Massenhafte Frühpensionierungen:Prozess gegen Telekom-Manager

Während der Privatisierung von Telekom und Post sind zehntausende von Beamten dienstunfähig geschrieben worden und vorzeitig in den Ruhestand gegangen. Kritiker bezweifeln, dass hier alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Nun findet erstmals ein Strafprozess in dieser Angelegenheit statt.

Von Martin Reim

In Ostfriesland kommt es zum bundesweit ersten Verfahren wegen Frühpensionierungen, die in den vergangenen Jahren in großer Zahl bei Telekom und Post stattgefunden haben.

Wie ein Sprecher des Landgerichts Aurich auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung erklärte, hat das Gericht Anfang August entschieden, dass es zum Prozess gegen einen früheren Leiter der Telekom-Niederlassung in Aurich kommt. Das Verfahren solle vor dem Amtsgericht Leer stattfinden. Dem Manager werde Betrug vorgeworfen.

Atteste sollen falsch gewesen sein

Konkret soll er Mitte der neunziger Jahre an der Frühpensionierung von 60 Beamten "mitgewirkt haben, ohne dass die Voraussetzungen dafür vorlagen". Laut Presseberichten sollen die Atteste für die Mitarbeiter falsch gewesen sein.

Der Sprecher sagte weiter, den Angeklagten erwarte wohl nur eine geringe Strafe. Grund sei die lange Dauer der seit 1996 laufenden Ermittlungen, die der Angeklagte nicht zu vertreten habe. So sei ein Gutachter verstorben, weshalb eine neue Expertise nötig geworden sei.

Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft bestätigte die Prozesseröffnung und erklärte, es habe wegen ähnlicher Vorwürfe auch bei anderen Staatsanwaltschaften Ermittlungen gegeben. Diese seien seines Wissens aber sämtlich eingestellt.

70.000 Fälle

Hintergrund der Angelegenheit ist die unstrittige Tatsache, dass im Zuge der Privatisierung von Telekom und Post Beamte in großem Stil wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in Ruhestand gegangen sind. Zwischen 1995 und 2001 geht es um mehr als 70.000 Fälle.

Besonders bemerkenswert ist der Anteil von Dienstunfähigen an allen Neu-Pensionären: Er lag 2001 bei 98 Prozent. Es ging also kaum ein Beamter regulär in Pension.

Schon früh vermuteten Beobachter, dass sich beide Firmen auf diesem Wege von Kosten befreien wollten. Denn die Unternehmen brauchen die pensionierten Beamten nicht mehr zu besolden und müssen im Gegenzug lediglich für ein Drittel der Alterszahlungen aufkommen. Die anderen zwei Drittel trägt der Bund, weshalb laut Finanzministerium aus den inkriminierten Fällen Zusatzkosten von insgeamt acht Milliarden Euro entstehen.

Prozess gegen Telekom-Manager

Aus Sicht des Deutschen Beamtenbunds sei die Häufung von Dienstunfähigkeits-Fällen "extrem auffällig", sagte ein Sprecher der zuständigen Fachgewerkschaft. In Kreisen von Mitgliedern werde immer wieder erzählt, dass Vorgesetzte zu Anträgen auf Dienstunfähigkeit "gedrängt" hätten. Johannes Singhammer, Arbeitsmarkt-Experte der CSU, sprach bereits vor einiger Zeit von einem "handfesten Skandal".

Leichtes Unterfangen

Die Frühpensionierungen fallen den Unternehmen relativ leicht, weil sie weitgehend in Eigenregie vorgehen können. Betriebsärzte prüfen, ob ein Beschäftigter dienstunfähig ist - wegen der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht notfalls sogar gegen den Willen des Beschäftigen.

Wird Dienstunfähigkeit attestiert, entscheiden andere interne Stellen, ob ein Wechsel des Arbeitsplatzes möglich ist. Falls nicht, kommt es zur Pensionierung.

"Erhöhte Arbeitsbelastung"

Bei Post und Telekom heißt es unisono, es habe keinen planmäßigen Abbau von Beschäftigten über Dienstunfähigkeits-Atteste gegeben. Die hohe Zahl der Frühpensionierungen sei möglicherweise in einer "erhöhten Arbeitsbelastung" in den vergangenen Jahren begründet, sagte eine Sprecherin der Post.

Ein Sprecher des Finanzministeriums erklärte, die "pauschalen Unterstellungen" gegen Post und Telekom wegen der Dienstunfähigkeits-Zahlen seien "nicht nachvollziehbar". Sein Haus prüfe alle beabsichtigen Frühpensionierungen "vorab auf Rechtmäßigkeit". Dies geschehe allerdings nur per Aktenlage und nicht durch Nachuntersuchungen. So lange hier keine Unregelmäßigkeiten aufkämen, sei das Finanzministerium "nicht berechtigt", eine Frühpensionierung zu verweigern.

"Zu passiv"

Diese Haltung des Finanzministeriums geißeln Beobachter als "zu passiv". Sie verfestige den Eindruck, dass Politik und Unternehmen unter einer Decke steckten.

"Das Desinteresse hat ein gewisses Geschmäckle, weil der Bund als wichtigster Anteilseigner ein Interesse daran haben könnte, dass die Unternehmen ihre Geschäftszahlen aufpolieren", sagt etwa Sven Halldorn, Referent für Wirtschaftspolitik der FDP-Bundestagsfraktion.

Seine Partei hatte in dieser Sache bereits mehrere Initiativen unternommen, etwa eine Anfrage im Bundestag gestellt - "aber herausgekommen ist nicht viel". Halldorn glaubt nun, dass eine Verurteilung in Leer einen "Durchbruch" bringen und erneute Ermittlungen anderer Staatsanwaltschaften nach sich ziehen könnte.

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