Martin Winterkorn vs. Joe Kaeser:Eiszeit zwischen VW und Siemens

Martin Winterkorn vs. Joe Kaeser: Konfliktträchtig: Die Ernennung von Siemens-Chef Joe Kaeser (r.) zum Kontrolleur bei Daimler verärgert VW-Chef Martin Winterkorn.

Konfliktträchtig: Die Ernennung von Siemens-Chef Joe Kaeser (r.) zum Kontrolleur bei Daimler verärgert VW-Chef Martin Winterkorn.

(Foto: AFP, AP)
  • VW-Chef Martin Winterkorn soll verärgert sein über die Berufung von Siemens-Chef Joe Kaeser in den Aufsichtsrat von Daimler. Branchenkenner sprechen bereits von einer Eiszeit.
  • Der Grund: Seit vergangenem Jahr sitzt Kaeser im Aufsichtsrat von Daimler. Es ist nach der Allianz sein zweites Mandat in Deutschland.
  • Ein Schlüssellieferant wie Siemens im Kontrollgremium des Rivalen - so etwas wird in Wolfsburg nicht geduldet.

Von Thomas Fromm und Christoph Giesen

Sie sind die Größten in Europa und sie haben offenkundig ein Problem. Volkswagen, der umsatzstärkste Autobauer des Kontinents, und Siemens, der mächtige Industriekonzern. Ausgerechnet zwischen diesen beiden Giganten soll es kräftig knirschen. In Branchenkreisen spricht man bereits von einer "Eiszeit", die ausgebrochen ist zwischen München und Wolfsburg. Offiziell äußern möchten sie sich bei Volkswagen dazu nicht. Und auch Siemens antwortet nur knapp: "Es gibt eine intensive, ausgesprochen breit angelegte, gute, erfolgreiche und zukunftweisende Zusammenarbeit", teilt ein Konzernsprecher mit.

Und doch berichten Aufsichtsräte und hochrangige Siemens-Manager von einem Konflikt auf allerhöchster Ebene. Der Grund für die Klimaveränderung: Seit vergangenem Jahr sitzt Siemens-Chef Joe Kaeser im Aufsichtsrat von Daimler. Es ist nach der Allianz sein zweites Mandat in Deutschland. An sich ist das nichts Ehrenrühriges. Trotzdem gibt es ein Problem: Siemens und Volkswagen verbinden sehr enge Geschäftsbeziehungen. Und deshalb nimmt Volkswagen Kaesers Engagement beim Konkurrenten in Stuttgart übel.

Befeuert wurde der Unmut vermutlich noch einmal Ende Januar, da wählte die Siemens-Hauptversammlung den scheidenden BMW-Chef Norbert Reithofer in den Aufsichtsrat. Auch dies: im Grunde eine alltägliche Personalie. Sogar für den Chefposten im Aufsichtsrat wurde Reithofer damals gehandelt, was BMW aber dementierte. Nur: Auf einmal hatten mit BMW und Daimler zwei von drei deutschen Autoherstellern direkte personelle Beziehungen mit Siemens. Lediglich Volkswagen, der größte Autobauer, blieb außen vor.

Die Autoindustrie vergibt jedes Jahr große Aufträge an Siemens

VW-Chef Martin Winterkorn soll sich deshalb vor einigen Wochen sogar persönlich bei Kaeser über dessen Mitgliedschaft im Daimler-Aufsichtsrat beschwert haben. Ein Schlüssellieferant wie Siemens im Kontrollgremium des Rivalen - so etwas ist für Vorstandschefs schwer verdaulich.

Bis vor wenigen Jahren gehörte Siemens mit seiner Automobilsparte VDO zu den umsatzstärksten Zulieferern der Branche. 2007 verkaufte Kaesers Vorgänger Peter Löscher das Geschäft für 11,4 Milliarden Euro an Continental. Doch noch immer ist die Autoindustrie ein wichtiger Geschäftspartner von Siemens. Ein Zwist mit Volkswagen könnte Siemens teuer zu stehen kommen. Sollte VW seine Großaufträge künftig verstärkt an Wettbewerber vergeben, könnte das den Münchner Konzern Millionen, wenn nicht gar Milliarden kosten. Denn: VW ist für Siemens kein kleiner Posten in der Bilanz. Jedes Jahr kaufen die Wolfsburger Großanlagen, Fertigungsstraßen und Lösungen für die sich anbahnende Industrie 4.0 in Milliardenhöhe ein.

Darum ist der Fall Kaeser so problematisch

Etwas ist also schiefgelaufen zwischen Niedersachsen und Bayern, aber was? Die deutsche Autoindustrie mag auf den ersten Blick als eine Ansammlung von unerbittlichen Gegnern erscheinen, die einander nichts gönnen, die sich auf der Straße und in den großen Autohäusern bekämpfen. Doch das Gegenteil ist oft der Fall. Vorausgesetzt, man spricht vorher miteinander, dann lassen sich in der deutschen Automobil-AG immer wieder Lösungen finden. Bevor der frühere BMW-Entwicklungsvorstand Herbert Diess jüngst seinen Wechsel zu Volkswagen verkündete, einigten sich die beiden Konzerne kollegial. Diess darf eher als geplant zur Konkurrenz wechseln.

Der Fall Kaeser aber ist anders. Dass Kaesers Berufung in den Daimler-Aufsichtsrat einen Affront für die beiden anderen großen deutschen Autohersteller bedeuten könnte, ahnten wohl auch die Siemens-Aufsichtsräte, als Kaeser sie seinerzeit darüber informierte, künftig das Daimler-Geschäft zu überwachen. Sie trugen ihm deshalb ihre Sorgen vor und fragten nach, ob BMW und Volkswagen in Kenntnis gesetzt worden seien. Kaeser soll dies dem Vernehmen nach bejaht haben. Zumindest im Fall von Volkswagen ist dies aber offenbar nicht geschehen. Hat Kaeser es nur versäumt, Winterkorn rechtzeitig zu unterrichten? Siemens äußert sich nicht dazu.

Wenige Tage, nachdem Kaeser im April 2014 in den Daimler-Aufsichtsrat gewählt worden war, vereinbarte Siemens übrigens auf einer Messe in Peking ein Joint Venture mit dem staatlichen chinesischen Autohersteller Beijing Automotive Industry (BAIC). Gemeinsam sollen zunächst für den chinesischen Markt, später aber vielleicht auch für anderswo Motoren für Elektroautos gebaut werden. "Als Jahresproduktion ist ein Volumen von mehr als 100 000 Einheiten geplant, wobei beide Unternehmen Potenzial für ein größeres Produktionsvolumen sehen", teilte Siemens damals mit.

Auch das dürfte wohl kein Grund zur Freude in Wolfsburg gewesen sein, denn BAIC kooperiert bereits mit einem deutschen Autohersteller, nämlich Daimler. In Peking werden bei BAIC die E- und C-Klasse gefertigt, beide in der Langversion. Seit Herbst 2013 ist Daimler sogar zu zwölf Prozent an der Pkw-Sparte von BAIC beteiligt, zwei Daimler-Vorstände sitzen im Aufsichtsrat. Und das ist, wie der Siemens-Chef sicherlich weiß, ein symbolträchtiges Gremium.

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