Süddeutsche Zeitung

Matthias Wissmann:"Früher habe ich selbst entschieden"

VDA-Präsident Matthias Wissmann über die Gefahren des Lobbyismus, das Prinzip Gegenseitigkeit - und die Krise der Autobranche.

C. Busse u. T. Fromm

Wenn es Frühling in Berlin wird, will Matthias Wissmann, 60, wieder das Fahrrad für den Weg zur Arbeit nehmen. Im Winter fährt der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) aber standesgemäß mit dem Auto. Der CDU-Politiker Wissmann, unter Helmut Kohl sechs Jahre lang Verkehrsminister, gilt als erfolgreicher Lobbyist - gerade jetzt in Zeiten der großen Autokrise. Die Bundesregierung hat der Branche unter anderem mit der Abwrackprämie kräftig unter die Arme gegriffen. In dieser Woche trifft sich die Branche auf dem Genfer Autosalon und diskutiert, wann es wieder aufwärts geht.

SZ: Herr Wissmann, haben Sie mal nachgerechnet, wie viele SMS Sie in den letzten Monaten Ihrer Duzfreundin Angela Merkel geschickt haben?

Wissmann: Am liebsten spreche ich mit der Bundeskanzlerin direkt, und das hat sich auch bewährt. Die Politik hat drei wichtige Punkte erreicht: die Verlängerung der Kurzarbeit, die Neuordnung der Kfz-Steuer und die Umweltprämie.

SZ: So stellen wir uns einen erfolgreichen Lobbyisten vor. Die Politik tut alles für die Industrie.

Wissmann: Wenn man an die Politik herangeht, muss man mit sinnvollen Argumenten kommen. Das nehme ich für mich in Anspruch.

SZ: Sind Sie Deutschlands erfolgreichster Lobbyist?

Wissmann: Sie überschätzen mich. Interessenvertretung ist immer eine Sache auf Gegenseitigkeit. Das Ganze muss auch unter gesamtwirtschaftlichen Aspekten ein Erfolg für die Politik werden. Reine Partikularinteressen überzeugen nicht, das wird hinterher für die Politik zum Eigentor. Der frühere Umweltminister und jetzige SPD-Chef Sigmar Gabriel hat einmal gesagt, wir würden als VDA immer dann auf die Politik zugehen, wenn wir eine Win-Win-Situation suchen, also auch etwas für das Allgemeinwohl tun können. Da stimme ich mit Gabriel voll und ganz überein.

SZ: Sie sind Insider, wie Politik gemacht wird, wissen Sie ja.

Wissmann: Ja, und das ist auch wichtig. Wir brauchen mehr Politiker, die die Wirtschaft kennen, und umgekehrt. Ich sehe mich als Brückenbauer nach beiden Seiten. Ich erkläre der Wirtschaft, wie Politik funktioniert, und muss die Politiker über wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten aufklären.

SZ: Klingt einfach. . .

Wissmann: . . . ist aber extrem schwierig. Wir trennen in Deutschland diese beiden Welten noch zu sehr. Deshalb finde ich einen Wechsel sehr fruchtbar - solange diejenigen, die das tun, nicht in Interessenkonflikte hineinlaufen. Da braucht es einen klaren Schnitt.

SZ: Sie haben alle politischen Ämter niedergelegt und die Seiten gewechselt. Geht das alles auf Knopfdruck?

Wissmann: Ich war mit Ausnahme meiner sechs Ministerjahre immer auch im Nebenberuf Anwalt und damit auch Teil der Wirtschaft. Dann bin ich ganz gewechselt und kann Ihnen sagen: So ein Lernprozess mit Mitte 50 hat auch etwas Faszinierendes.

SZ: Obwohl der Lobbyismus ständig in der Kritik ist. Spätestens seit der Hotel-Affäre der FDP ist klar, dass der Einfluss der Lobbyisten in Berlin zu groß ist.

Wissmann: Wir als VDA setzen auf überzeugende Argumente. Man hat in der Krise mehr als vorher gemerkt, wie sehr man einander braucht. Wichtig ist Transparenz: Man kann nicht mehreren Herren gleichzeitig dienen.

SZ: Seit drei Jahren dienen Sie nur noch einem Herren - der Automobilindustrie. Haben Sie den Wechsel bereut?

Wissmann: Nein, die Autoindustrie ist spannend - und lebt auch von Emotionen. Sie können auf der ganzen Welt herumreisen und sehen überall deutsche Autos. Überall spüren Sie Begeisterung.

