Süddeutsche Zeitung

Neuer OECD-Generalsekretär:Harter Verhandler mit deutschem Akzent

Mathias Cormann soll neuer Generalsekretär der OECD werden. Der wirtschaftspolitische Zusammenschluss der reichen Industriestaaten bekommt damit einen Chef mit Muttersprache Deutsch - und einem ungewöhnlichen Lebenslauf.

Von Jan Bielicki, Paris/München

Die vergangenen Wochen und Monate hat Mathias Cormann viel Zeit im Flugzeug verbracht. Australiens Grenzen sind seit Beginn der Pandemie zwar weitgehend dicht: Eine Ausreise ist Bürgern des Landes nur gestattet, wenn sie einen wichtigen Grund vorweisen können. Doch Cormanns Reisen hielt die Regierung für so bedeutend, dass die Königlich Australische Luftwaffe dem ehemaligen Minister einen Jet bereitstellte, samt neunköpfiger Besatzung, darunter ein Arzt. Kosten für den Steuerzahler: fast 3000 Euro pro Flugstunde.

Der Aufwand hat sich gelohnt. Seit Freitag steht fest, dass Cormann sein Reiseziel erreicht hat: den Chefsessel im Schloss La Muette im noblen Pariser Stadtteil Passy. Dort hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ihren Sitz, und nach einer Probeabstimmung unter den 37 Mitgliedsstaaten ist nun klar, dass der Australier im Juni ihr neuer Generalsekretär werden soll.

Es ist ein überraschendes Ergebnis. Als hohe Favoritin galt eigentlich die frühere EU-Kommissarin Cecilia Malmström aus Schweden. Immerhin stellt die EU allein 22 Mitglieder der Organisation, die mit einem Budget von jährlich knapp 400 Millionen Euro Ideen, Regeln und Standards für die Wirtschaftspolitik der entwickelten Industriestaaten erarbeitet. Doch Cormanns Lobby-Flüge zahlten sich offenbar aus - und vielleicht auch sein ungewöhnlicher Lebenslauf.

Cormann ist Australier, aber englisch spricht er mit einem harten deutschen Akzent. Deutsch ist seine Muttersprache. Aufgewachsen ist der heute 50-Jährige in Raeren. Die Kleinstadt liegt im deutschsprachigen Teil Belgiens, nur fünf Kilometer von der Grenze zu Deutschland entfernt. Seine Mutter kümmerte sich um die vier Kinder, sein Vater arbeitete als Dreher, war aber nach einer schweren Krankheit jahrelang alkoholabhängig. Die Familie musste mit der Behindertenrente des Vaters auskommen, und der junge Mathias schon früh viel Verantwortung übernehmen.

Ihm half die katholische Kirche. Er war Messdiener, Pfadfinder, studierte später Jura an der französischsprachigen Jesuiten-Universität in Namur und an der flämischsprachigen Katholischen Universität Löwen. Nach eigenen Angaben durch den Mauerfall in Berlin politisiert, schloss er sich der Christlich Sozialen Partei CSP an, damals die dominierende politische Kraft in Belgiens deutschsprachiger Gemeinschaft. Er wurde Mitarbeiter des CSP-Europaabgeordneten und Stadtrat in Raeren. Dann lernte er bei einem Studienaufenthalt im englischen Norwich eine junge Frau aus Westaustralien kennen.

1994 flog er mit ihr nach Perth. Die Beziehung hielt nicht, aber Cormann verliebte sich in die westaustralische Hauptstadt, ihre Strände und den gelassenen Lebensstil dort, wie er später sagte. 1996 wanderte er nach Australien aus und entdeckte, dass seine belgischen Anwaltsexamen in der neuen Heimat nichts wert waren. Er fand einen Job als Gärtner und bot sich einem örtlichen Senator der konservativen Liberalen als unbezahlte Hilfskraft an.

Es war der Beginn einer steilen Karriere: 2007 wurde er in den Senat gewählt, und als die Liberalkonservativen sechs Jahre später an die Macht kamen, wurde er Budgetminister. Er blieb es unter drei Premierministern, länger als jeder seiner Vorgänger, bis er im vergangenen November seine Ämter niederlegte. Einmal war er sogar amtierender Premier - für fünf Tage, als sein damaliger Chef Malcolm Turnbull außer Landes und dessen Vize durch einen Sexskandal verhindert war.

In der Hauptstadt Canberra gilt Cormann als harter, aber fairer und höchst geschickter Deal-Macher. Als Vormann der Regierung im Senat hatte er die heikle Aufgabe, Gesetze durch die zweite Parlamentskammer zu bringen, in der die Liberalkonservativen keine Mehrheit haben. Er erwarb sich dabei Respekt über seine Partei hinaus. Mit Penny Wong, der Labor-Oppositionsführerin im Senat, verbindet ihn eine Freundschaft, obwohl beide politisch wenig gemeinsam haben.

Schlecht reden erstaunlich wenige über den konservativen Katholiken, am schlechtesten sein ehemaliger Regierungschef Turnbull, zu dessen Sturz er 2018 beitrug. "Ich habe Cormann immer vertraut und Warnungen ignoriert, dass er ein vertrauensunwürdiger, machiavellistischer Ränkeschmied ist", schrieb Turnbull in seinen Erinnerungen.

Cormann hat gegen CO2-Steuern Stimmung gemacht

Unumstritten ist seine Wahl an die Spitze der OECD nicht. Deren nun nach 15-jähriger Amtszeit abtretender Generalsekretär Angel Gurria hat die Mitgliedsstaaten zuletzt auf den Kampf gegen den Klimawandel eingeschworen. Kohlendioxid müsse mit einem "fetten Preis" versehen werden, sagte der Mexikaner.

Cormann dagegen ist zwar anders als manche seiner australischen Parteifreunde kein Leugner der Klimakrise. Aber seine Liberalen stehen im rohstoffreichen Westaustralien der Bergbauindustrie besonders nahe, und Cormann selbst hat in Wahlkämpfen gegen CO2-Steuern Stimmung gemacht. Der Regierung, der er so lange angehörte, stellen internationale Beobachter in Sachen Klimaschutz verheerende Zeugnisse aus. Australien werde die Klimaziele für 2030 verfehlen und müsse seine Politik ändern, rechnete etwa ein Report 2019 vor. Veröffentlicht hat ihn die OECD.

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