Martin Winterkorn:"Vielleicht habe ich Signale übersehen"

Der ehemalige VW-Chef tritt das erste Mal seit seinem Abgang wieder vor die Öffentlichkeit. Im Untersuchungsausschuss des Bundestags streitet er eine Verstrickung in den Dieselskandal ab.

Von Markus Balser, Max Hägler und Klaus Ott, Berlin

Dass sich das Leben für Martin Winterkorn radikal geändert hat, macht der erste öffentliche Auftritt nach seinem Abgang bei Volkswagen schon nach wenigen Minuten klar. Ein Sicherheitsmann schleust den Ex-VW-Chef, der das Rampenlicht nie scheute, nach seiner Ankunft durch einen Seiteneingang in den Anhörungssaal 3101 im Bundestag. Winterkorn geht langsam. Es scheint ein schwerer Gang zu sein. Der Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat den 69-Jährigen als Zeugen geladen. Das Gremium will klären, wie es zur inzwischen weltumspannenden Affäre um manipulierte Schadstoffmessungen gekommen ist. Kaum jemand hatte erwartet, dass Winterkorn die Fragen der Politiker beantwortet. Auch sein Umfeld war davon ausgegangen, dass er die Aussage verweigert. Doch der ehemalige VW-Chef nimmt zwischen seinen beiden Anwälten Platz, schlägt seine Unterlagen auf und beginnt zu reden: "Die dramatischen Vorgänge rund um illegale Software haben unser Unternehmen in eine schwere Krise gestürzt", räumt Winterkorn erstmals öffentlich ein. "Sie stellen zu Recht die Frage: Wie konnte das alles passieren? Und: Wer ist dafür verantwortlich?"

Winterkorn sagt den Abgeordneten, er habe nicht vor September 2015 von den Betrügereien erfahren. Zu jenem Zeitpunkt, als VW den US-Behörden nach langem Täuschen schließlich den Betrug gestanden habe. Zwei Kronzeugen der US-Justiz haben den Ermittlern allerdings etwas ganz anderes erzählt. Der damalige Konzernchef habe bereits am 27. Juli 2015 in Wolfsburg von den manipulierten Schadstoffmessungen erfahren, und die seien danach erst einmal weiter vertuscht worden. Die beiden Kronzeugen haben diese angebliche Begebenheit in vielen Details geschildert.

"Ich verstehe nicht, dass ich nicht früher informiert wurde."

So steht nun Aussage gegen Aussage. Und bis das alles aufgeklärt ist, werden wohl noch Jahre vergehen. Die US-Behörden ermitteln nach der Einigung mit VW über Strafzahlungen in Milliardenhöhe weiterhin gegen die Verdächtigen. Die Justiz in Übersee will vor allem wissen, wer in der alten VW-Spitze welche Rolle in der Abgasaffäre spielt. Die Frage, die auch der oberste Spitzenmann selbst stellt. Das gilt auch für die Staatsanwaltschaft Braunschweig, die ebenfalls intensiv ermittelt. Und die bereits ein Verfahren wegen des Verdachts der Börsenmanipulation gegen Winterkorn eingeleitet hat. Weil der damalige Konzernchef ab Ende Juli 2015 von dem Betrug gewusst, die Aktionäre aber nicht informiert haben soll. Für solch ein Verfahren müssen die Braunschweiger Ermittler schon gute Gründe haben. Andererseits ist ein Verdacht noch keine Anklage, und eine Anklage wäre noch kein Urteil gegen Winterkorn. Der gilt als unschuldig, bis zum Beweis des Gegenteils.

Martin Winterkorn der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG verlässt am Donnerstag 19 0

Angeblich ahnungslos: Der frühere VW-Chef Martin Winterkorn verlässt den Untersuchungsausschuss des Bundestages.