SZ: So wie die Begeisterung für die Abwrackprämie im vergangenen Jahr, von der aber leider nicht mehr viel übrig ist. In diesem Jahr gehen die Absatzzahlen hierzulande wieder stramm nach unten.

Wissmann: Die Idee hinter der Kurzarbeiterregelung und der Umweltprämie war immer, den Schock durch den Crash an den Finanzmärkten aufzufangen. Dafür wurde eine Brücke gebaut, die vor allem im Volumenmarkt geholfen hat. Jetzt ist es wichtig, dass der Weltmarkt auch ohne Hilfen wieder funktioniert.

SZ: Sie setzen also auf das Ausland?

Wissmann: Ja, auf den Export kommt es jetzt an. In China wurden im Januar mehr Autos verkauft als in ganz Westeuropa - und fünfmal so viele wie in Deutschland. Wir Deutschen haben das Glück, dass wir in China einen Marktanteil von knapp 20 Prozent haben.

SZ: Aber der US-Markt schwächelt.

Wissmann: Er war in einer katastrophalen Situation, aber er beginnt, sich langsam zu erholen und wird 2011/2012 richtig anziehen.

SZ: Einfach ist das doch nicht. General Motors ist ein mit 50-Milliarden-Dollar-Staatshilfe hochgepäppelter Staatsapparat, der das Geld dafür benutzt, Kampagnen gegen Toyota zu finanzieren. Und im Fall Porsche hat man den Eindruck, als ob die Amerikaner hier mit gezielten Umweltauflagen ausländische Hersteller benachteiligen.

Wissmann: Ich liebe Amerika, aber ich mache mir keine Illusionen. Die Amerikaner sind starke Vertreter ihrer Interessen. Das geht bis hin zu protektionistischen Schritten. Zum Beispiel, wenn man - wie zum Nachteil von Porsche - diese fragwürdige Radstand-CO2-Rechnung aufmacht. Die CO2-Regelung in Europa orientiert sich hingegen am Fahrzeuggewicht - das ist sinnvoll, weil die CO2-Emissionen vor allem vom Gewicht abhängen. Man muss sich warm anziehen, wenn man in den USA erfolgreich sein will.

SZ: Profitieren die deutschen Konzerne von der Krise bei Toyota?

Wissmann: Einen solchen Effekt können wir noch nicht beziffern. Wir haben aber keine Schadenfreude angesichts der Probleme bei dem genannten Unternehmen. Natürlich wollen wir unsere Position in den USA weiter stärken. Seit fünf Jahren steigern wir dort kontinuierlich unseren Marktanteil; im Oberklasse-Segment liegt er schon bei 50 Prozent.

SZ: Was ist mit Deutschland?

Wissmann: Für das Inland erwarten wir 2010 ein Zulassungsvolumen von 2,75 bis drei Millionen Pkw. Wenn wir 2009 und 2010 zusammen betrachten, ergibt das ein durchschnittliches Marktvolumen von über 3,3 Millionen Autos - das ist höher als der langjährige Durchschnitt. Aber klar ist: 2010 wird ein steiniger Weg

SZ: Daher bauen BMW, Daimler und VW immer mehr im Ausland. Geht das nicht langfristig auf Kosten heimischer Jobs?

Wissmann: Bislang galt: Wenn Du zwei oder drei Arbeitsplätze im Ausland schaffst, bekommst Du automatisch einen neuen Arbeitsplatz im Inland. Die Frage ist, ob diese Rechnung auch künftig noch aufgeht. Aber fest steht: Wir müssen in China oder den USA mit eigenen Fabriken vertreten sein, allein schon wegen der hohen Zölle. Wir müssen uns auch unabhängiger von Währungsschwankungen machen.

SZ: Jetzt sprechen Sie wie ein Lobbyist - dabei sind Sie schon in den 80er Jahren dem Bund Naturschutz beigetreten. Wie grün sind Sie eigentlich?

Wissmann: Bei Thomas Mann habe ich einmal einen schönen Satz gelesen: 'Ich bin ein Mensch des Gleichgewichts. Wenn das Boot nach links zu kentern droht, lehne ich mich automatisch nach rechts. Und umgekehrt.'

SZ: Klingt fast nach Opportunismus.

