Medienbranche in der Krise:Hauptsache Nebenwerte

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Feng Shui, schöne Hüften und Reiselust: Wie die auf Wirtschaftstitel spezialisierte Verlagsgruppe Handelsblatt mit Randaktivitäten wachsen will.

Kai-Hinrich Renner

(SZ vom 12.12.2003) — Um die schönen Hüften trägt die Dame nur eine Perlenkette, unterhalb des Bauchnabels hat sich die Redaktion verewigt: "Hip! Hip! Hurra!"

Das Lifestyle-Magazin Five to Nine ist die jüngste Errungenschaft einer seriösen Adresse der Wirtschaftspublizistik: Willkommen in der schönen neuen Welt der Verlagsgruppe Handelsblatt.

Die Tochter des Stuttgarter Medienkonzerns Holtzbrinck, die auch Titel wie Wirtschaftswoche und DM Euro herausgibt, residiert in der Düsseldorfer Kasernenstraße. Derzeit wird das Verlagshaus renoviert, die Fassade ist eingerüstet.

Doch auch in den Redaktionen wird seit gut vier Jahren gewerkelt - mehrfach änderten sich dabei die Baupläne. In der holzgetäfelten, hallenhohen Bibliothek im sechsten Stock scheint die Zeit hingegen stehen geblieben zu sein.

Hier, wo hinter Glas wertvolle Folianten stehen, pflegt das Management wichtige Sitzungen abzuhalten und empfängt Verlagschef Harald Müsse Gäste: Der 54-Jährige arbeitet seit 1978 im Haus und übernahm Anfang des Jahres den Vorsitz der Geschäftsführung - nach Aufräumarbeiten durch die Stuttgarter Mutter.

FTD — "Führerschein auf Probe"

Nun verkündet Müsse mit leiser, eindringlicher Stimme eine Trendwende: Die von der Krise gebeutelte Wirtschaftspresse habe das Tal der Tränen durchschritten, die Geschäfte seines Hauses hätten sich im zweiten Halbjahr 2003 im Vergleich zum Vorjahr nicht verschlechtert.

Man ist bescheiden geworden. Nachdem der Börsenboom im Jahr 2000 den Düsseldorfern 430,6 Millionen Euro Erlös bescherte, schmelzen die Umsätze in diesem Jahr auf 270 Millionen. Immerhin: Das Ergebnis ist ausgeglichen, operativ schreibe man sogar schwarze Zahlen.

Früher war das Image des Verlages dröge und die Rendite illuster. Dass diese Ära nicht ewig währen würde, war klar, als die britische Financial Times Ende der 90er Jahre das Handelsblatt kaufen wollte - und nach einer Absage dann mit dem Verlag Gruner + Jahr die Financial Times Deutschland machte. Nun wurde das Handelsblatt bunter, investigativer.

Doch mit dem Aktiencrash brachen auch die Auflagenwerte des fiebrigen Börsenjahrs 2000 ein, als das Handelsblatt zeitweise mehr als 120.000 Abonnenten und weitere 30.000 Kioskverkäufe verbuchte. Heute hat die Zeitung weniger als 100.000 Abonnenten; der Einzelverkauf liegt bei gut 12.000 Exemplaren.

Viele Exemplare werden verbilligt an Großkunden wie Fluglinien und Hotels abgegeben. Hat auch die FTD geschadet? Harald Müsse verneint. Kein Leser habe sein Abo gekündigt, man profitiere vielmehr vom Wettbewerber: "Indem sie junge Leute an das Thema Wirtschaft heran führt, nutzt die FTD dem Handelsblatt." Das lachsrosa Wirtschaftsblatt sei "so etwas wie der Führerschein auf Probe".

Unter dem buschigen Schnauzbart scheint ein Lächeln auf, und Müsse erklärt: "Wir werden uns auch wieder mehr mit dem traditionellen Mittelstand befassen."

Für den neuen Kurs steht Chefredakteur Bernd Ziesemer. Wer aus der gediegenen Behaglichkeit der Verlagsbibliothek zu ihm kommt, nimmt moderne Kunst an weißen Wänden wahr. Vor Ziesemers Büro hängt ein Baselitz.

Das ist aber noch nichts gegen den Newsroom, in dem Grafiker und Blattmacher aus den Beiträgen der einzelnen Ressorts das aktuelle Angebot im Internet und in der Zeitung komponieren.

Das Großraumbüro wurde nach Regeln des Feng Shui gestaltet, es dominiert die Nierenform. Der tiefblaue Teppichboden kontrastiert mit Mobiliar in Lindgrün und Knall-Orange.