(Foto: imago/CommonLens)

Aber wie konnte ein Skandal solchen Ausmaßes überhaupt unter seiner Führung geschehen, wollen die Abgeordneten von Winterkorn wissen. Dessen Sätze werden kürzer. Bei sich selbst sieht der Mann, der viele Jahre an der VW-Spitze stand, keine Schuld. "Ich verstehe nicht, dass ich nicht früher informiert wurde", sagt Winterkorn. "Vielleicht habe ich Signale übersehen." Welche Signale? Dazu möchte der gebürtige Schwabe und studierte Materialingenieur dann nichts mehr sagen. Er verweist auf seine kommende Aussage bei der Staatsanwaltschaft.

Der getäuschte VW-Chef - dieses Bild nehmen die Politiker Winterkorn nicht ab

Dass es so weit kommen konnte, dass Millionen Kunden enttäuscht wurden, bestürze ihn zutiefst. "Ich möchte mich dafür entschuldigen." Es habe nicht daran gelegen, dass die Leute Angst vor ihm gehabt hätten, wie oft zu lesen gewesen war: "Es gab mit Sicherheit kein Schreckensregime." Er sei stets hart in der Sache, aber nie persönlich oder ehrverletzend gewesen. Dazu gibt es viele andere Aussagen ehemaliger Kollegen von ihm. Aber es ist Winterkorns Stunde: Es sei vielmehr immer um Qualität gegangen, beste Materialien, perfekte Verarbeitung. Das sei doch ein Markenzeichen von Volkswagen gewesen. Dann plötzlich Manipulation statt Perfektion. "Das muss in Ihren Ohren wie Hohn klingen", spricht er die Ausschussmitglieder direkt an. "Ich verstehe das." Doch immer, wenn die Aufklärer wissen wollen, was genau im Konzern an Informationen kursierte, wird Winterkorn einsilbig. Unter Verweis auf das Ermittlungsverfahren gegen ihn in Braunschweig verweigert Winterkorn mehrere Antworten. Mit brüchiger Stimme schildert er stattdessen das Wochenende, an dem alles publik wurde: Am Freitag, dem 18. September 2015, habe man um 18 Uhr Notiz aus den USA erhalten, es habe Gesetzesverstöße gegeben.

Winterkorns Fall nahm seinen Lauf. Zuerst hätten Experten versucht, das Ausmaß der Affäre zu klären. Am Sonntag sei dann eine große Krisenrunde in Wolfsburg zusammengesessen, etwa 100 Leute. Sie stellten fest: Nicht nur die USA sind das Problem. "Wir hatten auch ein Problem im Rest der Welt", sagt Winterkorn. Der Kanzlerin gesteht er später am Telefon, dass Millionen Autos betroffen sind. Nach einigen Tagen tritt er zurück. "Glauben Sie mir, dieser Schritt war der schwerste meines Lebens. Ich muss akzeptieren, dass mein Name eng verbunden ist mit der Dieselaffäre. Damit umzugehen, müssen meine Familie und ich lernen." Der getäuschte VW-Chef - dieses Bild nehmen die Abgeordneten Winterkorn nicht mehr ab, parteiübergreifend. Er wisse mehr, als er sage, glaubt der Ausschussvorsitzende Herbert Behrens von der Linken. "Ich halte seine Glaubwürdigkeit für erschüttert." CSU-Obmann Ulrich Lange fragt sich, warum Winterkorn nicht konsequent nachgehakt habe, als im März 2015 eine halbe Million Autos in den USA wegen Abgasproblemen zurückgerufen wurden. Die Fragezeichen seien nach der Aussage von Winterkorn "riesengroß". Nicht unbedingt vertrauensbildend wirkt sich auch eine Nachricht aus, die VW am Donnerstagabend bekannt gab. Ein Unternehmenssprecher erklärte der Nachrichtenagentur Reuters zufolge, Volkswagen werde den Abschlussbericht der US-Kanzlei Jones Day zum Diesel-Skandal doch nicht offenlegen. Die Erkenntnisse der vom Konzern beauftragten Juristen seien in das von den US-Behörden veröffentlichte "Statement of Facts" eingeflossen, womit sich ein separater Bericht erübrige.

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