Medien:37 Songs: ESC-Show zwischen Coolness und Kitsch

Kopenhagen (dpa) - Kurz vor der großen Show ticken die Sekunden und Stunden auf den Refshaleøen in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen gefühlt plötzlich schneller herunter.

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Kopenhagen (dpa) - Kurz vor der großen Show ticken die Sekunden und Stunden auf den Refshaleøen in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen gefühlt plötzlich schneller herunter.

Auf dem friedlichen alten Werftgelände, umgeben von Wiesen, Kanälen und Hausbooten, knistert die Luft. Der klobige Betonblock, der mitten darauf steht, wird seit einigen Tagen von Hunderten Musikern, Tänzern, Maskenbildnern und Technikern aus mehr als drei Dutzend europäischen Ländern bevölkert. Ununterbrochen proben Conchita Wurst aus Österreich ("Rise Like a Phoenix") oder Belgiens Barde Axel Hirsoux ("Mother") auf der Bühne, auf der am Samstag der 59. Eurovision Song Contest steigt.

"Ich schlafe immer noch sehr gut", sagt der dänische Chef der Show, Jan Lagermand Lundme. "Aber ich bin mir sicher, wenn der ESC näher kommt, werde ich nervös sein - vor Vorfreude." Schließlich wollen die Dänen dem Rest Europas zeigen, "dass wir cool sind".

Zu den lässigen Kopenhagenern will der aufgedrehte Sängerwettstreit aber gar nicht so recht passen, weshalb nach dem Sieg der barfüßigen Dänin Emmelie de Forest 2013 in Malmö ("Only Teardrops") "ein neuer Eurovision-Look" für die Show im eigenen Land her sollte. "Wir wollen den ESC weiterentwickeln und modernisieren", sagt Lundme.

Dazu gehören der schnörkellose Industriecharme, den der kahle graue Show-Klotz versprüht genauso wie die High-Tech-Bühne mit Millionen von Dioden und mehr als tausend Quadratmetern LED-Bildschirmen, die für jeden der 37 Kandidaten eine andere Showkulisse ausspucken: goldenen Glitzerstaub für die pfeifenden Sternenjäger aus der Schweiz ("Hunter of Stars") oder rockig-rote Leuchtstäbe für die finnische Boyband Softengine ("Something Better").

Dennoch: Manches ändert sich ungeachtet der extravaganten Kulisse beim ESC nie. Immer gibt es die schrillen Künstler (wie Österreichs Bart-Diva Wurst), die gefühlvollen Powerfrauen (wie Spaniens Schöne Ruth Lorenzo), die aufgekratzt-fröhlichen Kandidaten (wie Sebalter aus der Schweiz) und die unangepassten Spaß-Teilnehmer (wie die isländischen Pop-Punker von Pollapönk). Und immer gibt es die Stimme von Kultkommentator Peter Urban im deutschen Fernsehen.

Der zuschauerwirksame Sex-Appeal kommt in diesem Jahr mit Donatan & Cleo aus Polen ("Schüttel, was deine Mama dir mitgegeben hat") und der Ukraine. Das verführerische "Tick-Tock" der lasziven Maria Yaremchuk steht bei den Buchmachern mit Platz Drei hoch im Kurs.

Nur der Armenier Aram MP3 und Schwedens Sanna Nielsen ("Undo") laufen der Sängerin auf der Liste des britischen Wettbüros Ladbrokes den Rang ab. Der Beitrag von Aram MP3 thront schon seit Wochen auf dem Spitzenplatz. Der 30-Jährige ist in seiner Heimat ein beliebter Sänger und Comedian und hat den Song "Not Alone" selbst geschrieben.

Litauens Vilija Matačiūnaitė schreit dagegen zwar mit "Attention" unverblümt nach Aufmerksamkeit, hat aber laut Ladbrokes kaum nennenswerte Chancen, es überhaupt ins Finale zu schaffen - ähnlich wie die Künstler aus Albanien oder Weißrussland.

Die Sorgen muss sich die deutsche Frauenband Elaiza trotz einem nicht unbedingt vielversprechenden Platz 17 auf der Wettliste nicht machen: Mit dem Polka-Ohrwurm "Is It Right" ist Deutschland als Teil der "Großen Fünf" neben Spanien, Italien, Großbritannien, Frankreich - und Dänemark als Gastgeberland - automatisch für die große Show am 10. Mai qualifiziert. Alle anderen müssen am 6. oder 8. Mai im Halbfinale um die Gunst von Zuschauern und Jury buhlen.

Ob altmodisch-kitschig oder modern und stylisch, im Kern geht es beim Song Contest um etwas anderes, meint Show-Chef Lundme: dass Menschen aus der ganzen Welt zusammenkommen und ein riesiges Fest feiern, "dass man sich trifft und über Ländergrenzen austauscht". In einer Lounge mit weißen Ikea-Sofas in den Werfthallen kommen auch die Künstler in den Tagen vor dem großen Finale zusammen. Und werden die Konkurrenz im Rennen um die ESC-Krone wohl trotz aller Gemeinschaftsgefühle über Grenzen hinweg auch kritisch beäugen.

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