"Wieder konservativer"

Dagegen wirkt das Handelsblatt doch recht konventionell. "Wir sind wieder ein bisschen konservativer geworden", sagt Ziesemer über die letzte Layout-Reform: "Das passt auch zu uns." So musste das "Mäusekino" dran glauben, eine Galerie mit Themenanreißern auf der Auftaktseite. Auch die zentrale Funktion des Newsrooms, für die Ziesemers entmachteter Co-Chefredakteur Thomas Knipp stand, wurde relativiert.

Um 18 Uhr steht der Chef am Balken und schaut über die Titelzeile. "Kabinett kippt Steuerprivileg - Versicherer suchen Auswege" steht an diesem Dienstag auf dem Monitor - etwas lahm, aber der vorgesehene Exklusiv-Aufmacher war am Nachmittag geplatzt.

Den Lesern nicht zumuten wollte Ziesemer eine Story des Wall Street Journal über die privaten Seiten der Bertelsmann-Matriarchin Liz Mohn, obwohl die Amerikaner mit dem Handelsblatt kooperieren und es eine wechselseitige Beteiligung gibt.

Brisante Enthüllungen finden sich auch in der Wirtschaftswoche, die ein Redakteur indes verlassen wird, weil er Bizarres um den Dr. hc-Titel des Bankers Martin Kohlhaussen aufschrieb und im eigenen Haus Ärger bekam.

Die Auflage schwankt nicht so heftig wie bei anderen Objekten aus der Kasernenstraße - was wohl daran liegt, dass sich der Titel auch im Börsen-Hype nie als Anlegermagazin verstand. Wirtschaftswoche und Handelsblatt schreiben schwarze Zahlen.

Davon ist DM Euro noch weit entfernt. Dabei hat der Verlag alles getan, um das Monatsmagazin auf Kurs zu bringen: Es bekam einen neuen Chefredakteur, der Redaktionssitz wurde von Düsseldorf nach Frankfurt verlegt, das Konzept verändert.

Wachstumssegment Wirtschaftspublizistik

Der Titel, bei dem sich einst alles um das Thema Geld drehte, soll nun, so Müsse, mit "Unternehmensgeschichten, Wirtschaftspolitik und Servicethemen die alte Position von Capital einnehmen" - dem G+J-Wirtschaftsmagazin.

Gefruchtet hat das bisher nicht. Die Auflage des Titels, der von Februar an nur noch Euro heißt, fällt weiter, der Jahresverlust liege im "knapp einstelligen Millionenbereich". Von einer Einstellung will Müsse nichts wissen: "Unser Haus tendiert nicht dazu, ein Schlachtfest nach dem anderen zu veranstalten."

Mitte 2002 waren Telebörse und E-Business beerdigt worden. Die Zahl der Verlagsmitarbeiter sank von 1500 (im Jahr 2000) auf nun 1100. Die Immobilien am Standort Düsseldorf wurden verkauft.

Kaum ein anderer Verlag hat ähnlich drastisch auf die Krise reagiert. "Gemessen am Bedarf ist der Markt immer noch überbesetzt", mault Müsse, "vier bis fünf Titel" seien überflüssig.

Man kann sich denken, wer gemeint ist: In einer von ihm präsentierten Marktübersicht fehlen Börse Online, Focus Money, Finanzen und Euro am Sonntag.

Misslich ist für die Düsseldorfer, dass Erzrivale Gruner + Jahr die Wirtschaftspublizistik kürzlich zum Wachstumssegment mit eigenem Vorstandsressort erklärt hat. Müsse: "Ich kann mich nicht darüber freuen, wenn unser wesentlichster Wettbewerber Verluste macht." G+J macht hier rund 9,5 Millionen Euro Minus im Jahr.

"Im Stammgeschäft gibt es kaum Spielraum", sagt Müsse, "das Wachstum muss von den Randaktivitäten kommen." Hauptsache Nebenwerte: Das Handelsblatt verfügt neuerdings über einen Reiseteil, den eine externe Firma zuliefert, worüber es sogleich Ärger gab wegen angeblicher Schleichwerbung. Die Wirtschaftswoche hat ein Sonderheft und einen Kongress zu China initiiert.

Der Kundenzeitschriftenverlag Corps und das Forschungsinstitut Prognos wurden ganz übernommen. Die Fachverlagssparte ( Absatzwirtschaft), die unter Uwe Hoch stets gut verdient hat, soll expandieren. Für Osteuropa sind weitere Wirtschaftstitel geplant, die Verlagsgruppe ist bereits in Tschechien, der Slowakei und in Serbien vertreten.

So rechnet Müsse für 2004 mit Gewinn. Auch der Wirtschaftswochen-Lifestyle-Ableger Five to Nine soll dazu beitragen. Es wird im kommenden Jahr dreimal erscheinen - hip, hip, hurra.

© SZ vom 12.12.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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