchen, dann müsse er die Strategie noch einmal überprüfen.

Wo es klemmt

Binder hat noch viel vor. "Ich bin jetzt 54 Jahre alt und ich will bis 70 arbeiten. Ich befinde mich in meiner stärksten Lebensphase. Ich weiß, wie das Geschäft läuft, ich habe das nötige Kapital, und ich bin gesund." Das heißt nicht, dass ihm alles gelingt oder alles glatt läuft: "Wenn ein Unternehmen so stark wächst wie Binder, klemmt es zwangsläufig an vielen Stellen", sagt Binder. Es sind die alltäglichen Probleme eines Mittelständlers. So scheiterte etwa der Versuch, eine zweite, preiswerte Marke aufzubauen. Nun denkt er über ein neues Modell nach, um sich vor preisaggressiven Konkurrenten aus Asien zu schützen.

Er muss die Strukturen dem Wachstum anpassen. So wurden etwa Abwicklung und Vertrieb getrennt, die früher in einer Abteilung angesiedelt waren. Der Umzug ins neue Entwicklungszentrum vor zwei Jahren sei für manche Mitarbeiter ein "Kulturschock" gewesen: "Sie fühlten sich entwurzelt", sagt Binder. Dieser Schock lässt sich messen: "Bei jedem Umzug verlieren Sie zehn Prozent der Mitarbeiter." Die Großraumbüros seien vielleicht nicht mehr so kuschelig, "dafür ist die Kommunikation besser - und dieser Austausch der Mitarbeiter untereinander ist nötig für Innovationen."

Traum von der dauerhaften Unabhängigkeit

Bis 2011 will Binder die Produktpalette zusammenhaben, die er braucht, um das Umsatzziel von 120 Millionen Euro zu erreichen, das er für 2013 angepeilt hat. Bis dahin soll die Zahl der Mitarbeiter auf 500 steigen. Im vergangenen Jahr beschäftigte die Gruppe 340 Personen und erlöste 45 Millionen Euro. Größter Umsatzträger ist die Sparte Science, also Labore in der Pharma-, Biotechnologie- und Lebensmittelindustrie: Sie macht 80 Prozent aus, der Rest kommt aus der Industrie. Bis 2013 solle der Anteil der Science-Sparte auf 70 Prozent sinken. "Auf einem Feld wie Science muss man immer damit rechnen, dass es irgendwann eine Erfindung gibt, die Ihr Geschäft obsolet macht", sagt Binder: "Die Zellbiologie ist eine zerstörerische Wissenschaft."

Deshalb denkt der Firmenchef intensiv über eine dritte, "verwandte" Sparte nach. Auch deshalb hat er das Brachland gekauft. "Mein Traum ist es, Binder in eine Größenordnung zu führen, in der das Unternehmen dauerhaft unabhängig bleiben kann", sagt Binder.

© SZ vom 17.4.2008/jkf/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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