Wissmann: Wenn ich mit jemandem zusammensitze, der glaubt, dass Umweltthemen bald wieder verschwinden, dann erinnere ich daran, dass das eine Daueraufgabe bleibt. Wenn ich auf der anderen Seite einen Fanatiker erlebe, der das Thema Klimaschutz so absolut setzt, dass er den Rest der Welt dabei vergisst, dann erinnere ich daran, dass Europa keine Arbeitsplätze an Regionen verlieren sollte, wo die Klimaschutzbedingungen wirklich schlecht sind.

SZ: Ihr Job ist also, darauf zu achten, dass das Boot nicht kentert.

Wissmann: Mein ganzes Leben lang habe ich versucht, die Balance zu halten. Das ist mein persönliches Selbstverständnis.

SZ: Sie werden sicher in den nächsten Jahren für eine Verbreitung von Elektroautos trommeln. 500 Millionen Euro will die Regierung bis 2020 investieren - ist das nicht ein bisschen wenig?

Wissmann: Den Hauptteil der Forschungs- und Entwicklungsmittel trägt die Industrie. Der Plan der Regierung ist aber wichtig, weil so eine Clusterbildung, etwa für die Speichertechnologie, erreicht werden kann. Wir dürfen ja nicht irgendwann alle Batterien aus China importieren, das müssen wir auch selber machen.

SZ: Der israelische Unternehmer Shai Agassi will mit seinem Unternehmen Better Place einen Batteriestandard zum Auswechseln anbieten. Eine gute Idee?

Wissmann: Das ist ein sehr intelligentes Geschäftsmodell eines begnadeten Verkäufers, der aber übersieht, dass ein Auto etwas anderes ist als ein Handy. Beim Telefon kommt es nicht so sehr auf die Marke an. Beim Auto schon. Mit Allerweltsautos können Sie solche austauschbaren Batterien benutzen. Mit deutschen Markenautos sollte man ein solches Modell nicht verfolgen. An solch einer gesichtslosen Mobilitätskultur können wir kein Interesse haben.

SZ: Am 3. Mai wird es ein Treffen der Autoindustrie mit der Kanzlerin geben. Thema: Die Zukunft und Subventionierung der Elektromobilität. Werden Sie die Kanzlerin um Subventionen bitten für die neuen, teuren Technologien?

Wissmann: Es geht um die Frage, wie wir den Markt für Elektroautos von Deutschland aus entwickeln können. Die Politik hat die Marke von eine Million Elektroautos bis zum Jahr 2020 genannt. Das ist ein anspruchsvolles Ziel. Wenn das erreicht werden soll, geht es natürlich auch um die Frage, ob wir dafür ein gemeinsames europäisches Wettbewerbsumfeld bekommen.

SZ: Also Subventionen?

Wissmann: Die Industrie will keine Subventionen für Elektrofahrzeuge. Aber es muss die Frage geklärt werden, ob ein Elektro-Auto, das aufgrund seiner Batterietechnologie deutlich teurer sein wird als ein Auto mit normalem Verbrennungsmotor, ohne Markteinführungsimpulse auskommt. Die Politik muss das selbst beurteilen.

SZ: Letzte Frage: Sie kennen jetzt beide Seiten. Wo haben Sie eigentlich mehr Einfluss - als Politiker oder als Lobbyist?

Wissmann: Ich hatte das Glück, dass ich als Verkehrsminister unter Helmut Kohl sehr große Freiheiten hatte. Jetzt versuche ich, mit Argumenten andere zu den richtigen Entscheidungen zu bringen. Früher habe ich dagegen selbst entschieden.

Zur Person: Am 15. April 1949 wird Matthias Wissmann in Ludwigsburg geboren. Schon als Gymnasiast wird er 1965 Mitglied der Jungen Union. Er studiert in Tübingen und Bonn Jura, Volkswirtschaftslehre sowie Politologie und legt sein zweites juristisches Staatsexamen ab. 1976 gewinnt Wissmann mit 48,7 Prozent der Stimmen das Bundestagsdirektmandat in Ludwigsburg. 1983 wird er wirtschaftspolitischer Sprecher der Unions-Fraktion. Helmut Kohl beruft ihn 1993 ins Kabinett, bis zur Wahl 1998 führt er das Verkehrsressort. 2007 wird Wissmann Präsident des Verbandes der Automobilindustrie und gibt alle politischen Ämter auf.

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Quelle:
SZ vom 01.03.2010/mel
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