Maschinenbau:Gute Anlagen

Karl Haeusgen

Der neue VDMA-Präsident Karl Haeusgen ist ein Familienunternehmer aus München.

(Foto: Teichmann/VDMA)

Der Familienunternehmer Karl Haeusgen ist neuer Präsident des Maschinenbauverbands VDMA. Er weiß, wovon er redet. Viele Probleme, die die Branche bewegen, hat er selbst mit seiner Firma durchgemacht.

Von Elisabeth Dostert, Kaufbeuren

Wie ein moderner OP-Tisch funktioniert, kann Karl Haeusgen sehr anschaulich erklären. So ein Tisch habe mehrere Achsen, um den Patienten in die für den Operierenden richtige Position zu bringen. In den Hubsäulen, die den Tisch heben und schwenken, stecken Hydraulikkomponenten, wie sie auch seine Firma, das Münchner Familienunternehmen Hawe Hydraulik, herstellt. Solche Komponenten werden auch in Chirurgie-Robotern verbaut. "Die Hydraulik muss präzise, leise und reibungslos arbeiten. Für eine kontinuierliche Krafteinleitung entlang des Weges sorgen Proportionalventile", erklärt Haeusgen, der Kaufmann ist, kein Ingenieur. Er redet so, als würde er den OP-Tisch gerade vor sich sehen, die Arme zeichnen nach, wie der Zylinder langsam und reibungslos ausfährt. Haeusgen will eben verstanden werden - von möglichst vielen.

Die Gabe, Themen mit einfachen Worten zu erklären, und den Ehrgeiz, verstanden zu werden, kann Haeusgen, 54, in den nächsten Monaten und Jahren gut gebrauchen. An diesem Freitag hat ihn der VDMA, der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, in Wiesbaden zu seinem neuen Präsidenten gewählt. Er löst den Kölner Mittelständler Carl Martin Welcker, 60, ab. Vier Jahre lang soll Haeusgen jetzt den deutschen Maschinenbau erklären, er muss vermitteln, Netze knüpfen, ohne dass Filz entsteht. Er sieht Lobbyisten als "wichtiges Bindeglied" zwischen der Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Gruppen wie etwa Politikern, Gewerkschaftern und Naturschützern. Haeusgen findet es schade, "dass der Begriff so negativ assoziiert ist". Ganz so neu ist die Arbeit auch nicht für ihn. Haeusgen war lange Präsident des Landesverbands in Bayern und sieben Jahre lang einer von Welckers Vizen. Er hat Spaß am Diskurs.

Der VDMA hat 3300 Mitgliedern, die nach eigenen Angaben zusammen fast 1,3 Millionen Erwerbstätige haben, damit sind sie der größte industrielle Arbeitgeber in Deutschland. Es ist Europas größter Industrieverband - aber nicht unbedingt der lauteste. Das liegt auch an der Struktur der Branche. Es gibt Konzerne wie ABB oder Thyssenkrupp, aber die Mehrzahl sind Mittelständler. Das ist jenseits aller quantitativen Definitionen ein Gefühl, dem auch Haeusgen anhängt: Es ist eine breitere unternehmerische Schicht, die die Stärke des Standortes Deutschland ausmacht. So sehen sich die Unternehmer, der Verband, und das ist in Studien belegt. Dazu gehören Firmen wie Hawe, in den Händen einer oder mehrerer Familien, oft sitzen ein oder mehrere Verwandte in Vorstand, Geschäftsführung, Aufsichtsrat oder Beirat. Nicht wenige dieser Firmen sind auf ihrem Gebiet Weltmarktführer, auch Hawe gehört dazu.

