Süddeutsche Zeitung

Rüstungsunternehmen MBDA:Raketenabwehr aus dem Wald

Lesezeit: 3 min

Von Stefan Mayr, Schrobenhausen

Das künftige Raketen-Abwehrsystem der Bundeswehr kommt mitten aus dem Wald. Aus dem Schrobenhausener Land, wo der Spargel wächst und der berühmte Franz von Lenbach seine ersten Versuche als Landschaftsmaler pinselte. Es ist eine ruhige Gegend hier zwei Kilometer vor der mittelalterlichen Stadtmauer des Städtchens Schrobenhausen. Ländliches Oberbayern, Natur pur. Doch dann wird die Idylle von mörderischem Krach zerstört. Kawumm! Die Sprengmeister der MBDA Deutschland GmbH haben wieder einen gefechtsfähigen Raketenkopf getestet.

Es ist ein wuchtiger Willkommensgruß jener Firma, die künftig das sogenannte "Taktische Luftverteidigungs-System" (TLVS) der Bundeswehr herstellen soll. Das neu entwickelte Produkt heißt Meads (Medium Extended Air Defense System), es soll von 2025 an das aktuelle System Patriot ablösen. Es ist der erste Waffenkauf von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), er ist teuer und höchst umstritten. Hergestellt wird Meads von einer Firma, die außerhalb der Fachwelt kaum in Erscheinung tritt. Man kennt Heckler & Koch und Krauss-Maffei Wegmann, aber wer kennt schon MBDA?

MBDA Deutschland versteckt sich hinter einem 500 Meter breiten Ring aus Wald. Auf dem Areal hat schon das NS-Regime Chemikalien für seine Waffen gemischt. Wer heute das Firmengelände betreten will, muss sein Handy im Auto lassen. Fotografieren streng verboten. Die Grünflächen mit ihren Buchs-Hecken sind akkurat gestutzt. An jedem Lichtmasten hängen eine Kamera und ein rotes Warnlicht. Nach Angaben des MBDA-Sprechers gibt es in ganz Europa keine Privatfirma, die auf ihrem Areal mehr Sprengstoff lagern darf. Die genaue Menge verrät er aus Sicherheitsgründen nicht. Es sind mehrere Tonnen.

Obendrein dürfen die MBDA-Leute mit Raketenköpfen experimentieren. Wer darf das sonst auf zivilem Grund? Wie bekommt man solch eine Sondererlaubnis? Es liegt wohl an der Geschichte der MBDA. Um die Jahrtausendwende schlossen sich die Hersteller von Lenkflugkörpersystemen aller europäischen Länder zur MBDA-Gruppe zusammen. Gesellschafter sind der deutsch-französische Airbus-Konzern, die britische BAE Systems und die italienische Finmeccanica. Der Jahresumsatz liegt bei 2,4 Milliarden Euro, Sitz ist in Le Plessis-Robinson bei Paris, die Gruppe beschäftigt 10 000 Menschen.

1300 davon arbeiten für die MBDA Deutschland, die aus der MBB-Familie hervorging. Die Herstellung des Meads-Systems findet hauptsächlich in Schrobenhausen statt. In der sogenannten Luftverteidigungshalle, einem grauen Kasten am Waldrand, fand die Endmontage des Prototyps statt. Dieses System wird auf insgesamt vier Lastwägen installiert: Ein 360-Grad-Radar, die Abschuss-Station sowie die Einsatzzentrale und der Stromgenerator. An der zehnjährigen Entwicklung waren allein in Schrobenhausen 250 Ingenieure und Techniker beteiligt, dazu MBDA-Kollegen in Italien sowie der US-Raketenhersteller Lockheed Martin. Die vier Milliarden Euro Gesamtkosten stemmten die USA, Italien und Deutschland. Dabei trug der Bund eine Milliarde Euro.

