Maut:So finanzieren andere Länder ihre Autobahnen

Autobahnnetz wird nicht verkauft

Blick auf das Autobahnkreuz Oberhausen-West. Hier kreuzt die A 3 die A 42. Und wer zahlt's?

(Foto: dpa)

Andere Staaten machen gute Erfahrungen mit Vignette und Maut. Autofahrer freuen sich über bessere Straßen. Doch es gibt auch einen Vorwurf: Abzocke.

Von Ruth Eisenreich, Leo Klimm und Ulrike Sauer

Nach Angaben aus Regierungskreisen plant Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), Anteile an einer geplanten Autobahngesellschaft auch an private Investoren zu verkaufen. Die SPD lief umgehend Sturm gegen den Vorstoß. Eine Privatisierung von Straßen werde es mit ihm nicht geben, sagte SPD-Chef Gabriel. Andere EU-Länder finanzieren ihre Straßen bereits auf andere Weise, als Deutschland. Wie funktioniert das?

Österreich: Das Pickerl-System

Wer eine österreichische Autobahn benutzen will, der muss vorab bezahlen. 86,40 Euro kostet die türkisfarbene Pkw-Vignette - das "Pickerl" - für das Jahr 2017. Autofahrer können sie an einer Tankstelle oder einem Kiosk kaufen und sie unter Beachtung diverser Regeln innen an der Windschutzscheibe anbringen.

Eingeführt wurde das Pickerl-System im Jahr 1997. Die Maut-Einnahmen gehen an das Unternehmen Asfinag (eine Abkürzung für den Firmennamen "Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft"). Die Asfinag gehört in Gänze der Republik Österreich. Sie plant, baut, erhält und betreibt sämtliche Autobahnen und Schnellstraßen des Landes, insgesamt sind das etwa 2200 Kilometer Straßennetz. Die Asfinag erhält keine Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt, finanziert sich also allein durch die Maut. Im Jahr 2015 nahm sie mit der Pkw-Maut 606 Millionen Euro ein, dazu kamen weitere 1,25 Milliarden Euro aus der Lkw- und Bus-Maut.

In Österreich ist das Vignettensystem heute nahezu unumstritten. Selbst die Autoklubs ÖAMTC und ARBÖ - die dortigen Äquivalente zum ADAC - äußern Kritik höchstens im Detail, aber nicht am System an sich. Ärger löst das System hingegen bei all jenen Autofahrern aus, die Österreich nur durchqueren wollen, etwa um von Deutschland nach Italien zu gelangen. Die Asfinag bietet nämlich keine Tages-Pickerl an, sondern nur Vignetten für ein Jahr, für zwei Monate oder für zehn Tage. Eine Korridorvignette, mit der Transitreisende für zwei Euro ein kleines Autobahnstück in Vorarlberg nutzen konnten, wurde 2013 nach fünf Jahren abgeschafft. Wie für Autos muss auch für Motorräder ein Pickerl gekauft werden, 34,40 Euro kostet das im kommenden Jahr. Lkw-Fahrer hingegen brauchen statt einer Vignette seit 2004 ein kleines Gerät namens Go-Box: Für Lastwägen wird die Maut nicht pauschal erhoben, sondern abhängig von den gefahrenen Kilometern.

Frankreich: Privat vs. Staat

Der Unterschied ist unübersehbar und für Frankreichs Autofahrer bisweilen im Wortsinn spürbar. Wer etwa von Paris aus ins Land fährt, ist erst auf überfüllten Schnellstraßen unterwegs, die mit Schlaglöchern übersät sind. Diese Straßen verwaltet der Staat. Nach ein paar Dutzend Kilometern aber endet die Holperpiste - und es beginnt eine breite, ziemlich leere Autobahn in meist tadellosem Zustand. Für sie ist ein privater Betreiber verantwortlich. Das wiederum bekommen die Autofahrer zu spüren, wenn sie sehr bald an einer Mautstation die Kreditkarte zücken müssen.

Die Franzosen haben sich an die Kontraste gewöhnt, ebenso wie an die Tatsache, dass Unternehmen Autobahnen nicht nur bauen, sondern gegen eine Streckengebühr auch pflegen und betreiben. Seit rund 60 Jahren vergibt der Staat die Konzessionen - anfangs vor allem, um das außerhalb der Ballungsräume dünn besiedelte Land wirtschaftlich zu entwickeln. In den Siebzigern folgte die Privatisierung der Autobahnen. Doch so eingeübt das privatwirtschaftliche, benutzerfinanzierte Modell im Gegensatz zu Deutschland ist, so sehr nimmt heute die Akzeptanz dafür ab.

