Pharmaunternehmen sind keine gemeinnützigen Organisationen. Das liest sich recht banal, geht aber in der Diskussion um Engpässe bei Medikamenten manchmal unter. Um der eigenen dauerhaften Existenz willen, müssen Firmen Gewinne erzielen. Sie investieren, zahlen Löhne und Steuern. Wenn ein Produkt auf Dauer nur Verlust bringt, wird es eingestellt. Das macht jeder Hersteller von Autos und Handtaschen so. Niemand leidet darunter oder stirbt daran.
Bei Medikamenten ist das anders. Menschen, die krank sind, oder ertragen müssen, wie ihre Nächsten leiden, erwarten zurecht, dass der Staat dafür sorgt, dass Medikamente nicht ausgehen, es in den Krankenhäusern genügend Ärztinnen und Pfleger gibt. Doch dem Staat gelingt es immer weniger, durch die von ihm gesetzten Regeln, den Anspruch auf die Deckung solcher existenziellen menschlichen Grundbedürfnisse in Einklang zu bringen mit den Zielen von Unternehmen, die für deren praktische Erfüllung zuständig sind.
Die Kosten im Gesundheitswesen steigen, aber es wird nichts besser
Die Kosten im Gesundheitswesen steigen und steigen, aber es wird, so empfinden das viele Menschen, nicht besser. Es wäre jetzt falsch, die Morbidität des Systems allein dem amtierenden Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach anzulasten. Es ist ein Organversagen, das sich über viele Jahrzehnte hin aufgebaut hat. Es wurde viel rumgedoktert und zu wenig gewagt, auch weil es erhebliche Widerstände im System gibt, etwa von den gesetzlichen Krankenkassen.
Die Versorgung mit Generika, das sind Medikamente, für die kein Patentschutz mehr besteht, ist ein gutes Bespiel für das kollektive Versagen. Die Preise für manche Produkte sind erbärmlich. Ein Fiebersaft für Kinder kostet weniger als eine Kinokarte oder ein einfaches Frühstück auf dem Weg ins Büro. Alle staatlichen Steuerungsinstrumente - von den Festbeträgen über das Rabattsystem und das Preismoratorium - dienen derzeit nur dem einem Zweck: die Preise zu drücken. Sie haben zu einem Unterbietungswettbewerb geführt und dazu, dass Hersteller im Streben nach Gewinn viele Wirkstoffe aus China und Indien beziehen. So ließ sich eine Weile noch Geld verdienen, aber mittlerweile funktioniert auch das nicht mehr.
Festpreise und ein intransparentes Geschacher um Rabatte taugen nicht, um die Versorgung mit existenziellen Gütern zu gewährleisten. Das will Gesundheitsminister Karl Lauterbach ändern. Der Leitgedanke jeder Reform muss sein, die Versorgung sicherzustellen und nicht den niedrigsten Preis zu erzielen. Dass die Festbeträge und Rabattverträge für Kinderarzneimittel fallen sollen, ist ein erster guter Schritt, weil die Produktion von Zäpfchen und Säften teurer ist und die Volumina kleiner. Warum nicht gleich für alle Medikamente?
Das Produktionsrisiko muss gestreut werden - auch wenn die Arzneimittel dann teurer werden
Für die Ausschreibungen der gesetzlichen Krankenkassen muss es neue Kriterien geben, die das Risiko streuen und Abhängigkeiten vermeiden. Für die Lieferung eines Fertigarzneimittels sollten immer mehrere Hersteller aus verschiedenen Regionen der Welt zum Zug kommen. Und es muss sichergestellt werden, dass auch diese für Wirkstoffe und andere Zutaten mehrere Lieferanten haben. Es nützt nichts, wenn vier Hersteller aus Italien, Deutschland, Israel und Polen den Zuschlag für ein Fertigarzneimittel bekommen, diese aber ihre Wirkstoffe vom selben Anbieter in Indien beziehen. Fällt der aus, ist die Versorgung gefährdet. Das ist leider kein theoretisches Beispiel. Für die Lieferanten müssen die gleichen Standards gelten. Wer sich in Indien nicht um die Umwelt scheren muss, kann unschlagbar billig liefern.
Doch selbst wenn solche neue Regeln kommen, werden sich die Engpässe nicht schnell auflösen, weil Wertschöpfungsketten neu geknüpft werden müssen und Investitionen in neue Kapazitäten Zeit brauchen. Dafür brauchen die Unternehmen auch Planungssicherheit über Legislaturperioden hinaus.
Sehr gut möglich, dass durch solche Steuerungsmechanismen die Preise für Generika steigen. Für eine zuverlässige Versorgung ist es das wert. Es gibt im Gesundheitssystem schließlich durchaus Möglichkeiten, um anderswo Kosten zu sparen, etwa durch eine bessere Digitalisierung wie die elektronische Patientenakte. So was tut nicht weh oder nur ein bisschen, weil es dem ein oder anderen schwer fällt, sensible Daten zur eigenen Gesundheit zu teilen. Lebensgefährlich ist das nicht.