Warum das Milliardenprojekt umstritten ist

Dass die Bundeswehr Meads anschaffen will, kam überraschend. Lange Zeit galt das bewährte Patriot-System als Favorit. Dessen US-amerikanischer Hersteller Raytheon bietet eine Weiterentwicklung an, die als wesentlich billiger gilt. Dennoch bekam Meads den Zuschlag, was vielerorts Kritik auslöste. Der Bundeswehr wird vorgeworfen, sie habe wegen der bereits investierten Milliarde eine politische Entscheidung getroffen, die wirtschaftlich verantwortungslos sei. Da die USA aus dem Projekt ausgestiegen sind, sei es für Deutschland und Italien kaum bezahlbar, sagt Bernd W. Kubbig von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung.

Der MBDA-Sprecher lässt diese Argumente nicht gelten. "Der Schutzbereich eines Meads-Systems ist achtmal größer als bei Patriot", sagt er. Während ein Patriot-Radar nur einen 120-Grad-Ausschnitt bewachen könne, habe Meads stets eine 360-Grad-Rundumsicht. Was Meads kann, demonstrierte MBDA im November 2013 bei einem Testschuss auf dem Militärgelände White Sands im US-Bundesstaat New Mexico. Meads schoss gleichzeitig zwei Flugkörper ab, die noch dazu aus verschiedenen Richtungen angeflogen kamen. "Das hatte so noch nicht stattgefunden und war ein ganz wichtiger Meilenstein", sagt der MBDA-Sprecher.

19 Monate später hat Bundeswehr-Generalinspekteur Volker Wieker nun entschieden, von 2025 an das Meads-System einzusetzen. Ob da in Schrobenhausen die Sektkorken knallten? "Überhaupt nicht", sagt der Sprecher. Noch sei der Kaufvertrag nicht unterschrieben. "Vor uns liegt noch sehr viel Arbeit." Auch MBDA-Geschäftsführer Thomas Homberg gibt sich demütig. Er spricht von einem "großen Erfolg", der "aber auch eine große Verpflichtung" darstelle. Der ehemalige Fallschirmjäger ist gewarnt. Angesichts der jüngsten Pannenserie bei Waffenkäufen kündigt Ursula von der Leyen an, die Meads-Produktion streng kontrollieren zu lassen. MBDA müsse regelmäßig "Meilensteine" nachweisen, andernfalls werde man auch umschwenken. Soll wohl heißen: aussteigen. Ansonsten verteidigt von der Leyen Meads und spricht von einer "Käseglocke", die man über ganze Städte stülpen könne.

Meads ist nicht das einzige Raketensystem aus Schrobenhausen. MBDA baut auch den Luft-Boden-Marschflugkörper Taurus, die Panzerabwehr-Lenkwaffe Milan, das Verteidigungssystem Ram für Schiffe. Und sie ist sogar an der Wartung des Patriot-Systems beteiligt. Hierfür betreibt sie kurioserweise mit Wettbewerber Raytheon gemeinsam eine GmbH. Überhaupt arbeitet MBDA Deutschland bei einzelnen Projekten öfter mit Konkurrenten zusammen. Mit all diesen Tochterunternehmen macht sie nach eigenen Angaben zwischen 300 und 400 Millionen Euro Jahresumsatz. Über die Gewinne macht sie keine Angaben. Wie viele Meads-Systeme die Bundeswehr bestellt und wie viel diese kosten, das wird nun verhandelt. Experten sprechen von acht bis zehn Anlagen, bei einem Gesamtpreis zwischen zwei und fünf Milliarden Euro.

Derzeit forscht MBDA an einer anderen Technologie: Lasergeschütze. Vom Dach eines Laborgebäudes werden mehrere Laserstrahlen abgeschossen und einige Hundert Meter weiter gebündelt. Im Zielobjekt. Dieses befindet sich im Wald. Hierfür wurde eigens eine Schneise in den Forst geschlagen. Krieg der Sterne im Spargelland.

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Quelle:
SZ vom 15.06.2015
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