Süddeutsche Zeitung

Lkw-Maut:Maut-Streit kostet Steuerzahler fast eine Viertelmilliarde Euro

Nach 13 Jahren Rechtsstreit ist noch immer nicht geklärt, ob der Staat dem Maut-Betreiber Toll Collect Milliarden schuldet oder umgekehrt. Jetzt explodieren die Kosten.

Von Markus Balser, Berlin

Seit Jahren gilt der Fall als brisantes Staatsgeheimnis. Die Bundesregierung und das Maut-Konsortium Toll Collect streiten sich nun schon seit 2004 vor einem Schiedsgericht um Milliardensummen. Der Grund: Der verpatzte Start der Lkw-Maut vor mehr als einer Dekade. Schließlich sollte die Abgabe eigentlich bereits 2003 erhoben werden. Doch das Konsortium brachte die Maut erst Anfang 2005 auf die Straße. Worüber genau vor Gericht gerungen wird, ist Verschlusssache - die Verhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt. Doch nun sickert durch: Die Kosten des Streits explodieren. Bislang haben die beiden Verfahren für den Bund bereits Kosten von knapp einer viertel Milliarde Euro verursacht.

Das Bundesverkehrsministerium räumte gegenüber Parlamentariern nun ein, dass der Rechtsstreit dem Staat und damit den Steuerzahlern bislang Kosten von 244,6 Millionen Euro eingebrockt hat - vor allem für Anwälte. "Die Kosten entfallen überwiegend auf die Vergütung der Prozessvertreter des Bundes", heißt es in einer Antwort an den Linken-Haushaltspolitiker Victor Perli, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Auch die genauen Ausmaße des Verfahrens gehen aus dem Papier hervor. Der Bund fordert demnach in zwei Schiedsverfahren insgesamt inzwischen rund 9,5 Milliarden Euro von Toll Collect. Das Unternehmen wiederum fordert den Angaben zufolge seinerseits in den beiden Verfahren 4,9 Milliarden Euro vom Bund. In den Beträgen sind auch die inzwischen aufgelaufenen Zinsen enthalten.

Für die Regierung dürfte es eines der teuersten Verfahren aller Zeiten sein. Die Opposition fordert, bei der Vergabe des Maut-Betriebs angesichts des undurchsichtigen Milliardenstreits nun umzusteuern. "Allein knapp 250 Millionen Euro für die anwaltliche Vertretung - schon das zeigt den Irrsinn des Toll-Collect-Desasters", sagt der Linken-Haushaltsexperte Victor Perli. "Auch nach dreizehn Jahren Rechtsstreit ist noch immer nicht geklärt, ob der Bund den Betreibern mehrere Milliarden schuldet oder umgekehrt. Den Steuerzahlern droht ein Milliardenschaden."

Die Privatisierung des Maut-Betriebs habe sich als teure Scheinlösung erwiesen, warnt Perli. Toll Collect solle künftig in Bundeshand betrieben werden. Der Vertrag mit dem aktuellen Toll-Collect-Betreiberkonsortium, dem die Deutsche Telekom, Daimler und die französische Gesellschaft Cofiroute angehören, läuft im August aus. Derzeit plant der Bund dem Papier zufolge, die Gesellschaft dann tatsächlich zu verstaatlichen - allerdings nur vorübergehend. "Der Bund wird die Geschäftsanteile an der Betreibergesellschaft zum 1. 9. 2018 übernehmen und für eine Interimsphase von sechs Monaten selbst halten", heißt es. In diesem halben Jahr würde die Gesellschaft nach Angaben aus Regierungskreisen dann umgebaut und rechtlich von den Risiken des Rechtsstreits befreit. Erst dann könne sie an neue Betreiber übergeben werden, heißt es weiter. Außerdem ermögliche eine vorübergehende Verstaatlichung, Einblick in die Kalkulation zu bekommen.

Wer die Anteile danach übernehmen darf, ist noch offen. Derzeit läuft ein Vergabeverfahren für den Betrieb über zwölf Jahre. Nach bisherigen Plänen will der Bund Mitte des Jahres über ein neues Konsortium entscheiden. Die Übertragung der Geschäftsanteile an den Erwerber sei zum 1. März 2019 vorgesehen, heißt es weiter.

Ein Ende des teuren Rechtsstreits ist offenbar nicht in Sicht

In den vergangenen Monaten war das aktuelle Betreiberkonsortium auch durch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Berlin in die Schlagzeilen geraten. Im Mai 2017 durchsuchten Ermittler die Firmenzentrale des Betreibers. Es geht um den Verdacht des Betrugs gegen mehrere Verantwortliche des Unternehmens bei der Ausweitung der Maut auf Teile des Bundesstraßennetzes seit 2012. Dabei sollen dem Bund Betriebskosten in Rechnung gestellt worden sein, die gar nicht angefallen seien.

Trotz der diversen Vorwürfe ist über den Inhalt des Rechtsstreits zwischen Bund und Toll Collect bislang wenig bekannt. Denn das private Schiedsgericht schließt die Öffentlichkeit aus. Ein Ende des teuren Rechtsstreits ist Beobachtern zufolge nicht in Sicht. Toll Collect treibt mit seinen 600 Mitarbeitern mit Abrechnung per Funk und Satellit die Lkw-Maut für den Bund ein. Das spült jährlich rund fünf Milliarden Euro in die Kasse des Bundes.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3923056
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.03.2018/vit
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.