Medienhype um Ex-Staatsanwältin:Eine gemachte Heldin

Ein Lehrstück für journalistische Seminare: Die Medien haben die ehemalige Bochumer Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen zur Heldin gemacht - und sie damit auf Fallhöhe gebracht.

Hans Leyendecker

Die Krönungsmesse ist ein Werk von Wolfgang Amadeus Mozart, das 1779 im Salzburger Dom uraufgeführt wurde. Es gibt einige Strafverfolger wie den Bonner Oberstaatsanwalt Fred Apostel, die das aus fünf Teilen bestehende geistliche Chorwerk früher als Sänger in einer Kantorei mitgesungen haben, aber es wird vermutlich nur wenige Staatsanwälte geben, die eine Anklage in einem Prozess als eigene "Krönungsmesse" bezeichnen.

Ex-Staatsanwältin: Eine gemachte Heldin AP

Die ehemalige Bochumer Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen: Zur Heldin wird, wen die Medien zur Heldin machen wollen.

(Foto: Foto: AP)

Die in eine Affäre verstrickte ehemalige Bochumer Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen soll im Gespräch mit Journalisten bedauernd davon gesprochen haben, dass sie ihre "Krönungsmesse" verpasse, weil sie die Anklage in dem an diesem Donnerstag in Bochum beginnenden Prozess gegen den geständigen Steuersünder Klaus Zumwinkel nicht mehr vertreten kann.

Kritik der Chefin

Ihre oberste Chefin, die Düsseldorfer Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter, hat den Spruch heftig kritisiert: "Wir brauchen keine Staatsanwälte, die nach ,prominenten Fällen gieren oder ,Krönungsmessen' feiern wollen", erklärte die CDU-Ministerin vorige Woche. Die Politikerin betonte, dem "Bild des Staatsanwalts in unserer Gerichtsverfassung" entspreche nur der Beamte, der seine Arbeit "objektiv, sorgfältig und unspektakulär" verrichte. Also einer, der nicht durch die Presse zur öffentlichen Person und damit berühmt wird.

Was immer die als Einzelrichterin zum Amtsgericht Essen gewechselte ehemalige Staatsanwältin Lichtinghagen in den vergangenen Monaten gemacht hat, war aber spektakulär, jedenfalls aus Sicht der Medien. Zwar gibt es 1016 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Nordrhein-Westfalen, aber kein anderer, keine andere hat es zu solcher Prominenz gebracht wie die 54-Jährige.

"Bochums schärfste Waffe", schrieb die taz. "Leitwölfin im Rudel der harten Hunde" die Financial Times Deutschland. Sie war die Frau, die "Jagd in der High Society" machte, wie der Spiegel meinte. Das Magazin hatte sie schon im Jahr 2000 als "außergewöhnlich unerschrockene Vertreterin ihres Berufsstandes" beschrieben. Nach der Heimsuchung Zumwinkels im Februar 2008 wurde sie auf Seite Drei in der Süddeutschen Zeitung so vorgestellt: "Eine Frau, die gerne überrascht".

"Wer hoch steigt, fällt tief", hat Margrit Lichtinghagen früh von ihrer Großmutter gelernt, und die Ex-Staatsanwältin hatte, dramaturgisch ausgedrückt, die moralische Fallhöhe, die für einen Skandal unentbehrlich ist. Für diese Fallhöhe braucht es einen Leser, der enttäuschbar ist, und eine Heldenfigur, der am besten große Redlichkeit, Mut und Unerschrockenheit zugebilligt werden.

"Nur weil ich eine Frau bin"

Aufstieg und Niedergang der Margrit Lichtinghagen, die wegen der Verteilung von Millionen aus Geldbußen an von ihr bevorzugte allgemeinnützige Organisationen möglicherweise ein Ermittlungsverfahren zu gewärtigen hat, sind ein Lehrstück für die journalistischen Seminare. Aus ihrer Sicht ist der Fall noch komplizierter: "Nur weil ich eine Frau bin, haben die Medien mich derart hochgeschrieben", sagte sie in einem Gespräch im Januar. Niemals wäre ein Mann "von den Medien so nach oben geschossen worden". Sind angebliche Heldinnen gefährdeter als vorgebliche Helden? Werden Frauen eher als Männer zur Projektionsfläche der Geschlechter für Sehnsüchte und auch für Vorurteile?

