Sauberes Trinkwasser aus der Leitung, darauf können sich Verbraucher in Deutschland verlassen. Für einen reibungslosen Ablauf sorgen knapp 6000 kommunale Versorger. Doch die warnen nicht nur vor einer zunehmenden Belastung der Gewässer durch Gülle und Pestizide, sondern auch durch Arzneimittel. "Die Verantwortung für die Umwelt darf nicht allein der Wasserwirtschaft überlassen werden", sagt Martin Weyand, Geschäftsführer beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) in Berlin. Dort geht man in den nächsten Jahrzehnten von einem deutlichen Anstieg des Arzneimittelverbrauchs aus. Das könnte die Verbraucherpreise nach oben treiben, weil es teurer und komplizierter wird, Wasser aufzubereiten.
Weyand beruft sich dabei auf eine noch nicht veröffentlichte Studie des BDEW, die der SZ vorliegt. Ergebnis der Untersuchung: bis 2045 dürfte der Verbrauch an Arzneimitteln in der Humanmedizin um etwa 70 Prozent steigen. Der Anteil der über 60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung steigt Prognosen zufolge in diesem Zeitraum von heute 27 Prozent auf 36 Prozent - vor allem im Alter nimmt der Bedarf an Arzneimitteln deutlich zu.
Wasserversorger warnen: "Ein Klärwerk ist kein Reparaturbetrieb."
Nicht nur die Verbrauchsmenge wächst, sondern auch die Zahl der Wirkstoffe. "Der Druck auf die Gewässer wird zunehmen und die Versorger werden dieses Problem nicht alleine lösen können", meint Weyand. Auch die Pharmaindustrie als Verursacher müsse in die Verantwortung genommen werden. Umweltrisiken müssten bereits bei der Entwicklung von Arzneimitteln stärker geprüft werden.
Selbst mit aufwendigen Reinigungsverfahren können Arzneimittel-Rückstände nicht zu 100 Prozent herausgefiltert werden. "Ein Klärwerk ist kein Reparaturbetrieb", sagt Weyand. Während etwa Schmerzmittel wie Paracetamol oder Acetylsäure als relativ gut abbaubar gelten, ist das bei Diclofenac schwierig. Das Mittel belastet die Umwelt, kann Fischen und Vögeln schaden. Probleme bereiten auch die Hormonreste der Anti-Babypille, die bei Tieren in Gewässern die Fortpflanzung beeinträchtigen können. Antibiotika-Rückstände verschärfen das Resistenzproblem, mit der Gefahr, dass die Mittel nicht mehr wirken.
Tatsächlich können Reste von Medikamenten inzwischen nahezu flächendeckend und ganzjährig in Fließgewässern, aber auch in Boden- und Grundwasserproben nachgewiesen werden. Das zeigen auch Messungen des Umweltbundesamts. Insgesamt geht es um mehr als 150 verschiedene Arznei-Wirkstoffe. Selbst im Trinkwasser lassen sich vereinzelt Spuren nachweisen. Eine Gefahr für die Gesundheit gehe davon zwar nicht aus, heißt es bei der Behörde. Doch schon allein aus Vorsichtsgründen müsse der Eintrag so gering wie möglich gehalten werden.
Über die tatsächlichen Risiken für Mensch und Umwelt ist aus Sicht des BDEW jedoch noch viel zu wenig bekannt. "Viele Wirkstoffe lösen sich nicht auf natürliche Weise auf", warnt Weyand. Sie können sich verändern und mit anderen Stoffen reagieren. "Diese Zusammenhänge sind noch viel zu wenig erforscht", klagt er. Auch die EU hat das Problem erkannt und arbeitet an einer Strategie.
Dabei wäre ein Teil der Arzneimittelrückstände aus Sicht der Wasserversorger leicht vermeidbar. Das gilt nicht für das, was Patienten eingenommen und an Reststoffen mit dem Urin wieder ausscheiden. Doch ein erheblicher Teil nicht verbrauchter Arzneimittel wird noch immer in der Toilette entsorgt anstatt im Restmüll.