Überall, wo schwere Lasten bewegt werden, stecken Ventile, Pumpen und Aggregate von Hawe drin

Nicht nur in OP-Tischen, überall, wo schwere Lasten bewegt werden, stecken Ventile, Pumpen und Aggregate von Hawe drin - in Bau- und Landmaschinen. Komponenten für Kamelwaschanlagen und Fensterheber für gepanzerte Limousinen gibt es auch, sind aber Ausnahmen. 2019 setzte die Firma mit weltweit knapp 2500 Mitarbeitern, davon rund 2000 in Deutschland, gut 410 Millionen Euro um. In den Reihen des VDMA gebe es viele Technologieführer, so Haeusgen. Dieser "Technologiepool" müsse fortgeschrieben werden durch Investitionen in Bildung und Forschung. Solche Forderungen sind Erbstücke eines Lobbyisten, sie werden von Präsident zu Präsident vermacht.

Maschinenbau: Buchstäblich auf der grünen Wiese: Das Werk von Hawe.

Buchstäblich auf der grünen Wiese: Das Werk von Hawe.

(Foto: Marco Einfeldt)

Haeusgen und der Verband haben in diesen Tagen nach Kaufbeuren ins Allgäu eingeladen. Es ist so eine Art Vorstellungsgespräch, auch Vorstandssprecher Robert Schullan und Produktionschef Wolfgang Sochor nehmen teil. Das Werk mit rund 600 Beschäftigten ist erst sechs Jahre alt. Es entstand wortwörtlich auf der grünen Wiese. Haeusgen zeigt dort, dass und wie Produktion in einem Hochlohnland möglich ist. Das Material fließt in einem Wertstrom im Kreis durch das Werk. Vorne Rohmaterial rein, hinten fertiges Produkt raus. Die Produktivität im neuen Werk legte im Vergleich zu den alten Standorten deutlich zu. "Die hohe Wertschöpfungstiefe war jetzt in Corona-Zeiten ein Super-Asset, weil die Abhängigkeit von Lieferanten geringer ist", sagt Haeusgen: "Wir konnten liefern."

Er kann sich sich nicht kurz fassen und nicht still stehen. Er spricht schnell. Er schmückt aus, lässt sich ablenken, unterbricht den Vortrag seiner beiden Vorstände aus schierer Begeisterung für Themen und Technik. Er kettet Nebensatz an Nebensatz und Satz an Satz.

Haeusgen ist ein Repräsentant im besten Sinne, er weiß häufig aus eigener Anschauung, worüber er redet: Nachfolge, Finanzierung, Automatisierung, Digitalisierung, Globalisierung, Handelskriege - er hat alles erlebt, einmal, öfters, in manchem steckt er mittendrin.

Sein Großvater Karl Heilmeier, ein Ingenieur, und der Kaufmann Wilhelm Weinlein melden 1949 ein Gewerbe zur "Herstellung hydraulischer Apparate" an. Die Firma heißt wie die Gründer, aus der phonetischen Schreibweise der Anfangsbuchstaben ihrer Familiennamen und ihrem Produkt wird später der Firmenname Hawe Hydraulik. Irgendwann, Haeusgen weiß es selbst nicht genau, übernehmen die Schwiegersöhne Jens-Peter Haeusgen und Jürg Lemp die Geschäftsführung. Mitte der 90er-Jahre, Karl Haeusgen ist gerade mal ein paar Monate in der Firma, will die Familie Lemp aussteigen. Um ihre Hälfte komplett zu übernehmen, fehlt den Haeusgens das Geld, auch weil die Banken nicht mitziehen. Sie holen sich einen Finanzinvestor ins Haus. Anfang 1997 übernimmt die Deutsche Beteiligung AG (DBAG) ein Viertel der Firma. Das andere Viertel kauft "zu großen Teilen und fremdfinanziert", wie er betont, Karl Haeusgen. 2002, etwas früher als geplant, holen sich die Haeusgens die Anteile von der DBAG zurück. Rund 60 Prozent der Firma gehören heute Karl Haeusgen, die übrigen Anteile seinen beiden Brüdern.