Die Geschichte der Ermittlungen im Weichbild der Wirtschaftskriminalität wurde viele Jahre von Männern geschrieben. Da war der ehemalige Chef der Steuerfahndung in Sankt Augustin, Klaus Förster, der vor gut 30 Jahren auf die große Umwegfinanzierung der bürgerlichen Parteien stieß. Er ließ die Politiker nicht mehr aus dem Schwitzkasten, obwohl die zuständige Oberfinanzdirektion ihn aufforderte, für eine Weile zumindest die Finger von dem heißen Fall zu lassen.

Lesen Sie auf der folgenden Seite, worin sich das Auftreten Lichtinghagens von dem ihrer Kollegen unterschied.

Eine gemachte Heldin

Volljurist Förster, dessen Frau Margarete eine Apotheke führte, war ebenso mutig wie finanziell unabhängig und ließ sich nicht zur Räson bringen. Er quittierte den Staatsdienst, als die Ermittlungen nicht mehr aufzuhalten waren und arbeitete als Rechtsanwalt. Er ist in Büchern und von Jurys hoch geehrt worden.

Für einen Teil der Öffentlichkeit zumindest war auch der ehemalige Augsburger Staatsanwalt Winfried Maier zeitweise ein Held. Er ermittelte in jener berühmten Panzeraffäre, die mit dem Namen des Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber verbunden ist und wechselte dann, als er sich relativ alleingelassen wähnte, resigniert als Richter zum Landgericht. Seine spöttisch formulierten Grundregeln für den "idealen Staatsanwalt" finden sich seitdem in einschlägigen Werken über den Zustand des deutschen Gemeinwesens und der Strafverfolgung: "Die Bestechung da oben interessiert mich nicht; die Weisung des Vorgesetzten stört mich nicht; die Einflussnahme von oben irritiert mich nicht; der Ladendiebstahl ist strafbar - nicht?"

Sonst nur im Team

Seit einiger Zeit treten in großen Wirtschaftsstrafverfahren wie bei VW oder Siemens bevorzugt Staatsanwältinnen in führender Rolle auf, aber keine von ihnen wurde von den Medien als eine Heldin vorgestellt, die sich vor nichts fürchtet. Das mag auch damit zusammenhängen, dass sich diese Staatsanwältinnen - wenn überhaupt - nur im Team präsentiert haben.

Richtig ist natürlich auch, dass der Ruf der Abteilung 35 der Bochumer Staatsanwaltschaft, der Margrit Lichtinghagen 15 Jahre angehörte, wie Donner klang. Die Abteilung werde "von Wirtschaftskriminellen im ganzen Land gefürchtet", schrieb der Spiegel früh. Dieser Befund hing untrennbar mit den Auftritten der Staatsanwältin Lichtinghagen zusammen. Ihr System war schlicht: Um viel Geld bei den Reichen einzusammeln, übte sie auf Beschuldigte eine Menge Druck aus, um dann am Ende doch auf die Beantragung von Haftstrafen ohne Bewährung zu verzichten. Das Ende solcher Verfahren wurde in kaum einem Medium differenziert beschrieben. Stattdessen wurde das System aus Repression und Kooperation fälschlicherweise mit Begriffen wie "Unerschrockenheit" übersetzt.

Irritierende Glückwünsche

Und dass Steuerstrafverfahren, um die sie sich vorwiegend kümmerte, juristisch betrachtet eher schlicht sind, blieb meist auch unbeachtet. Es bleibt dabei: Zur Heldin wird, wen die Medien zur Heldin machen wollen. Dass sogar ein Film über die Bochumer Staatsanwältin mit Veronica Ferres in der Hauptrolle geplant war, galt manchem da draußen als Zertifikat für Unabhängigkeit und Mut und führte drinnen in der Behörde zu Spötteleien und vielleicht auch Neid.

Als Staatsanwältin hat Margrit Lichtinghagen immer wieder mal versucht, das Bild der Heldin Lichtinghagen wegzuwischen. Als ihr nach der Zumwinkel-Durchsuchung und dem folgenden Medien-Hype sogar Steuerfahnder, mit denen sie seit mehr als einem Jahrzehnt eng zusammenarbeitete, zum Erfolg gratulierten, war sie sichtlich irritiert und fassungslos. Sie hat den Beamten mitgeteilt, dass sie ihnen alles zu verdanken habe. Auf das Team, nicht auf den Einzelnen, komme es an. Teams aber haben keine Fallhöhe.

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