Süddeutsche Zeitung

Einzelhandel:Die Krux mit den Maskenverweigerern

Immer mehr Ladenbesitzer haben Probleme mit Menschen, die partout keinen Mund-Nasen-Schutz tragen wollen. Ihnen den Zutritt zu verweigern, kann jedoch heikel sein.

Von Michael Kläsgen

Es ist ein Fall, der die Gemüter erhitzt - und exemplarisch zeigt, vor welchem Dilemma viele Händler derzeit stehen: Mitarbeiter des Ikea-Einrichtungshauses in Walldorf haben Anfang September einen Mann zum Gehen aufgefordert, weil dieser keinen Mund-Nasen-Schutz trug. Obwohl er eine ärztliche Bescheinigung zur Befreiung von der Maskenpflicht vorweisen konnte, musste er die Filiale verlassen. Das schwedische Unternehmen verlangt von allen Besuchern das Tragen einer Maske, und zwar ohne Ausnahme.

Nur: Der Abgewiesene ist schwerbehindert. Er leidet an COPD, einer chronischen Lungenerkrankung, und darf aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen. Er verlangt von Ikea nun eine Entschädigung in Höhe von 20 000 Euro, die er spenden will.

Für den Möbelkonzern ist das Ganze einerseits ganz schön peinlich, andererseits aber nur eines von vielen Vorkommnissen am Tag in einem Weltkonzern. "Eine Diskriminierung von Personengruppen, die keine Maske tragen können, liegt uns fern", teilt eine Sprecherin dementsprechend pauschal auf Anfrage mit. Nun kann man es so sehen, dass Ikea im Grunde nur versucht hat, sich an die Regeln zu halten - und doch hat der Konzern dabei schlicht einen Fehler gemacht. Einen Fehler, der jedem Händler passieren kann und der für einen Weltkonzern am Ende des Tages wohl eher nebensächlich ist. Für einen kleinen, inhabergeführten Laden jedoch wäre eine solche Entschädigungssumme durchaus ein Problem, auch wenn sie in Deutschland noch nie gezahlt werden musste.

Die Krux liege für die Händler vor allem darin, sagt Rechtsanwalt Wolfgang Böhm, dass nicht nur Menschen ihre Geschäfte betreten, die aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen dürfen, sondern zunehmend auch Maskenverweigerer. Auf dem Schreibtisch des Heidelberger Rechtsanwalts sind inzwischen viele Abmahnungen und Schmerzensgeldforderungen an Ladenbesitzer gelandet. "Immer mehr Maskenverweigerer beziehen sich auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und fühlen sich unzulässig diskriminiert", sagt der Anwalt. Wie der Ikea-Fall zeige, sei ein generelles Verweigern des Zutritts ohne Mund-Nasen-Schutz deshalb für Händler "nicht ungefährlich".

Gleichzeitig gilt: Alle Ladeninhaber oder Geschäftsführer müssen die behördlich angeordnete Maskenpflicht durchsetzen und überwachen. Bei Verstößen drohen nicht nur den Maskenverweigerern, sondern auch den Inhabern je nach Bundesland empfindliche Bußgelder. Erschwerend kommt jedoch hinzu, dass Verweigerer zuweilen mit Fake-Attests aus dem Internet Zutritt ohne Maske zu einem Geschäft verlangen. Was zunächst nach einem Randphänomen klingt, war vor wenigen Tagen sogar Thema auf dem Bayerischen Ärztetag.

Demnach ist auch nach Ansicht der Landesärztekammer in München das Vorgehen mancher Ärzte zu lax. Am Wochenende beschlossen die Delegierten daher, den Entschließungsantrag des Präsidiums zur notwendigen Sorgfalt bei der Ausstellung von Attesten zu Mund-Nasen-Bedeckungen zu unterstützen. "Mit Attesten, die von Ärzten zum Download aus dem Internet angeboten werden, ohne sich mit einem zugrundeliegenden Beschwerdebild auseinandergesetzt zu haben, wird diesem Sorgfaltsgebot nicht Genüge getan", heißt es in dem Beschluss. Die Delegierten forderten die Ärztinnen und Ärzte sozusagen auf, doch bitte genauer hinzuschauen.

Der Handelsverband Deutschland fürchtet, bis zu 50 000 Geschäfte könnten wegen Corona pleitegehen

Genaue Zahlen über Maskenverweigerer im Handel existieren derweil bislang nicht, das Handelsforschungsinstitut IFH Köln veröffentlichte allerdings jüngst eine Erhebung über "Maßnahmen-Skeptiker", die das Ausmaß des Problems erahnen lässt. Demnach sieht jeder vierte Verbraucher seine Rechte und Freiheiten zu stark eingeschränkt; jeder zehnte Konsument bezeichnet sich selber als "Skeptiker" und hält sich nach eigener Aussage kaum noch an die Hygieneauflagen, darunter viele junge Männer. Und auch wenn sich die allermeisten Menschen in Deutschland nach wie vor an die Regeln halten: Für den Handel ergibt sich hieraus eine zusätzliche Herausforderung.

Der Handelsverband Deutschland fürchtet ohnehin, bis zu 50 000 Geschäfte könnten wegen Corona pleitegehen. Hinzu kommt der generelle Strukturwandel im Einzelhandel und die Digitalisierung. Viele kleine Händler gehen nun, da der Onlinehandel noch einmal deutlich wichtiger geworden ist, im Internet erst recht unter. Und jetzt noch die Sache mit den Maskenverweigerern.

Ein schlichtes Schild am Eingang mit der Aufschrift "Zutritt nur mit Mundschutz" und die Anweisung an das Personal, andernfalls Kunden nicht zu bedienen, hält nach Ansicht von Anwalt Böhm jedenfalls keiner rechtlichen Überprüfung stand. Stattdessen sollten Geschäftsinhaber auf Nummer sicher gehen und Masken-Alternativen wie beispielsweise Gesichtsschutz-Visiere zur Verfügung stellen. Im Fall von Ikea hätte das allerdings auch nichts genutzt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5072991
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/vit
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.