1996 wird Karl Haeusgen Mitglied der Geschäftsführung und 2008 - nach der Umwandlung in eine europäische Aktiengesellschaft SE - Vorstandssprecher. Er treibt die Internationalisierung voran. 1994 lag der Exportanteil bei knapp 30 Prozent, heute bei 70. "Ohne Märkte wie die USA, China, aber auch Südkorea, könnten wir mit Sicherheit die Leute, die wir in Deutschland beschäftigen, nicht beschäftigen." Handelskriege wie der zwischen den USA und China, Sanktionen, die Abschottung von Märkten sind Haeusgen ein Gräuel. Er ist überzeugt, dass Globalisierung Wohlstand schafft. Seine eigene Firma hat vom Export und von der Produktion in anderen Ländern profitiert. "Wenn uns Ende der 90er-Jahre, Anfang der 2000er-Jahre die Internationalisierung nicht geglückt wäre, würde es die Firma als unabhängiges Unternehmen nicht mehr geben", sagt Haeusgen.

VDMA-Vizepräsident Karl Haeusgen

Karl Haeusgen in seinem Werk.

(Foto: Norbert Miguletz, oh)

Die Forderung nach offenen Märkten, noch so ein Erbstück.

Aber es muss sich etwas ändern, das weiß der Unternehmer. "Wir brauchen eine soziale Globalisierung, die die krassen Effekte vergangener Jahre wie etwa Kinderarbeit, prekäre Arbeitsbedingungen und Umweltlasten dämpft. Wir können die Markt- und Einkaufmacht nutzen, um Dinge zu verändern." Haeusgen hat für alles ein Beispiel, das seine These belegen soll. Ende der 2000er-Jahre habe ein japanisches Unternehmen die Hydraulik für fast tausend Werkzeugmaschinen ausgeschrieben mit der Maßgabe, dass das Hydraulikaggregat ein Drittel weniger Energie verbraucht. Es stellte sich heraus, dass die Maschinen für das neue Werk einer chinesischen Firma bestimmt war, die Gehäuse für einen großen US-Hersteller von Smartphones liefert. Dieser hatte die Vorgabe gemacht. Die Namen der Firmen will Haeusgen nicht öffentlich nennen. "Wir haben es geschafft, die Effizienz um 70 Prozent zu senken, und den Zuschlag bekommen", berichtet Haeusgen.

2019 hat er sich aus dem Vorstand zurückgezogen - mit 53 Jahren, ungewöhnlich jung für Familienunternehmer. Er führt nun den Aufsichtsrat. "Ich hatte das Gefühl, change is good für beide Seiten." Zwei Jahre lang hat er sich auf den Rückzug vorbereitet. Er und seine Frau, die ebenfalls im Aufsichtsrat sitzt, haben eine Liste gemacht, was sie gerne tun würden, wenn sie mehr Zeit hätten. Haeusgen surft jetzt länger auf Apple Music auf der Suche nach neuen Musikern und Labels, er mag Black Music. Bill Gates habe auch mit Mitte 50 den Chefposten bei Microsoft aufgegeben. Haeusgen hat auf Youtube ein Video gesehen, in dem Gates und der Investor Warren Buffett über Zeit reden. Es trägt den Titel "Busy is the new stupid". Der Taschenkalender von Buffett macht die Runde. Es gibt nur wenige Termine. Sich Zeit zu nehmen, um dazusitzen und nachzudenken, sagt Gates. "Ich kann mir alles kaufen, aber nicht mehr Zeit", sagt Warren. Solche Gedanken gefallen Haeusgen.

In seinem Terminkalender wird es in den nächsten Jahren aber wieder mehr Einträge geben. Er wird wohl öfter nach Brüssel reisen. "Unsere Märkte sind international, die Handlungsfelder mindestens europäisch." Er will den VDMA europäischer aufstellen und mehr ausländische Firmen als Mitglieder gewinnen, noch hat er keinen Termin bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Und er weiß, dass das schwierig wird. In Brüssel sind viele Lobbyisten unterwegs, Haeusgen ist nur der Repräsentant eines deutschen Verbandes. Aber er ist Optimist. Seine Tochter hat ihm ein Bändchen geflochten, das trägt er am Handgelenk. Auf den Gliedern steht das italienische Wort Vedrai. Das sei in der Familie ein geflügeltes Wort. Frei übersetzt ins Bayrische: Wird schon.

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