Maßnahmen gegen die Bankenkrise:Alle Macht der Notenbank

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Das meiste Geld kommt heute in Form von Schulden in die Welt. Geschäftsbanken erschaffen es, indem sie wie aus dem Nichts Kredite vergeben. Manche sehen darin eine Ursache der Krise und fordern radikale Reformen: Banken sollen nur das Geld verleihen, das sie auch besitzen. Die Idee heißt Vollgeld - und bekommt nun Unterstützung von ungewöhnlicher Seite.

Caspar Dohmen, Frankfurt

Hajo Köhn beschäftigt sich neuerdings intensiv mit Geld. Dem Unternehmensberater geht es jedoch nicht darum, sein Erspartes zu vermehren. Er will das moderne Geldsystem verstehen. Deshalb hat der 59-Jährige im März die Gruppe Occupy Money gegründet, gemeinsam mit dem Wirtschaftsanwalt Hans Scharpf und dem Wissenschaftler Helge Peukert. An diesem Sommertag sitzt er in einem Eiscafé im Schatten der Commerzbank in der Frankfurter Innenstadt und redet über eine Idee, die es ihm besonders angetan hat: das Vollgeld. Seine Begeisterung teilen mittlerweile selbst Forscher des Internationalen Währungsfonds. Wenn man die Finanzkrise lösen wolle, "muss man sich eben erst einmal fragen: Wo kommt das Geld eigentlich her? Wer entscheidet, wo Geld in die Welt gesetzt wird?", sagt Köhn.

Londons Bankenviertel: Wo kommt das Geld her? (Foto: Reuters)

So schaffen Notenbanken nur einen kleinen Teil des Geldes, indem sie Münzen prägen und Noten drucken lassen. Etwa 80 Prozent des Geldes kommt dagegen als Schulden in die Welt, durch Geschäftsbanken. Sie schöpfen, was man Giralgeld nennt: Nimmt ein Kunde einen Hypotheken-Kredit über 200.000 Euro auf, beispielsweise um ein Haus zu kaufen, überträgt die Bank den Betrag auf sein Konto - und schafft diese 200.000 Euro wie aus dem Nichts. Der Hauskäufer überweist dann das Geld auf das Konto des Verkäufers. So zirkuliert es, bis der Hauskäufer sein Darlehen zurückbezahlt hat. Dann verschwindet das Geld wieder. Im Englischen bezeichnet man diese Art der Geldschöpfung mit dem Begriff "fiat money" - was bedeutet, dass es nicht durch Edelmetall gedeckt ist. Die Banken schöpfen Geld, weil sie mehr Kredit einräumen können, als sie Einlagen haben.

"Wenn die Notenbanken die Geldschöpfung kontrollieren, kann man den Wirtschaftsprozess nachhaltig stabilisieren", sagt der Ökonom Hans Christoph Binswanger. Und deswegen plädiert er für die Einführung von Vollgeld. In diesem System würde künftig die Zentralbank neben Münzen und Noten auch das Buchgeld bereitstellen. Allein die Notenbanker wären dann dafür zuständig, die Geldmenge zu schaffen und zu kontrollieren. "In seinem solchen System könnte die Zentralbank Inflation und Deflation verhindern, ebenso wie die spekulative Aufblähung der Geldmenge", sagt Binswanger.

Das Vollgeld ist eine einfache Idee mit großen Auswirkungen: Die Notenbanken würden die komplette Geldschöpfung an sich ziehen. Im 19. Jahrhundert waren noch private Banken für Druck und Ausgabe der Noten zuständig. Weil sie aber häufig zu viele Banknoten druckten, kam es oft zu Krisen. Aufgrund der schlechten Erfahrungen haben die Staaten diese Aufgabe dann als Monopol an Zentralbanken übertragen. Unangetastet blieb die Schaffung von Giralgeld durch Geschäftsbanken.

Davon machen sie heute reichlich Gebrauch, um Kredite zu vergeben. So sind die Bankschulden alleine in den Euro-Krisenstaaten Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien mit 9,2 Billionen Euro drei Mal so hoch wie die Staatsschulden dieser Länder. Und weil die Banken leichtfertig Geld verliehen haben, stehen viele Institute nun am Abgrund. Ende 2011 beliefen sich die faulen Kredite, bei denen Zins und Tilgung nicht mehr bedient werden, bei Europas Banken auf 1,05 Billionen Euro, so steht es in einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers vom August. Die Rettung ihrer Banken hat schon manchen Staat in der Eurozone überfordert. EU und IWF haben Irland schon 2010 geholfen, seit Juni erhalten spanische Banken sogar direkt Geld aus dem EU-Rettungsschirm.

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Hätte die Politik nach der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre auf die Ratschläge prominenter Ökonomen gehört, wäre die Krise 2008 vielleicht nie geschehen. Franklin D. Roosevelt, Präsident der Vereinigten Staaten von 1933 bis 1945, hatte durchaus mit der Vollgeldidee sympathisiert, die damals noch unter anderem Namen diskutiert wurde. Als eine Ursache der damaligen Krise sahen Ökonomen wie Yale-Professor Irving Fischer die wundersame Geldvermehrung durch private Geschäftsbanken. Im "Chicago-Plan" propagierten sie eine Trennung von Bankgeschäft und Geldschöpfung - indem die Mindestreservepflicht der Banken auf hundert Prozent angehoben wird. Roosevelt setzte sich nicht gegen die Banken durch.