Umfragen offenbaren den Unmut der Franzosen über die Betreiber. Ihr Vorwurf lautet: Abzocke. Und er ist nicht aus der Luft gegriffen. Rechnungshof und Wettbewerbsbehörde haben in den vergangenen Jahren unangemessen starke Preiserhöhungen und Monopolrenditen von mehr als 20 Prozent gerügt. Für die Betreiber liegt das Geld geradezu auf der Straße. Die zwei französischen Baukonzerne Vinci und Eiffage sowie das spanische Unternehmen Abertis, die sich das Autobahnnetz teilen, haben aus den teils fünf Jahrzehnte laufenden Konzessionen ein äußerst lukratives Geschäft gemacht. Die Einnahmen sorgen bei Vinci und Eiffage für weniger als 20 Prozent der Umsätze - aber für mehr als zwei Drittel der Milliardengewinne dieser Konzerne.

Konzerne verlängerten erneut ihre Monopole

Angesichts solcher Zahlen und zunehmender Autofahrer-Wut versuchte Frankreichs sozialistische Regierung vor zwei Jahren eine Korrektur. Zumal viele Abgeordnete aus den eigenen Reihen gar eine Kündigung der Lizenzen verlangten. Doch die Regierung rang den Betreibern nur ab, im Jahr 2015 auf Tariferhöhungen zu verzichten. Die Konzerne verpflichteten sich zwar, 3,2 Milliarden Euro für kleine Ausbauprojekte auszugeben. Im Gegenzug handelten sie aber die Verlängerung ihrer Monopole aus, was die EU-Kommission nur zähneknirschend akzeptierte.Vor wenigen Wochen wiederholte die Regierung den Handel in anderer Form, und wieder wirken die Betreiber als die Sieger. Sie sagten weitere Investitionen zu. Dafür genehmigt der Staat ab 2018 einen stärkeren Anstieg der Gebühren (um bis zu 1,8 Prozent).

Italien: Modekonzern kassiert

Rechtzeitig zum Start in die Weihnachtsferien war 2015 auf der A 1 am Apenninenpass Schluss mit der Übelkeit auf der Rückbank. Am 23. Dezember weihte Regierungschef Renzi eines der bedeutendsten italienischen Verkehrsprojekte ein. Auf der Strecke zwischen Bologna und Florenz, dem Horrorabschnitt der Autostrada del Sole, war die wichtigste Nord-Süd-Verbindung an ihrer engsten, kurvenreichsten und gefährlichsten Stelle völlig neu konstruiert worden. Vorangetrieben und finanziert hat die Durchquerung des Gebirgszugs der börsennotierte Autobahnbetreiber Atlantia, der von der Familie Benetton kontrolliert wird. Atlantia erklärte die vier Milliarden Euro teure Strecke zum "Symbol des italienischen Neubeginns". Das Bauwerk hatte lange auf sich warten lassen: Der erste Entwurf einer Öffnung des Nadelöhrs, durch das sich jahrzehntelang Laster und Autos zwängten, stammt aus dem Jahr 1982. 33 Jahre später waren die Bauarbeiten vollendet. Renzi twitterte: "Kein Mensch hat mehr dran geglaubt, aber #ItalienStartetNeu." Dass der Staat das auch hinbekommen hätte, darf man bezweifeln. Parallel zur bisherigen Strecke durchqueren die Autos nun auf zwei bis vier Spuren pro Fahrtrichtung, teilweise durch Tunnels, den Apennin. Atlantia wirbt mit einem Zeitgewinn von 30 Prozent und insgesamt 100 Millionen Liter eingespartem Treibstoff im Jahr.

Italien privatisierte seine Autobahnen 1999. Nur 950 von insgesamt 6500 Kilometern blieben im Besitz der staatlichen Straßengesellschaft Anas, die tief im Sumpf aus Korruption und Misswirtschaft versunken ist. Sie betreibt noch die mehr oder minder maroden Trassen im Süden und auf Sizilien. In Italien sind heute 87 Prozent der Autobahnen gebührenpflichtig. Die Maut wird von 24 Betreibern kassiert. Der Textilkonzern Benetton krönte mit dem Einstieg ins Autobahngeschäft seine erfolgreiche Diversifizierung. Die Gründer kontrollieren in Italien über den Betreiber Atlantia 3005 Kilometer Autobahn und 256 Mautstationen. Dank der staatlichen Konzession dürfen sie dort noch bis 2038 Geld kassieren. Im Gegenzug verpflichtete sich Atlantia, in dieser Zeit 21 Milliarden Euro in die Verbreiterung und Modernisierung der Trassen zu investieren. Italiens zweitgrößter Autobahnbetreiber ist Gavio mit 1200 Kilometern.

Italien kassiert nach Frankreich die größte Summe in Europa: 841 000 Euro pro Kilometer. Höchst umstritten ist, ob die Höhe gerechtfertigt ist. In einer Parlamentsanhörung meldete die römische Zentralbank Zweifel an. Die Tariferhöhungen überstiegen die Inflation und gewährleisteten den Betreibern hohe Profite. Dem stünde kein Anstieg der Investitionen gegenüber. Die Mautunternehmen rechtfertigen sich mit den schleppenden Genehmigungsverfahren, auch beim Ausbau. Für die Benettons und ihre Mitaktionäre erwies sich das Mautgeschäft zumindest als eine Goldgrube. 2015 stieg der Nettogewinn der Autobahnsparte auf eine Milliarde Euro.

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