Medizin:Medikamente wurden illegal nach Deutschland verschoben

Arzneimittel

In einer Apotheke in einem Athener Vorort wurden entwendete Medikamente neu verpackt.

(Foto: dpa)
  • Über Jahre hinweg wurden wertvolle Krebsmedikamente aus Griechenland illegal auch nach Deutschland verschoben.
  • Behörden hierzulande hatten zwar Hinweise auf das betrügerische Treiben, sie blieben aber lange untätig.
  • Inzwischen hat das Gesundheitsministerium in Potsdam Versäumnisse eingeräumt und ruft rund 700 Arzneimittelpackungen zurück.

Von Christiane Schlötzer, Tasos Telloglou und Klaus Ott

Kifisia ist ein nobler Athener Vorort, die Villen haben Gärten und oft auch hohe Zäune. Und dort, im Haus eines Pharmaunternehmers, fand die griechische Polizei bei einer Durchsuchung viele edle Steine: 270 Rubine. Die Beamten glauben, dass mit den teuren Steinen Profite aus dem illegalen Handel mit Medikamenten gewaschen werden sollten.

Die Razzia war Teil umfangreicher Ermittlungen in einem Skandal, der weit über Griechenland hinaus wirkt und inzwischen auch Deutschland erreicht hat. Es begann mit einer anonymen Anzeige, die schon im Oktober 2016 bei der Athener Finanzpolizei einging. Der Tippgeber behauptete, in staatlichen griechischen Krankenhäusern würden wertvolle Krebsmedikamente entwendet, mit gefälschten Rezepten. Die Arzneien fänden dann über eine Athener Apotheke und eine Sammelstelle in Bulgarien ihren Weg zu Pharmagroßhändlern in den Niederlanden und in Deutschland. In der Anzeige standen auch die Handelsnamen der Medikamente: eine lange Liste teurer Produkte für Chemotherapien, hergestellt von Novartis Hellas, Roche Hellas oder Pfizer Hellas.

Die Ermittlungen gestalteten sich zuerst schwierig. Schließlich beschattete die Polizei aber vier Monate lang verdächtige Ärzte in Athener Staatskliniken, Krankenschwestern, Boten, Apotheker. Anfang Mai 2018 nahm sie mehr als ein Dutzend Personen fest, darunter Ärzte und Schwestern. Als Drahtzieher des Netzwerks nennt ein 52 Seiten langer Polizeibericht den Deutsch-Ägypter Mohammed H., der 70-Jährige kam in Untersuchungshaft. Mittlerweile soll er sich in einem Athener Gefängniskrankenhaus befinden. Und er soll um seine Abschiebung nach Deutschland gebeten haben, denn in Griechenland könnte ihm lebenslange Haft drohen.

Krebsmedikamente werden in Griechenland nur von staatlichen Stellen ausgegeben. Die Betrügereien sollen schon 2013 begonnen haben, auf dem Höhepunkt der griechischen Finanzkrise, als die Krankenhäuser kaum ihre eigenen Patienten versorgen konnten. Polizeisprecher Theodoros Chronopoulos sagt, die Täter zeigten eine "besondere Verachtung" für die Gesellschaft, es sei ihnen "allein um den Profit" gegangen.

Die entwendeten Medikamente wurden, so die Ermittler, zu einer Apotheke im Athener Vorort Kalithea gebracht und dort neu verpackt. Zur Einhaltung der Kühlkette soll auch auf dem Athener Fischmarkt zwischengelagert worden sein. Bis Mai 2018 sollen so 14 500 Packungen nach Nordeuropa gelangt sein. Einer der Hauptabnehmer in Deutschland war nach Angaben des griechischen Polizeiberichts die Firma Lunapharm im brandenburgischen Mahlow. Auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung bestätigte die Firma Ende Mai, dass es bei ihr eine Durchsuchung gegeben habe, im November 2017. Dabei sei aber "weder Ware begutachtet noch beschlagnahmt worden". Gegen Lunapharm werde nicht ermittelt.

Die Potsdamer Staatsanwaltschaft hat dagegen inzwischen erklärt, gegen die Firma werde sehr wohl ermittelt, und zwar schon seit April 2017, wegen des Verdachts der Hehlerei und des Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz. Am Freitag bestätigte der Anwalt der Lunapharm-Geschäftsführerin, dass gegen seine Mandantin ermittelt werde. Sie sei aber überzeugt, "keinerlei Straftaten begangen zu haben".

Eine Ärztin, die nicht mehr mitmachen wollte, wurde bedroht - mit einer Waffe

Die Ermittlungen wurden erst bekannt, nachdem das RBB-Magazin "Kontraste" den Behörden in Brandenburg Versagen bei der Kontrolle der Firma vorgeworfen hatte. Der Bericht fragte auch nach möglichen Gesundheitsgefahren, falls die empfindlichen Medikamente aus Griechenland nicht sachgemäß transportiert wurden. Inzwischen hat das Gesundheitsministerium in Potsdam Versäumnisse eingeräumt und ruft rund 700 Arzneimittelpackungen zurück. Außerdem wurde zu dem Fall eine Hotline eingerichtet. Zuvor hatte die Arzneimittelaufsicht des Landes stets betont: "Die Sicherheit der Menschen war zu keiner Zeit gefährdet." Die Behörden in Brandenburg hatten ebenfalls schon vor längerer Zeit einen Tipp bekommen, von der polnischen Arzneimittelaufsicht. Dort waren Ende 2016 große Mengen eines sehr teuren Krebsmedikaments aufgetaucht, von Lunapharm, aber vermutlich auch aus griechischen Quellen. Es verging aber viel Zeit, bis etwas Entscheidendes passierte. Lunapharm teilte dazu Ende Mai mit: "Der Durchsuchungsantrag der griechischen Behörden vom Januar 2017 enthielt viele Mängel und Ungereimtheiten, sodass die Durchsuchung erst im November 2017 stattfand."

Wer auch immer zu langsam handelte, die Folge war: Mohammed H. konnte offenbar lange ungestört agieren. Er besaß nach SZ-Informationen ein Geflecht von Firmen in Ägypten, auf Zypern, in Griechenland, Deutschland und den Niederlanden. "Zu diesem Netzwerk gehören mindestens 500 Personen", sagte ein Athener Ermittler. In fünf Jahren sollen so 25 Millionen Euro umgesetzt worden sein, aber das ist nur das vorläufige Ergebnis der Ermittlungen. Der Wert der "Exporte" an Lunapharm und eine andere deutsche Firma, die H. gehören soll, könnte allein 2014 und 2015 rund 17 Millionen Euro betragen haben. Die Polizei vermutet, dass der Schaden für die griechischen Krankenhäuser sogar noch größer ist. In Griechenland ist der Verkaufspreis der betreffenden Medikamente um zehn bis 30 Prozent niedriger als in Deutschland.

Eine Ärztin hat aus der Haft an den griechischen Staatspräsidenten geschrieben. Über ihre Gewissensbisse, dass sie keine Scheinrezepte mehr ausstellen wollte. Einer aus der Medikamentenmafia habe sie dann bedroht, mit einer Pistole.

Für alle Betroffenen hat das Brandenburger Gesundheitsministerium ab Freitag täglich von 10 bis 16 Uhr eine Hotline geschaltet. Die Rufnummer in Potsdam lautet 0331- 866 5020.

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