In der Praxis würde das bedeuten: Jede Geschäftsbank, Sparkasse oder Genossenschaftsbank könnte Kredite nur in dem Umfang vergeben, in dem sie über Einlagen von Kunden verfügt. Heute übersteigt die Kreditvergabe die Einlagen um ein Vielfaches - weil die Mindestreserve nur noch einen Bruchteil beträgt.

Geld und Kredit entkoppeln

Bei einer Einführung von Vollgeld wären Geld und Kredit entkoppelt. "Die Instabilität, die durch die Privatbanken verursacht wird, würde beseitigt", schrieb in den fünfziger Jahren der Ökonom Walter Eucken, ein Vater der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Allerdings verschwanden Vollgeldansätze bald wieder. Dass die Geschäftsbanken in der Praxis mit jeder Kreditvergabe an Kunden selbst Geld schaffen, spielte fortan in den Modellen der Ökonomen so gut wie keine Rolle mehr.

Derzeit verneint auch die Bundesbank, sich in einer Studie schon einmal mit der Idee beschäftigt zu haben. Auf einige Probleme bei deren Umsetzung weist Ulrich Solte vom Ulmer Forschungsinstitut für angewandte Wissensverarbeitung (FAW) hin. Im Vollgeldsystem würden die Sparer das Risiko für die Kredite übernehmen. Banken fungierten lediglich als Vermittler zwischen Sparern und Kreditnehmern. Beide Seiten haben aber mitunter unterschiedliche Vorstellungen von der Bereitstellungsdauer von Krediten. Was würde passieren, wenn die Sparer ihr Geld lieber kürzer anlegen wollen als es die Darlehenskunden einer Bank ausleihen wollen? "Ein Kernproblem als Startschuss einer Krise ist die sinkende Bereitschaft, Kredite zu gewähren - auch in einem 100-Prozent-Money-System", schreibt Solte. Ist die Risikoübernahme für Kreditausfälle als öffentliche Dienstleistung wünschenswert? Und könnte man das überhaupt sinnvoll realisieren?

Auch die IWF-Volkswirte Jaromir Benes und Michael Kumhof haben den "Chicago-Plan" nach sechzig Jahren aus dem Archiv geholt und mittels moderner makroökonomischer Modelle und aktueller Daten überprüft, welche Folgen eine solche Reform heute für die amerikanische Wirtschaft hätte. Ihr Ergebnis: Die Konjunkturausschläge würden erheblich nach unten und oben eingedämmt, schreiben sie in einer Studie ( hier als PDF).

Außerdem sei so gut wie ausgeschlossen, dass viele Kunden gleichzeitig ihre Konten leer räumen und damit ein Institut in die Pleite treiben. Nach Ansicht der Autoren würden zudem die privaten und öffentlichen Schulden deutlich reduziert und ein erheblicher wirtschaftlicher Wohlstand geschaffen. In ihrem Arbeitspapier für den IWF sprechen sie von einem möglichen Anstieg der Wirtschaftsleistung von bis zu zehn Prozent.

Solche Vorteile für die Gesellschaft will in der Schweiz der Verein Monetäre Modernisierung erreichen, der vor gut einem Jahr gestartet ist. Mittels einer Verfassungsänderung wollen die Mitglieder erreichen, dass für die Versorgung der Wirtschaft mit Geld nur noch die Zentralbank zuständig ist. "Sie soll zu einer sowohl von den Begehrlichkeiten der Wirtschaft und der Banken als auch von denen des Staates unabhängigen öffentlichen Institution werden: zur Monetative", so ein Grundsatzpapier der Initiative, deren Mitglieder aus den unterschiedlichsten politischen Lagern stammen. Praktisch würden die Banken damit wieder zu Darlehenskassen. Davon versprechen sich die Vollgeld-Anhänger eine Rückbesinnung auf das klassische Bankgeschäft, die Aufnahme von Einlagen und die Ausgabe von Krediten an Unternehmen und Privatpersonen.

Keine Finanzierung reiner Finanzgeschäfte

Die Verfechter der Vollgeldidee sind gegen die Finanzierung reiner Finanzgeschäfte durch Banken. Sie haben "für die Realwirtschaft keinen Nutzen, können ihr aber großen Schaden zufügen", schreibt der Verein. Unterstützt wird die Initiative neben dem Ökonomen Binswanger auch von dem Wirtschaftssoziologen Joseph Huber aus Halle-Wittenberg und dem Staatsrechtler Philippe Mastronardi. Gemeinsam haben sie dazu ein Buch verfasst: "Die Vollgeld-Reform". Letztlich geht es ihnen um eine klare Trennung von Geld und Guthaben beziehungsweise Geld und Kredit.

Über die heutige Geldschöpfung als Ursache für die Finanzkrise und die Möglichkeiten des Vollgelds möchte auch Hajo Köhn möglichst viele Bürger aufklären. "Den Souverän souverän machen", nennt er das. Davon erhofft er sich eine grundlegende Veränderung des Geldsystems.

© SZ vom 07.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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